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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht während einer Gedenkstunde zum "Schicksalstag der Deutschen".

© Wolfgang Kumm/dpa

Gedenken am 9. November: Frank-Walter Steinmeier: Vertrauen wir uns diesem Land an

Der Bundespräsident ruft am Gedenktag zu „demokratischem Patriotismus“ auf. Angela Merkel verspricht entschlossenes Vorgehen gegen Antisemitismus.

Angesichts des „Schicksalstages der Deutschen“, wie Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble den 9. November zum Auftakt des Gedenkens im Parlament nannte, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu einem „demokratischen Patriotismus“ aufgerufen. Die Deutschen könnten stolz sein auf die Traditionen von Freiheit und Demokratie, die im Jahr 1918 begründet worden seien, „ohne den Blick auf den Abgrund der Schoah zu verdrängen“, sagte Steinmeier. „Ja: Wir dürfen uns diesem Land anvertrauen – auch wenn beides in ihm steckt. Denn wir nehmen uns beides zu Herzen! Das ist der Kern eines aufgeklärten Patriotismus.“ Dem gehe es „weder um Lorbeerkränze noch um Dornenkronen“. Dieser Patriotismus sei „niemals laut und auftrumpfend“, er sei „ein Patriotismus mit leisen Tönen und mit gemischten Gefühlen“.

Als Gegensatz zur aufgeklärten Weltanschauung sieht der Bundespräsident den Nationalismus. Der beschwöre eine heile alte Welt, die es so nie gegeben habe. „Ein demokratischer Patriotismus aber ist kein wohliges Ruhekissen, sondern ein beständiger Ansporn, für alle.“

Im Blick darauf warb Steinmeier dafür, der Novemberrevolution von 1918 endlich den Platz zu geben, der dem Ereignis gebühre. Damals hatte Philipp Scheidemann vom Berliner Reichstagsgebäude aus die Republik ausgerufen – ein historischer „Meilenstein“, wie der Präsident erklärte, aber immer noch „ein Stiefkind unserer Demokratiegeschichte“. Zugleich seien die Katastrophe zweier Weltkriege und der Holocaust „unverrückbarer Teil der deutschen Identität“.

Das Staatsoberhaupt reklamierte außerdem die Nationalfarben für die Demokratie. „Wer heute Menschenrechte und Demokratie verächtlich macht, wer alten nationalistischen Hass wieder anfacht, der hat gewiss kein historisches Recht auf Schwarz-Rot-Gold.“ Steinmeiers Rede wurde mit langem Beifall bedacht.

Josef Schuster warnt vor wachsender Zahl "geistiger Brandstifter"

80 Jahre nach der Reichspogromnacht bekräftigte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel die Notwendigkeit, entschlossen gegen Antisemitismus und Rassismus vorzugehen. Zwar gebe es heute wieder „blühendes jüdisches Leben“ in Deutschland, zugleich aber werde dieses von einem „zunehmend offenen“, besorgniserregenden Antisemitismus bedroht, sagte Merkel bei der Gedenkveranstaltung des Zentralrats der Juden in der größten Berliner Synagoge. Der Rechtsstaat dürfe keine Toleranz zeigen, wenn Menschen aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Hautfarbe angegriffen würden, sagte Merkel.

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, warnte vor einer wachsenden Zahl „geistiger Brandstifter“, die Ängste vor Flüchtlingen schürten und gegen Asylbewerber und Muslime hetzten. Die AfD habe „diese Hetze perfektioniert“. Auch deswegen war sie vom Zentralrat nicht eingeladen worden.

In Berlin wurde darüber hinaus an den Mauerfall vor 29 Jahren erinnert. In der Gedenkstätte Berliner Mauer fanden eine Andacht in der Kapelle der Versöhnung sowie eine Gedenkveranstaltung mit Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller statt. Nach dem traditionellen Posaunenruf in Anspielung an die biblischen Trompeten von Jericho rief der Direktor der Stiftung Berliner Mauer, Axel Klausmeier, dazu auf, die in der friedlichen Revolution und im deutschen Einigungsprozess errungenen Freiheiten nicht als selbstverständlich zu erachten. In der Gedenkstätte werde deshalb an der „Vermittlung unserer europäischen Werte“ gearbeitet, sagte Klausmeier.

Alle offiziellen Redner erklärten, der 9. November stehe für die tragischsten wie für die glücklichsten Ereignisse in der deutschen Geschichte.

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