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People of Color im Blickfeld der Polizei - dagegen gab es Protest, unter anderem in Düsseldorf.

© Björn Kietzmann

GdP-Landeschefin zu Polizei und Rassismus: "Eine Studie zu Racial Profiling wäre eine Chance"

Seit 23 Jahren Polizistin, seit zwei Jahren GdP-Landeschefin: Sabrina Kunz über Rassismus, Korpsgeist - und warum Beschwerdestellen auch der Polizei nützen.

Sabrina Kunz ist seit zwei Jahren Landeschefin der Gewerkschaft der Polizei in Rheinland-Pfalz. Im Interview spricht die 40-Jährige überstrukturellen Rassismus in der Polizei und warum sie eine Studie zu Racial Profiling befürwortet.

So stark in der Diskussion wie gerade jetzt war die Polizei in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie, Frau Kunz, oder?
Oh doch, wir hatten schon Mitte der 1990er Jahre eine ähnlich hitzig geführte Debatte. Damals ging es, wie man das seinerzeit nannte, um Fremdenfeindlichkeit. Es gab entsprechende Vorwürfe von Amnesty International und die Innenministerkonferenz beschloss damals, eine Studie „Polizei und Fremde“ in Auftrag zu geben.

Ergebnis?
Es wurden 115 Polizisten – seinerzeit sprach man nicht von Polizistinnen – aus drei Ost- und drei Westländern befragt. Das Ergebnis war ernüchternd: Es wurde der Polizei zwar kein strukturelles Problem mit Fremdenfeindlichkeit bescheinigt, aber es gab eine hohe Zahl von Vorfällen, die Gründe waren unter anderem Stress, Überforderung, mangelndes Führungsverhalten oder fehlende Reflexion.

Das löste, jedenfalls bei uns in Rheinland-Pfalz, eine Kette von Maßnahmen aus. Ein Kriseninterventionsdienst wurde eingerichtet, statt der zweijährigen Ausbildung im mittleren Polizeidienst wurde das dreijährige Studium Standard für alle, es wurde eine bis heute existierende Kommission Innere Führung gegründet.

Interkulturelle Schulung wurde in die Ausbildung und in die Fortbildung integriert und zwar nicht nur theoretisch, sondern in praktischem Kommunikationstraining: Was tun unter Stress, im Einsatz? Wie verhalte ich mich in einer Moschee – wenn ich dort eingeladen bin, aber auch, wenn ich dort einen Einsatz habe?

Wir sind seither zum Beispiel in ständigem Austausch mit Moscheen, aber auch mit jüdischen Einrichtungen getreten, es gab ein dauerhaftes Bemühen um Frauen für den Polizeidienst – mit dem Erfolg, dass wir zum Einstellungstermin Oktober im letzten Jahr 38 Prozent Anwärterinnen hatten. Zudem stellen wir nunmehr auch seit vielen Jahren Anwärterinnen und Anwärter mit Migrationshintergrund ein.

Sabrina Kunz, Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Rheinland-Pfalz
Sabrina Kunz, Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Rheinland-Pfalz

© GdP

Ein ganz wesentlicher Kritikpunkt in der aktuellen Debatte sind unabhängige Beschwerdestellen. Betroffene beklagen, dass ihre Beschwerden über diskriminierende Polizeihandeln immer bei der Polizei selbst auflaufen – mit dem vorhersehbaren Ergebnis, dass sie am Ende als nicht stichhaltig gelten.  
Wir sind hier im Land der Diskussion in gewisser Weise mehrere Jahre voraus. Damals wurde auf Initiative meines Vorgängers Ernst Scharbach das Amt einer Polizeibeauftragten geschaffen. Sie ist nur dem Parlament verantwortlich und ihre Ermittlungen sind ganz und gar losgelöst von der internen Bearbeitung von Beschwerden, die natürlich nach wie vor auch in der Polizei  aufschlagen.

Sie tritt mit den Beschwerdeführern in Kontakt, aber auch mit der Polizei, und berichtet ausschließlich dem Parlament, auch schon einmal im Innenausschuss des Landtages. Übrigens ist sie damit auch Ansprechpartnerin für die Probleme von Kolleginnen und Kollegen.

