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Der politische Wille, etwas aus der ehemaligen Stasi-Zentrale zu machen, ist noch nicht da.

© Kitty Kleist-Heinrich

Gedenken an die DDR: Das Denkmal für die friedliche Revolution liegt mitten in Berlin

Die Stasiunterlagenbehörde in Lichtenberg ist für das Erinnern ein wichtiger Ort – aber viel zu grau dafür. Ein Essay.

Hannah Neumann ist seit 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments als Teil der Fraktion Die Grünen.

Es gibt zwei Geschichten der deutschen Wiedervereinigung. Die eine ist die der Staatsoberhäupter am Verhandlungstisch und der Abgeordneten der Volkskammer, es ist diejenige, die am 3. Oktober und bald auch mit einer Wippe im Zentrum Berlins geehrt wird. Die andere ist die Geschichte der friedlichen Revolution. Als Außenpolitikerin, die viel in den Krisenregionen dieser Welt unterwegs ist, bin ich fasziniert davon, wie die Revolution, die einem so repressiven Regime wie dem der DDR ein Ende setzte, derart friedlich vonstattengehen konnte.

Weil sich trotz Drohungen und Verhaftungen Hunderttausende auf die Straßen trauten und sich friedlich versammelten. Weil sie sich immer und immer wieder mutig auflehnten - mit kritischen Publikationen, begeisternden Reden, unglaublicher Mobilisierung, noch lange bevor es das Internet gab. Aber auch weil viele, die nicht auf den Straßen waren, still ihre Solidarität zeigten und einige im Militär klar zu verstehen gaben, dass sie im Inneren nicht schießen würden.

Ein Blick in andere Länder zeigt, welch ein Wunder die friedliche Revolution war

Wenn man heute nach Hongkong schaut, nach Belarus, in den Irak, nach Thailand, dann wird einem bewusst, welch ein Wunder diese friedliche Revolution war. Und dieses Wunder ging weiter. Bereits am 4. November 1989 begann die Stasi, ihre Unterlagen zu bereinigen. Aber es gelang ihr nicht, weil Demonstranten in den darauffolgenden Wochen das Herz der Repression, die Stasi-Zentrale, stürmten.

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Und sie vernichteten die Dokumente nicht etwas, sondern schützten und erhielten sie, um Aufklärung statt Zerstörung zu ermöglichen. Bis heute profitieren Einzelpersonen und die Geschichtsschreibung davon, Zugang zu diesen Informationen zu haben. Die Stasiunterlagenbehörde ist mittlerweile zu einem internationalen Leuchtturm der Aufarbeitung geworden. Auch für diesen Teil der deutsch-deutschen Geschichte brauchen wir ein würdiges Gedenken. Sonst werden wir ihr - und vor allem dem Anteil der Ostdeutschen an der Wende - nicht gerecht.

In vielen Ländern ist die Omnipräsenz der Geheimdienste Alltag

In vielen Ländern dieser Welt sind die Omnipräsenz der Geheimdienste, Bespitzelung, Repression, Haft und Folter Alltag. Wann immer ich kann, spreche ich mit Menschen, die sich dort für Demokratie einsetzen. Wenn sie hören, woher ich komme, erzählen sie mir häufig, wie sehr sie die Menschen in der DDR bewundern, dass es ihnen gelungen ist, ein solch unterdrückerisches Regime gewaltfrei zu stürzen.

Sie sagen mir auch, dass sie die deutsche Aufklärungsarbeit beispielhaft finden. So wie der ägyptische Menschenrechtler, den ich im Oktober in Kairo traf: „Wenn eines Tages unsere Staatssicherheit so aussieht wie eure, wenn wir einfach über das Gelände laufen und ihre Lügen aufklären könnten, dann würde ich sagen, habe ich mein Ziel erreicht.“

Ein Blick auf die Stasi-Zentrale in Lichtenberg zeigt, wie wenig wir diesen Teil unserer Geschichte wertschätzen

Eigentlich könnte ich in solchen Momenten sehr stolz sein. Als Lichtenbergerin, die fast neben der Stasi-Zentrale in der Magdalenenstraße wohnt, und als Deutsche, die diesen bewundernswerten Teil deutscher Geschichte miterlebt hat. Aber wenn ich über das Gelände laufe, dann bin ich vor allem traurig. Denn das Areal, ein trister grauer Block, zeigt anschaulich, wie wenig wir diesen Teil unserer Geschichte bisher wertschätzen.

Einzelne Initiativen versuchen, ihm Leben einzuhauchen: Es gibt Ausstellungen, ein Open-Air Kino, zwei Museen, Führungen. Aber alles ist etwas versteckt, vieles steht leer, die Eigentümerstruktur ist kompliziert und das Herzstück des Areals, Haus 18, verfällt. Die Stasiunterlagenbehörde zieht langsam um, und es gibt viele Ideen, was man aus dem Areal machen könnte - aber der politische Wille, das Ganze anzupacken, ist noch nicht so richtig da.

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So vieles wäre möglich: Die Akteure, die schon vor Ort arbeiten, wünschen sich einen Ort, der die Geschichte der Unterdrückung erfahrbar macht und wo gleichzeitig Lehren für das Heute gezogen werden können. Wo Zivilgesellschaft und Kunst im Exil Raum haben und wo Demokratie und die Sehnsucht danach erlebbar werden. Ein Ort, der offen ist, für die Berliner und die Welt. Wo Revolution und Aufarbeitung von Unrecht immer wieder neu diskutiert werden können.

In der Stasi-Zentrale könnte man das 1989 Erreichte feiern – und weiterentwickeln

Dieser Ort könnte vieles bieten: eine Jugendherberge, Restaurants und Cafés, offene Werkstätten, Filmvorführungen, Raum für Begegnungen und das Lernen voneinander. An diesem Ort könnten wir das, was wir in diesem Land in den Jahren 1989 und 1990 friedlich erreicht haben, feiern und gleichzeitig im weltweiten Kontext weiterentwickeln. Dieser Ort wäre voller Erfahrungen, Geschichten, Leben und Farbe.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier forderte in seiner Rede anlässlich des 30. Jubiläums des Tags der deutschen Einheit „mehr als ein Denkmal“ für die friedliche Revolution. Wir müssen diesen Ort nicht schaffen. Er liegt mitten in Berlin. Der Platz da und die Ideen sind es auch.

Hannah Neumann

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