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Andreas Bovenschulte, SPD-Bürgermeister in Bremen.

© Tristan Vankann

Steigende Energiepreise: Gasumlage hier und Rekordgewinne da – das passt nicht zusammen

Wir brauchen eine zweite Energiepreispauschale noch in diesem Jahr. Und die Übergewinne der Energiekonzerne könnten das finanzieren. Ein Gastbeitrag.

Andreas Bovenschulte (SPD) ist seit 2019 Bürgermeister der Hansestadt Bremen und Präsident des Bremer Senats

Kann es richtig sein, dass Bund, Länder und Gemeinden zig Milliarden Euro in die Hand nehmen müssen, um diejenigen zu unterstützen, die unter den hohen Energiepreisen und anderen Folgen des Ukraine-Kriegs leiden, während gleichzeitig einige Unternehmen eben wegen der hohen Energiepreise so richtig Kasse machen?

Kann es richtig sein, dass viele Bürgerinnen und Bürger wegen steigender Preise am Ende des Monats nicht mehr wissen, wie sie den Einkauf im Supermarkt bezahlen sollen, während die Mineralölkonzerne einen Rekordgewinn nach dem anderen verzeichnen?

Die Frage zu stellen heißt sie zu verneinen. Die Finanzierung der Gasumlage hat das Problem in den vergangenen Tagen noch einmal auf den Punkt gebracht. Denn Sie und ich, sofern wir mit Gas heizen oder kochen, wir müssen wie alle anderen Gaskunden auch in den kommenden Monaten mit der Gasumlage Energieunternehmen retten, die angesichts der explodierenden Preise in Not geraten sind. Weil sie ihren Kunden vor Monaten einen Preis versprochen haben, den sie heute nicht mehr halten können und weil ansonsten auch viele Stadtwerke in existentielle Not geraten würden.

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Wenn wir aber im Interesse des Gemeinwohls die einen retten, die in Not geraten sind, dann dürfen wir doch auch im Interesse des Gemeinwohls bei den anderen einen Teil der Gewinne abschöpfen, die sie ohne eigenes Zutun erzielt haben. Gewinne, mit denen sie übrigens selbst nicht gerechnet haben, die in keiner Kalkulation auftauchen – Zufallsgewinne oder Übergewinne eben.

Zu kompliziert sei eine solche Übergewinnsteuer, sagen die Kritiker, mit den Prinzipien der Marktwirtschaft nicht zu vereinbaren, willkürlich und eine Gefahr für das Vertrauen ins deutsche Steuersystem. Ich halte das alles für vorgeschoben. Aber der Reihe nach.

Die Marktwirtschaft ist nur Argument, wenn sie in den Kram passt

Ja, Übergewinn von normalem Gewinn zu unterscheiden, ist betriebswirtschaftlich und steuerrechtlich anspruchsvoll. Aber angesichts der auch sonst nicht einfachen Regelungen im deutschen Steuersystem kann niemand ernsthaft behaupten, dass das Problem, einen entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt, nicht lösbar wäre. Griechenland, Italien, Spanien, Großbritannien und andere Länder machen es uns ja vor. Warum sollte das bei uns nicht gehen?

Aber ist eine Übergewinnsteuer nicht ein Verstoß gegen die Prinzipien der Marktwirtschaft? Wenn man von der reinen Lehre ausgeht vielleicht. Aber ist, umgekehrt gefragt, die Gasumlage denn ein Musterbeispiel für Marktwirtschaft? Eine Zwangsumlage für alle Gaskunden, um Unternehmen vor den Konsequenzen selbst getroffener Entscheidungen zu retten?

Man ahnt, das Argument mit der Marktwirtschaft kommt nur dort auf den Tisch, wo es den Kritikern der Übergewinnsteuer in den Kram passt.

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Drittes Argument: Es sei willkürlich, wenn Übergewinne ausschließlich in einer Branche, konkret im Energiesektor, abgeschöpft würden. Auch hier hilft bei der Widerlegung des Arguments der Blick auf die Gasumlage. Denn auch diese beschränkt sich ja auf eine einzige Branche. Wir haben ja auch keine Bäckerei-Umlage, keine Möbel-Umlage und auch keine Auto-Umlage. Energie-Verluste ausgleichen und Energiegewinne abschöpfen – das sind zwei Seiten derselben Medaille.