Auch dies ein mehrfach dokumentiertes Problem: Whistleblower in der Polizei, die rassistische Übergriffe melden, bekommen Probleme im Kollegenkreis. Zivilgesellschaftliche Initiativen haben etliche Disziplinarverfahren aufgelistet, manche verlassen irgendwann entnervt den Polizeidienst.

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In Rheinland-Pfalz ist da die Polizeibeauftragte eine zusätzliche Anlaufstelle und zwar eine, mit der man den Dienstweg nicht verletzt, was grundsätzlich eine Dienstpflichtverletzung wäre. Uns ist es ja nach diesen ziemlich alten beamtenrechtlichen Regeln verboten, „in die Öffentlichkeit zu flüchten“.  Dies gilt aber dann nicht, wenn Personalvertretungen oder die Polizeibeauftragte durch die Kolleginnen und Kollegen kontaktiert und angesprochen werden.   

Sie halten solche unabhängigen Beschwerdeinstanzen also offensichtlich für hilfreich.
Sie meinen das rheinland-pfälzische Modell der Polizeibeauftragten? Dann ja und unbedingt.

Warum hat dann die Polizei quasi unisono, und auch der Bundesvorstand Ihrer Gewerkschaft, sich so massiv dagegen positioniert?
Womöglich, weil man anderswo noch nicht so weit ist? Würde ich mit Ihnen als Hamburger oder Berliner Polizistin sprechen, sähe ich die Dinge vielleicht auch anders. Es empfiehlt sich für alle, hier eine differenzierte Debatte zu führen.

Worüber reden wir? Reden wir über das Modell Rheinland-Pfalz oder reden wir über eine unabhängige Beschwerdestelle mit umfassenden Ermittlungskompetenzen, die sich lediglich um Eingaben aus der Bevölkerung kümmert, nicht aber mit Beschwerden aus der Binnenbetrachtung der Polizei?

Damals gab es auch in Rheinland-Pfalz einen Aufschrei, als die rot-grüne Landesregierung eine Polizeibeauftragte berief. Inzwischen sind aber alle Seiten sehr zufrieden. Unter anderem deswegen, weil sie in beide Richtungen kommuniziert. Da lässt sich auch Beschwerdeführern im einen oder andern Fall klarmachen, dass das, was bei ihnen als  rassistisch ankam, Gründe hatte, die damit nichts zu tun hatten. Und wir können auch Rassismus gegen uns selbst auf diese Weise thematisieren. „Was haben denn Schwarze bei der Polizei zu suchen?“ Auch diese Reaktion auf PoC in der Polizei gibt es, aus der Bevölkerung und aus den eigenen Reihen.

Hat sich das Institut der Polizeibeauftragten auf die Fallzahlen ausgewirkt?
Für mich sind Fallzahlen da nicht die richtige Größe. Was ist ein Fall? Einer, der zu einer Beschwerde bei der Beauftragten führt oder diskriminierendes Verhalten von Polizeibeamten, das als solches nicht erkannt wird, vielleicht auch von einem selbst nicht? Rassismus und diskriminierendes Verhalten folgt doch aus der schärfesten Form von Vorurteilen. Niemand kann sich davon frei machen. Man hat sie, ob man es will oder nicht. Entscheidend ist doch, dass man lernt, diese abzubauen und Menschen vorurteilsfrei zu begegnen.

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Messbar wären doch Fälle, die bei der Beauftragten aufliefen, und bei denen sie am Ende Fehlverhalten von Beamtinnen und Beamten feststellt.
Davon gab es in den letzten Jahren praktisch nie mehr als einen pro Jahr. Und mir ist kein Fall bekannt, in dem es auch nachweislich zu rassistischem Verhalten gekommen ist. Oftmals fehlt den Betroffenen auch das Wissen darüber, warum die Polizei eingeschritten ist und dass das Einschreiten möglicherweise rechtlich und tatsächlich vollkommen legitimiert war.

Gerade hat sich in der Mainzer Altstadt, quasi vor Ihrer Haustür, ein Fall ereignet, wo mehrere Augenzeugen von unverhältnismäßiger Gewalt gegen einen Betrunkenen sprechen.
Ich vertraue hier auf eine umfassende Aufklärung und Ermittlungsarbeit durch das zuständige Mainzer Polizeipräsidium und die zuständige Staatsanwaltschaft. Sollten sich die Vorwürfe aufgrund der Ermittlungen belegen lassen, sind straf- und gegebenenfalls disziplinarrechtliche Sanktionen erforderlich.

