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Kreuze auf dem Soldatenfriedhof vor dem Beinhaus von Douaumont bei Verdun

© epd

Gedenken am 100. Jahrestag: Warum die Schlacht von Verdun zum Symbol wurde

Bei Verdun starben im Ersten Weltkrieg Hunderttausende französische und deutsche Soldaten in einem sinnlosen Kampf. Daran werden Frankreichs Präsident Hollande und Kanzlerin Merkel heute erinnern.

An diesem Sonntag wird Alexandre Lafon zwischen den 4000 Gästen in Douaumont Platz nehmen. Der Historiker wird darauf hoffen, dass an dem geschichtsträchtigen Ort in der Nähe von Verdun alles wie geplant abläuft, bevor François Hollande und Angela Merkel das Wort ergreifen. Zehn Minuten sind jeweils für den französischen Präsidenten und die deutsche Kanzlerin als Redezeit geplant. Das Thema: die aktuelle politische Bedeutung der Schlacht von Verdun, an deren 100. Jahrestag im Nordosten Frankreichs an diesem Sonntag erinnert wird. Aber möglicherweise werden bei dieser Gedenkfeier die Bilder wichtiger sein als die Worte.

„Verdun bedeutet das Leiden“, fasst Alexandre Lafon das Grauen der Kriegshölle zusammen, und das wird sich in der Zeremonie an diesem Sonntag widerspiegeln. Die Schlacht von Verdun, bei der sich deutsche und französische Soldaten zwischen Februar und Dezember 1916 einen sinnlosen Stellungskrieg lieferten, ist in den vergangenen Monaten zur beruflichen Kraftprobe für den Bildungsexperten Lafon geworden. Seit 2012 steuert er eine von der französischen Regierung gegründete Interessengemeinschaft, die „Mission du Centenaire“, welche die Gedenkfeiern zum 100. Jahrestag des Ersten Weltkriegs organisiert. Die Feiern von Verdun haben dabei einen besonderen Stellenwert.

„Verdun ist ein Mythos“, sagt Lafon.

Französische Soldaten in einem eroberten deutschen Schützengraben.
Französische Soldaten in einem eroberten deutschen Schützengraben.

© IMAGO

Während des Ersten Weltkriegs gab es Schlachten, bei denen noch mehr Tote zu beklagen waren als in Verdun, wo mindestens 300.000 Soldaten den Tod fanden. So starben bei der Schlacht an der Somme ab Juli 1916 mehr als eine Million Menschen. Dennoch nimmt Verdun für die Franzosen einen ganz besonderen Platz in der Geschichte ein. „Es war ein Abwehrkampf, den die Franzosen allein ohne die Hilfe der Verbündeten bestanden haben“, sagt Lafon. An der Somme, dem anderen wichtigen Kriegsschauplatz an der Westfront, wurden die französischen Truppen bei ihrer Offensive gegen deutsche Stellungen von britischen Soldaten unterstützt.

Abnutzungskrieg in Schützengräben

Frankreich zahlte 1916 einen hohen Preis, um die Einnahme Verduns durch deutsche Soldaten zu verhindern. In einem Rotationsverfahren wurden ständig neue Soldaten an die Front geworfen. „Drei Viertel aller französischen Soldaten waren in Verdun“, erklärt Lafon. Den Abnutzungskrieg in den Schützengräben, die zum Teil nur wenige Dutzend Meter voneinander entfernt waren, beschrieb ein „Poilu“, ein französischer Frontsoldat, in einem Feldpostbrief so: „Überall gibt es Explosionen, vorne, hinten. Die Kameraden fallen.“ Verdun ist auch das Symbol einer bis dahin ungekannten Materialschlacht – Maschinengewehre, Flugzeuge und Giftgas kamen zum Einsatz.

Inzwischen gibt es keine Veteranen mehr, die vom Horror des Ersten Weltkriegs erzählen können. Die Erinnerung an die Soldaten, die in Verdun ihr Leben ließen, ist aber nicht verblasst. Sie lebt weiter auf den riesigen Gräberfeldern, wie sie auch vor dem Beinhaus von Douaumont zu sehen sind. In dem Beinhaus, dem „Ossuaire“, liegen die Knochen und Schädel von 130.000 nicht identifizierten Soldaten – Deutschen und Franzosen. Vor dem langgestreckten Gebäude, über dem sich ein Turm in Form einer Granate erhebt, werden Hollande und Merkel an diesem Sonntag ihre Reden zum Verdun-Jahrestag halten. Prägen dürften diesen Tag aber weniger Worte als Eindrücke – etwa die Bilder von den etwa 4000 Jugendlichen aus Deutschland und Frankreich, die an der zentralen Zeremonie in Douaumont teilnehmen. Am Ende der vom Regisseur Volker Schlöndorff inszenierten Feier, so ist es geplant, werden Merkel und Hollande gemeinsam mit zwei Kindern am Beinhaus der Kriegsopfer gedenken. Die Symbolik ist klar: Die Erinnerung an die Kriegsgräuel muss von jeder Generation aufs Neue wachgehalten werden.

