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Bundespräsident Joachim Gauck sprach am Freitag in München bei der 50. Sicherheitskonferenz.

© dpa

Gaucks Rede auf der Sicherheitskonferenz: Unbequeme Fragen an die Nation

Bundespräsident Joachim Gauck hat die Münchner Sicherheitskonferenz eröffnet. Wie beurteilt er Deutschlands Rolle in der Welt?

Der Mann hat Pfarrer gelernt. Er weiß, als er um 15 Uhr 15 ans Rednerpult der 50. Münchener Sicherheitskonferenz tritt, dass ihm mindestens drei verschiedene Gemeinden mit sehr eigenen Hoffnungen und Ängsten zuhören. Minister aus beiden Parteien der Großen Koalition haben in den jüngsten Tagen die Erwartung geweckt, dass Deutschland künftig mehr internationale Verantwortung übernimmt. Die „Kultur der Zurückhaltung“ dürfe keine „Philosophie des Heraushaltens“ sein, hat Außenminister Steinmeier (SPD) gesagt. Die neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat die Beteiligung an Militärmissionen in Afrika angekündigt.

Da sind, zweitens, die deutschen Bürger, die mehr Verantwortung offenbar mehrheitlich als mehr Belastung verstehen – „mehr zahlen“ und „mehr schießen“ und „mehr Ärger“ in den Worten des Bundespräsidenten – und wenig Begeisterung zeigen. 45 Prozent der Deutschen meinen ohnehin schon, die Bundeswehr beteilige sich an zu vielen Auslandseinsätzen, nur 12 Prozent sind gegenteiliger Meinung.

Die Deutschen - die „Drückeberger“

Und da sind, drittens, die ausländischen Gäste im Ballsaal des Bayerischen Hofs, die in ihrer ganz großen Mehrheit schon seit Jahren drängen, die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt solle mehr tun. Kaum ein Land profitiert mehr von Frieden und sicheren Handelswegen als der Exportweltmeister. Diese Adressaten hören die Worte wohl. Manche bleiben jedoch skeptisch. Das Bekenntnis zu gerechter Lastenteilung haben sie oft gehört. Aber was folgt daraus? Manche sehen in den Deutschen „Drückeberger“, sagt Joachim Gauck. Bleibt es auch jetzt bei schönen Worten oder folgen diesmal Taten – in der Ukraine, in Afrika und anderswo?

„Vertrauen“ ist das Wort, das der Bundespräsident in den Mittelpunkt stellt. Vor allem bittet er die Deutschen um mehr Vertrauen zu sich selbst. Zugleich bittet er die Partner im Ausland um Vertrauen, dass dieses Deutschland seinen Weg zu mehr Verantwortung schon finden werde – und um Verständnis, dass „wir die noch nicht eingeübt haben“.

Die Botschaft ist klar: Der Bundespräsident wünscht sich, dass Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernimmt. Er kleidet diese Aufforderung jedoch in eine vorsichtige Rhetorik. Seine Beispiele formuliert er als Fragen. Man kann sie leicht als Kritik an einer vorherrschenden Geisteshaltung verstehen. „Tun wir, was wir können, um unsere Nachbarschaft zu stabilisieren, im Osten wie in Afrika? Tun wir, was wir müssten, um den Gefahren des Terrorismus zu begegnen?“ Und wenn wir uns aus überzeugenden Gründen zu Militäreinsätzen gemeinsam mit Verbündeten entschließen, „sind wir dann bereit, die Risiken fair mit ihnen zu teilen?“ Gauck fragt auch: „Interessieren wir uns überhaupt für manche Weltgegenden so, wie es die Bedeutung dieser Länder verlangt?“ Und er erinnert daran: Jede Entscheidung bedeutet die Übernahme moralischer Verantwortung. Schuldig machen kann sich nicht nur, wer handelt. Sondern auch der, der nichts tue. „Ich leide wie viele Menschenrechtsverteidiger in aller Welt daran, dass nicht überall eingegriffen wird, wo es ethisch, zum Schutz von Leib und Leben bedrohter Menschen, geboten wäre“ bekennt Gauck – zum Beispiel in Syrien.

„Geistige Ressourcen“ in die Welt senden - nicht Geld oder Soldaten

Aber der Pfarrer in ihm beruhigt sogleich auch seine deutsche Gemeinde. Mehr Verantwortung bedeutet nicht „mehr Kraftmeierei“. Sie bedeutet auch nicht zuerst mehr Militäreinsätze. Deutschland handele ja ohnehin nur eingebunden in Bündnissysteme und internationale Organisationen. Vor jeder Entsendung der Bundeswehr stehen Bundestagsbeschlüsse und ein Mandat der Vereinten Nationen. Es kann Geld kosten, Probleme zu lösen. „Manchmal kann auch der Einsatz von Soldaten erforderlich sein.“ Den unpopulären Einsatz in Afghanistan nennt Gauck „notwendig“.

Vor allem aber wünscht er sich eine offene und regelmäßige Debatte über Deutschlands Rolle in der Welt. Er denke dabei mehr an „geistige Ressourcen“ als an Geld und Soldaten, an den Dialog mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Seit 1994 habe der Bundestag 240 Mal über Mandate für Auslandseinsätze beraten, aber weniger als zehn Mal grundsätzlich über deutsche Außen- und Sicherheitspolitik diskutiert. Unter jungen Politikern gelte es als „nicht karrierefördernd“, sich mit diesen Fragen zu befassen. Gauck schließt mit einem Appell: „Lassen Sie uns nicht die Augen verschließen, vor Bedrohungen nicht fliehen, sondern standhalten, universelle Werte weder vergessen noch verlassen oder verraten, sondern gemeinsam mit Freunden und Partnern zu ihnen stehen, sie glaubwürdig vorleben und sie verteidigen.“

Dieses Nebeneinander von Emphase und Vorsicht hinterlässt bei manchen ausländischen Gästen in München ambivalente Gefühle. Zbigniew Brzezinski, früher Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter und bis heute eine Autorität in den USA, sagt, er sei „beeindruckt von der gedankenreichen Rede“; Gauck habe den richtigen Ton getroffen. „Gute Rede“ urteilen auch Steve Clemons, Chefredakteur der Fachzeitschrift „The Atlantic“ und Peter van Praagh, Gastgeber der anderen großen westlichen Sicherheitskonferenz, dem Halifax Security Forum in Kanada, von dem München sich in diesem Jahr manche Inszenierungstricks abgeschaut hat. Clemons setzt aber hinzu: „Wir warten auf mehr Taten, nicht auf mehr Worte.“ Der Bundespräsident könne eben nur mahnen. Er sei nicht die Regierung.

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