Ein Blick über den Rhein nach Hessen zeigt, dass die Polizei womöglich nicht immer und überall einer – demokratischen – Kontrolle unterliegt. Was sagen Sie zu den Drohungen, die seit zwei Jahren dort offenbar aus Polizeicomputern gespeist gegen Bürgerinnen verschickt wurden: Erst gegen die Anwältin Seda Basar-Yildiz, dann gegen die Linken-Politikerinnen Martina Renner und Janine Wissler, gegen die Kabarettistin Idil Baydar – von weiteren Fällen ist die Rede?
Ich kann mich den Reaktionen meines hessischen Kollegen nur anschließen. Alle Polizistinnen und Polizisten, die tagein und tagaus einen sehr guten Dienst leisten, verdienen es, dass dieser Sachverhalt schnell und vor allem lückenlos aufgeklärt wird. Sollten Polizistinnen und Polizisten dafür verantwortlich sein, dann haben sie in der Polizei nichts zu suchen. Dann erwarte ich, dass es zu zügigen Entfernungen aus dem Dienst kommt. Durch diese einzelnen menschenverachtenden Taten, von denen jede einzelne Tat eine zu viel ist, erleidet das große Vertrauen der Bevölkerung in ihre Polizei - auch über die Landesgrenzen Hessens hinweg - einen massiven Schaden.

Glauben Sie, die Einrichtung unabhängiger Beschwerdeinstanzen hat generalpräventiven Effekt, verhindert also schon im Vorfeld rassistisches Verhalten, weil Täter eine Untersuchung fürchten müssen?
Auf jeden Fall, davon bin ich fest überzeugt. Übrigens in beide Richtungen. Es werden auch Polizistinnen und Polizisten mit Migrationshintergrund im Dienst diskriminiert oder rassistisch angegangen. Dies gehört zur Wahrheit auch dazu. 

Der Bundesinnenminister hat es jetzt abgelehnt, wie von Europa gefordert, eine Studie zu Racial Profiling in Auftrag zu geben. Sind Sie seiner Meinung?
Die Aufforderung der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) stammt vom Dezember 2019. Was hat sich seither verändert? Nichts. Die ECRI hatte zwei dringende Handlungsfelder für Deutschland identifiziert, eines davon war Racial Profiling. Ich wünschte mir, die Politik würde die Nerven behalten. Eine solche Studie wäre aber eine Chance, sich alle Polizeigesetze des Bundes und der Länder vorzunehmen und die Ermächtigungsnormen darin anzusehen: Fördern sie Racial Profiling? Dann muss man sie ändern.

Zudem könnte eine Studie dazu geeignet sein, in beide Richtungen zu vermitteln. Insofern erwarte ich von der Politik ein klares Statement darüber, was sie mit einer Studie bezwecken und was sie untersuchen möchten. Ich erwarte von der Politik, dass sie sich der Thematik "Alltagsrassismus" insgesamt mehr stellt. Dieser findet überall statt: in Schulen, in Betrieben, in der Politik, im öffentlichen Dienst und somit auch in der Polizei, im zivilrechtlichen Bereich und und und. Wir brauchen Aufklärung und Prävention in allen Bereichen, um diese "Vorurteilsstrukturen" abzubauen.

Etliche Ihrer leitenden Kolleginnen und Kollegen sind ohnehin der Meinung, Rassismus gebe es nicht in der Polizei. Was meinen Sie dazu? Man muss doch annehmen, dass er mindestens so verbreitet ist wie in der Bevölkerung – dort aber schlimmere Folgen hat, wegen der Gewaltmittel, die die Polizei hat, und wegen ihrer sozialen Autorität.  
Darf ich da weiter ausholen? Die Polizei ist nicht das Spiegelbild der Gesellschaft! Unsere Einstellungsverfahren sind inzwischen sehr engmaschig, da wird Verfassungstreue abgefragt und das Wertesystem der Kandidatinnen und Kandidaten geprüft. Das heißt, schon zu Studienbeginn haben Sie eine Positivauswahl, die Polizei siebt aus. Wir leben in Rheinland-Pfalz das sogenannte Campus-Modell. Das bedeutet, dass die Studierenden an der Hochschule studieren, dort aber auch zusammenleben können.