Versöhnung über Gräbern. Bundeskanzler Helmut Kohl und Frankreichs Präsident Francois Mitterrand 1984 bei Verdun.
Versöhnung über Gräbern. Bundeskanzler Helmut Kohl und Frankreichs Präsident Francois Mitterrand 1984 bei Verdun.

© AFP

Ganz bewusst wollen es Hollande und Merkel vermeiden, den berühmten Handschlag von Helmut Kohl und François Mitterrand zu wiederholen, der 1984 an der gleichen Stelle Geschichte machte. „Was wir mit der Kanzlerin vorhaben, ist nicht die Versöhnung. Sie hat bereits stattgefunden. Worum es geht, ist die Wiederbelebung des europäischen Ideals“, umriss Hollande jüngst in einem Interview mit dem Radiosender „France Culture“ seine Vorstellung für den Jahrestag.

In den Augen des Historikers Jean-Michel Guieu ist es eine ganz natürliche Sache, dass Verdun für die beiden Nachkriegs-Kinder Merkel und Hollande eine andere Bedeutung hat als noch für Mitterrand und Kohl. Für Kohl und Mitterrand, der übrigens im Verdun-Jahr 1916 geboren wurde, war der Schrecken des Zweiten Weltkriegs noch präsent. Umso überraschender war es seinerzeit im Jahr 1984, als Mitterrand bei der Zeremonie vor dem Beinhaus in Douaumont spontan – jedenfalls wirkte es so – die Hand ausstreckte und Kohl sie ergriff. „Die Überraschung war so groß, dass die Fernsehkameras den kurzen Moment, als sich die eine Hand nach der anderen ausstreckte, nicht festgehalten haben“, erzählt Guieu. Mit Blick auf die Begegnung von Hollande und Merkel an diesem Sonntag in Verdun steht für ihn fest: „Welche Geste, die stärker wäre als der Handschlag zwischen Mitterrand und Kohl, könnten die beiden benutzen? Es gibt keine.“

Hollandes Wunsch

Wenn also zwischen den einstigen „Erbfeinden“ Deutschland und Frankreich längst europäische Normalität herrscht, lässt sich aber nicht ignorieren, dass die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Frankreich einen ganz anderen Stellenwert hat als hierzulande. Das fängt schon damit an, dass sich im Nachbarland viel mehr Historiker mit dem „Grande Guerre“ – dem „Großen Krieg“ zwischen 1914 und 1918 – beschäftigen als in Deutschland. „Die Kriege im ehemaligen Jugoslawien haben der Forschung in den Neunzigerjahren einen neuen Impuls gegeben“, erklärt Jean-Michel Guieu das Phänomen.

Hinzu kommt, dass der Wunsch von Hollande, die hundertsten Jahrestage zwischen 2014 und 2018 mit groß angelegten Gedenkfeiern zu begleiten, in Deutschland zunächst nur sehr zögerlich aufgenommen wurde. Ende 2013 hatte Hollande mit einer Rede die Feierlichkeiten eingeleitet. „Gedenken heißt, den Patriotismus zu erneuern“, erklärte der Präsident seinerzeit. Im Auswärtigen Amt herrschte damals angesichts des Wunschs in Paris, die Deutschen sollten sich möglichst an den Erinnerungs-Feiern beteiligen, zunächst einmal Funkstille. Das lag nicht zuletzt an einer grundsätzlichen Zurückhaltung, in die Gedenkfeiern der ehemaligen Siegerstaaten einbezogen zu werden. Doch davon ist man inzwischen abgerückt: Hollande und Bundespräsident Joachim Gauck riefen 2014 im Elsass zum Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs gemeinsam dazu auf, den Frieden in Europa zu wahren.

Aber auch in Frankreich ist Hollandes Wunsch, das Weltkriegs-Gedenken möglichst breit zu verankern, nicht ganz unumstritten. Spötter meinen, dass sich der Präsident entweder im Ausland aufhalte oder Gedenkreden halte, statt sich um die brennenden innenpolitischen Alltagsprobleme zu kümmern.

Apropos: Das europäische Alltagsgeschäft steht für Merkel und Hollande auch auf dem Programm. Beim gemeinsamen Arbeitsmittagessen in Verdun dürfte es unter anderem um das EU-Referendum am 23. Juni in Großbritannien gehen. Anfang Juli steht in Frankreich übrigens die nächste Gedenkveranstaltung ins Haus, wenn an die Schlacht an der Somme erinnert wird. Ob der britische Premierminister David Cameron kommt, steht noch nicht fest.

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