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Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) erklärt die Gasumlage am Montag.

© Annegret Hilse/REUTERS

Update

Gasumlage voller Widersprüche: Warum zahlt nur die Hälfte der Gesellschaft?

Rettung des Versorgungssystems, Entlastung der Ärmsten, Steuerung der Energiewende? Die Ampel erklärt schlecht, worum es ihr im Kern geht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Ein staatlicher Eingriff, der ähnlich viele Probleme schafft, wie er löst, und voller Widersprüche steckt, hat es schwer, die Bürger von dessen Sinn zu überzeugen. Das war von Anfang an die Krux mit der Gasumlage.

Die Ampel stellt sich erneut selbst ein Bein mit miserabler Kommunikation. Geht es in erster Linie um die Rettung unverzichtbarer Versorger wie Uniper, um die Entlastung existenzbedrohter Familien oder um Steuerungseffekte in der Energiewende?

Die Abgabe sei nötig, damit das System der Energieversorgung in Deutschland nicht zusammenbricht, heißt es. Firmen wie Uniper haben sich verpflichtet, zu bestimmten Preisen Gas zu liefern, auch an Stadtwerke.

Wegen des Kriegs können sie Gas nur zu einem Mehrfachen des Garantiepreises kaufen. Sie brauchen Hilfe, um zu überleben, bis die Verträge die Anpassung der Weitergabepreise erlauben.

Nur die Hälfte der Haushalte soll die Umlage zahlen

Daher die Abgabe. Zahlen sollen sie jedoch nur die Haushalte, die Gas nutzen – also etwa die Hälfte. In der Wirtschaft trifft sie die Branchen besonders hart, die auf Gas angewiesen sind und nicht auf andere Energieträger umsteigen können wie die Chemie- und Glasindustrie sowie alle, die für Produktion und Vertrieb Kühlung brauchen, etwa bei Arznei- und Lebensmitteln.

Einen Teilausfall der Gasversorgung bekäme jede und jeder zu spüren. Warum wird die Rettung des Systems dann nicht als gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachtet, die alle mitfinanzieren? Warum trifft es nur Gaskunden?

Der Zorn der Betroffenen ist sicher. Sie haben doch nichts falsch gemacht. Wechselnde Regierungen hatten Gas als gute Wahl zum günstigen Preis gelobt und als unverzichtbare Brückentechnik ins Zeitalter der Erneuerbaren.

Der Preissprung ist happig. Vor einem Jahr kostete die Kilowattstunde unter sechs Cent. Allein die Umlage bedeutet eine Erhöhung um annähernd die Hälfte. Im Vergleich war die EEG-Umlage zum Ausbau der Erneuerbaren als Anteil vom Strompreis „peanuts“.

Die Steuerungswirkung ist auch ohne garantiert

Die Gasumlage kommt zudem „on top“ auf die Marktpreise, die sich wegen des Ukrainekriegs verdoppelt bis verdreifacht haben. Warum muss der Staat den Schmerz im Portemonnaie noch steigern? Die „Steuerungswirkung“ ist dank explodierender Preise auch ohne Umlage längst garantiert.

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Gäbe es andere Wege? Durchaus, freilich führen auch sie zu Widersprüchen. In anderen Notlagen wie der globalen Finanzkrise und der Pandemie hat der Staat systemrelevante Konzerne mit Steuergeld gerettet, im Gegenzug Unternehmensanteile übernommen und sie später, wenn die Firmen zurück im Geschäft waren, mit Gewinn verkauft.

Gute Beispiele sind die Lufthansa, Tui und Adidas. Bei der Commerzbank lief es nicht so gut, der Staat hält immer noch Anteile in der Hoffnung, sie später ohne Verluste loszuwerden.

Auch beim Gasversorger Uniper hat der Staat für die Überlebenshilfe 30 Prozent der Anteile übernommen. Aber warum nur Uniper? Warum macht der Staat nicht allen relevanten Versorgern, die in Existenznot geraten, das Angebot?

Die Regierung will die Gasbranche nicht langfristig retten

Das wäre das falsche Signal, sagen Verteidiger der Umlage. Anders als bei den Rettungen anderer Branchen ist gar nicht gewünscht, dass die Gasversorger ihr Geschäft irgendwann fortsetzen wie vor der Krise. Die Verbraucher sollen mit der Umlage lediglich eine Überbrückung finanzieren.

Was zu zwei weiteren Widersprüchen führt. Experten erwarten, dass die Gaspreise 2023 sinken. Die deutschen Verbraucher sollen die Umlage aber bis 1. April 2024 zahlen.

[Mehr zur Gasumlage und zur Frage, welche Haushalte entlastet werden, bei Tagesspiegel Plus: Chef des Mieterbunds warnt: Millionen Haushalte werden nicht zahlen können

Und: Wer in diesen Monaten einen neuen Gasvertrag abschließt, bindet sich an die derzeit hohen Preise und muss sie zahlen, wenn sie am Markt wieder gesunken sind. Viele Gasversorger, die jetzt unter der Zeitverzögerung bei der Weitergabe höherer Preise leiden, werden Übergewinne bei sinkenden Preisen machen.

Wäre statt der Umlage eventuell eine Staatshilfe für Gasversorger besser gewesen mit der Auflage, dass die sinkende Preise 2023 und 2024 direkt an die Verbraucher weitergeben, statt maximale Gewinne zu erzielen? Das wäre ein effektiverer Eingriff, um Übergewinnen in der Gasbranche vorzubeugen, als eine Steuer auf Übergewinne, bei der viele Fragen zu ihrer Berechnung offen sind.

Welchen Haushalten will die Ampel helfen? Das bleibt im Nebel

Zusätzliche Irritationen bringen Sozialpolitiker der Ampel und die ihnen nahestehenden Verbände in die Diskussion um die Gasumlage. Bis zu welcher Einkommensgrenze muss Haushalten geholfen werden, und ab welcher Grenze kann man Menschen zumuten, die neuen hohen Preise zu bezahlen, auch wenn es schmerzt?

Hilfe erwarten dürfen vielleicht die unteren 20 Prozent der Gesellschaft. 80 Prozent werden den Preisschmerz ertragen müssen und dürfen lediglich auf eine Entlastung durch einen Inflationsausgleich im Steuertarif hoffen. Das sollten auch alle drei Parteien der Ampel kommunizieren.

Denn wenn die Ampel ein breites Verständnis für die Gasumlage anstrebt, braucht sie bessere Antworten als bisher.

In einer früheren Version des Artikels wurde auf ein Interview mit dem Präsidenten des Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, mit einer irreführenden Überschrift hingewiesen. Sie suggerierte eine Forderung, die Herr Siebenkotten so explizit nicht erhoben hat. Wir bitten dies zu entschuldigen.

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