Und schließlich wird gegen die Übergewinnsteuer vorgetragen, dass sie das Vertrauen ins deutsche Steuersystem gefährden würde, insbesondere wenn sie auch rückwirkend erhoben würde. Dieses Argument geht aber da ins Leere, wo die Unternehmen selber nicht mit den Gewinnen gerechnet haben, die ihnen die Energiepreissteigerungen in die Tasche gespült haben. Sie sind in keinem Wirtschaftsplan aufgetaucht, standen in keiner Kalkulation.

Viele Menschen und auch Betriebe stehen vor Problemen

Aber einerlei, ob Sie meine Argumente jetzt mehr oder weniger überzeugen. Unbestreitbar ist doch: Wir haben ein objektives Problem, und wir brauchen eine Lösung dafür. Denn viele Menschen machen sich mittlerweile ernsthafte Sorgen, ob sie sich im Winter noch das warme Wohnzimmer leisten können. Seit Wochen werden Gas und Strom immer teurer, da ist schon die saftige Erhöhung der Vorauszahlung an die Stadtwerke eine echte Herausforderung.

Und jetzt kommt auch noch die Gasumlage oben drauf. Vielen Handwerkern geht es übrigens kein bisschen anders. Ich kenne Bäckermeister, die haben über viele Jahre erfolgreiche ihren Betrieb geführt und sogar Corona überstanden, mittlerweile aber echte Existenzsorgen.

Die Senkung der Mehrwertsteuer reicht nicht

Diesen Handwerkern werden wir in den kommenden Monaten unter die Arme greifen müssen, damit sie die Gas-Krise überstehen. Genauso wie allen Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, darunter Familien, Alleinerziehende, Studierende sowie Rentnerinnen und Rentner. Die am Donnerstag beschlossene befristete Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas ist da ein Schritt in die richtige Richtung. Ich bin aber überzeugt davon: Das reicht noch nicht.

Ich plädiere deshalb weiterhin für eine zweite Energiepreispauschale noch in diesem Jahr in Höhe von mindestens 300 Euro. Diesmal übrigens für jede und jeden, auch für Kinder, Studierende, Rentnerinnen und Rentner.

Bleibt noch eine Frage: Wie soll der Staat diese dringend notwendigen Unterstützungen bezahlen? Steuererhöhungen will die FDP nicht, neue Schulden auch nicht. Aber im allgemeinen Haushalt wird dafür kaum genug Geld vorhanden sein. Für mich liegt es da einfach nahe, dass man die Übergewinne abschöpft, also die Gewinne, mit denen kein einziges der Unternehmen vor einem halben Jahr gerechnet hat.

Steuererhöhungen stehen nicht im Koalitionsvertrag, richtig. Der Ukrainekrieg aber auch nicht

Ja, Steuererhöhungen stehen nicht im Koalitionsvertrag, wie Bundesfinanzminister Christian Lindner nicht müde wird zu betonen. Aber sind sie deshalb in dieser existentiellen Krise ein für allemal ausgeschlossen? Dass Wladimir Putin die Ukraine überfällt, dass er Europa den Gashahn zudreht, dass die Gas- und Strompreise in nicht für möglich gehaltene Dimensionen klettern, dass vor allem kleine und mittlere Unternehmen um die nackte Existenz fürchten – das alles stand auch nicht im Koalitionsvertrag. Aber wir müssen dafür jetzt eine Lösung finden.

Corona hat mich eines gelehrt: Ob wir eine Krise gemeinsam bewältigen, hängt ganz entscheidend davon ab, ob wir die Lasten gerecht verteilen. Nur damit erhalten wir uns nämlich ein Klima des gesellschaftlichen Zusammenhalts, in dem nicht jeder nur an sich denkt, sondern in dem die solidarische Problemlösung im Zentrum steht. Eine Übergewinnsteuer wäre ein Baustein einer solchen gerechten Lastenverteilung. Damit wir nach der Corona-Krise auch die Gas-Krise in Deutschland gemeinsam bewältigen.

Andreas Bovenschulte

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