Die Sozialisierung, beziehungsweise die Hilfe dabei, in die Rolle „Polizistin oder Polizist“ zu schlüpfen, ist sehr breit und interdisziplinär aufgestellt. Jeder Studiengruppe wird ein so genannter Führungs- und Vertrauensdozent beiseite gestellt, der die einzelnen Anwärter und Anwärterinnen im Laufe der Jahre sehr gut kennenlernt. Auch so können Verhaltensauffälligkeiten, die sich im Studium zeigen, schnell einer Reaktion zugeführt werden. Dies kann auch die Entlassung sein.

Das heißt, alle, die andere Erfahrungen mit der Polizei machen, irren sich?
Halt. Natürlich rutschen da auch ein paar andere Leute durch. Ich selbst habe aber als Dozentin an der Polizeihochschule selbst weit über 1000 junge Leute kennengelernt und für weit über 90 Prozent war der Beruf Berufung, sie wollten helfen, die Demokratie verteidigen und den Rechtsstaat gewährleisten. Wir können in gewisser Weise stolz auf unseren Nachwuchs sein, das ist meine ganz persönliche Erfahrung.

Soweit die Ausbildung. Und was passiert dann?
Dann beginnen junge Polizistinnen und Polizisten praktische Erfahrungen im Beruf zu sammeln und dann wird es schwierig.  Sie erleben als Polizistin oder als Polizist in ihrem beruflichen Alltag in einem Dienstjahr so viele belastende Ereignisse, wie manch ein Mensch in seinem ganzen Leben nicht. Das ist statistisch belegt.

Dann haben sie viel zu wenig Möglichkeiten, diese Erfahrungen zu verarbeiten und zu reflektieren. Wir sind täglich mit Gewalt, Unfällen, Kriminalität, Konflikten konfrontiert, aber es gibt noch immer keine flächendeckende Supervision dafür. Nehmen sie Kinderpornografie. Wer sich damit ständig beschäftigen muss, braucht Hilfe, zwischenmenschliche Betreuung, damit sie oder er in den Einstellungen nicht abgleitet. Das müsste auch in der eigenen Dienstgruppe möglichst gleich aufgearbeitet werden, aber das passiert noch viel zu wenig.

Dazu kommt, dass sich zum Beispiel in meinem Land, in Rheinland-Pfalz, die Polizei gerade stark verjüngt. In den nächsten Jahren wird mehr als ein Drittel der Polizei durch junge Leute ersetzt. Für die muss gesorgt sein. Sie alle werden mit ihren Belastungen in ihrem dienstlichen Umfeld alt. Das hinterlässt Spuren, das kann ich Ihnen aus meinem eigenen Erleben versicheren. Ich kann Ihnen zum Beispiel nach über 20 Jahren noch alle Details des ersten Suizids schildern, den ich in meinem dienstlichen Alltag erlebt habe. Das zeigt, wie belastend dies ist.

Was ist mit traditionellen Strukturen? Whistleblower, die Fehlverhalten von Kolleginnen und Kollegen anzeigen, dürften es bei Ihnen noch viel schwerer haben als in anderen Berufen. Über die Möglichkeit eines Disziplinarverfahren sprachen wir schon. Und es wird ja auch immer wieder betont, wie wichtig es ist, dass man sich im Einsatz blind aufeinander verlassen muss.
Ich habe mit 17 bei der Polizei angefangen, jetzt bin ich 40. Seit fast zwanzig Jahren bin ich aktive Gewerkschafterin und habe mit meiner Meinung nie hinterm Berg gehalten. Heute bin ich Polizeidirektorin und Vorsitzende des Hauptpersonalrats Polizei beim Landesinnenministerium. Ich habe keinen Karriereknick erlebt oder Ausgrenzung. Institutionell gibt es das nicht. Im Gegenteil.

Es gibt aber sicher auch heute noch vereinzelt Vorgesetzte und Strukturen, die es Menschen mit weniger Selbstbewusstsein schwer machen, sich gegen Dinge zu wehren, die falsch laufen, oder sich lauthals zu Wort zu melden. Und dann wird es gefährlich.  Wir müssen immer aufpassen, dass sich kein negativer Korpsgeist entwickelt. Und genau dafür brauchen wir dringend auch Sachverstand und Fachleute von außen. Hier sind sehr gute Weichen gestellt, aber die Maßnahmen müssen weiter ausgebaut werden.

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