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Europa neu denken. Emmanuel Macron hat ein neues Europa skizziert und sucht nun nach Verbündeten.

© dpa

Gastbeitrag von drei Europapolitikern: Deutschland braucht endlich eine Antwort auf Macron

Wenn es schon keine neue Bundesregierung gibt, dann muss eben die Antwort auf die europäischen Reformvorschläge des französischen Präsidenten aus dem Bundestag kommen, schreiben drei führende Europa-Abgeordnete.

Hallo, ist da jemand in Berlin, der Zeit hat für Europa? Das fragen sich unsere europäischen Partner seit Monaten und blicken zunehmend verwundert in die Bundeshauptstadt.

Seit die Wahl von Emmanuel Macron im Mai ein Fenster aufstieß, um die Zukunft Europas endlich wieder gestaltend anzupacken, war vorsichtiger Optimismus zu spüren. Kommissionspräsident Juncker hatte diesem im September zusätzlichen Schub gegeben. Doch damit zentrale europäische Fragen nicht länger verschleppt, sondern beantwortet werden, braucht es auch ein europapolitisch handlungswilliges und -fähiges Deutschland. Nun droht Europa die Zeit davonzulaufen. Denn 2018 muss das Jahr eines neuen europäischen Aufbruchs werden. Sonst ist das Fenster wieder zu. Und Europa nicht fit für aktuelle und kommende Herausforderungen. Als Folge könnten 2019 bei der Europawahl gestrige Nationalisten und desillusionierte Europäer eine gesalzene Rechnung präsentieren.

Eine wegweisende deutsch-französische Initiative für die Zukunft Europas ist sicherlich nicht hinreichend für die Zukunft des europäischen Projekts, aber sie ist dringend notwendig. Präsident Macron ist mit seiner bemerkenswerten Sorbonne-Rede zur Zukunft der Europäischen Union in Vorleistung gegangen. Diese Rede hat eine substanzielle Antwort aus Berlin verdient, jenseits von Partei- und Koalitionstaktik. Tatsächlich ist es möglich, eine solche Antwort zu formulieren, ohne erst auf den Erfolg einer offenkundig schwierigen Regierungsbildung oder gar auf Neuwahlen zu warten. Der Bundestag kann diese Antwort geben, parteiübergreifend und unabhängig von Koalitionsfragen, gestützt auf seine große pro-europäische Mehrheit, indem er in einem europapolitischen Grundsatzbeschluss den Weg bahnt. Adieu "konstruktive Zurückhaltung", bienvenue frischer Wind.

Die größte Stärke von Macrons Europaplänen ist, dass sie den europäischen Mehrwert für Europas Bewohner ins Zentrum der Überlegungen stellen. Wir müssen die europäischen öffentlichen Güter stärken. Denn wenn wir im 21. Jahrhundert in nationaler Verteidigungs- und Sicherheitspolitik verharren, statt erfolgreich zu europäisieren, bedeutet das weniger Sicherheit bei höheren Kosten. Wenn wir die Energiepolitik nicht gemeinsam betreiben, bedeutet das weniger Klimaschutz bei höheren Kosten. Wenn wir die Entwicklungspartnerschaft mit dem Mittelmeerraum und Afrika nicht europäisieren, bedeutet das weniger Entwicklung und zugleich eine größere politische Instabilität. Ähnliches gilt für den Schutz der Außengrenzen, den humanitären Umgang mit Flüchtlingen, die Besteuerung von globalen Konzernen und den Kampf gegen Steuerflucht, die digitale Revolution und die Innovationspolitik. Wenn wir die Wirtschafts- und Währungsunion nicht stärken, ist sie vielleicht nicht solide genug für die nächste größere Krise.

Europa braucht mehr finanzielle Eigenmittel

Zur Wahrheit gehört: Um diese Pläne zum Erfolg zu führen, wird es nicht reichen, EU-Budget-Mittel besser auszugeben. Europa wird mehr Geld benötigen. Deshalb sind in einem ersten Schritt die von den nationalen Parlamenten seit Jahren gebilligten 1,23 Prozent des BIP im EU-Haushalt zu nutzen und das Thema Eigenmittel tatkräftig aufzugreifen. Der Haushalt muss erlauben, dass die EU die ihr übertragenen Aufgaben sachgerecht bewältigen kann. Investitionen in die Zukunft sind zentral. Das bedeutet aber nicht, dass damit die Last für den Steuerzahler drückender wird oder wir gar in eine Transferunion abgleiten würden. Wenn europäische öffentliche Güter wirksam geschaffen werden, bedeutet das eine Entlastung der nationalen Haushalte. Gemeinsame Aufgaben gemeinsam anzugehen, ist für alle Beteiligten günstiger.

Doch für den Erfolg der europäischen öffentlichen Güter ist nicht allein Geld erforderlich. Wenn sie gelingen sollen, können wir uns bestimmte nationale Veto-Blockaden einfach nicht mehr leisten. Wir müssen mehr europäische Demokratie wagen. Und genauso können wir es uns nicht mehr leisten, dass europäische Regeln und Beschlüsse einfach ignoriert werden. Die Rechtsgemeinschaft muss gestärkt werden.

"Europäischer Finanzminister" - das wäre Geschmackssache

Besonders heikel ist, wie die Jamaika-Sondierungen gezeigt haben, die Frage, welche institutionelle und vertragliche Stärkung der Euro benötigt. Klar ist, dass eine bessere institutionelle Architektur für den Euro die Geldpolitik in künftigen Krisen stärker entlasten muss. Wir wollen die Bankenunion vollenden, wobei die besonderen Rahmenbedingungen von Sparkassen und Genossenschaftsbanken zu berücksichtigen sind. Zudem wäre die Schaffung einer fiskalischen Kapazität sinnvoll, um asymmetrische wirtschaftliche Schocks abzufedern. Auch deshalb ist klar, dass wir den ESM zu einem Europäischen Währungsfonds ausbauen sollten, um die Stabilität der Bankenunion abzusichern und das Krisenmanagement samt seiner demokratischen Legitimation zu verbessern. Auch macht es Sinn, die Ämter des Eurogruppenchefs und des Vizepräsidenten der Kommission für Wirtschaftskrise-und Währungsfragen mit erweiterten Rechten zusammenzuführen. Er könnte die EU auch in internationalen Finanzgremien wie dem IWF vertreten. Ob für dieses Amt die Bezeichnung "europäischer Finanzminister" dann schon angemessen wäre, ist letztlich Geschmackssache.

Manche Ideen Macrons können eher nicht auf positive deutsche Resonanz hoffen. Beispielsweise sehen wir in Folge des Brexit eine reale Chance, die Probleme des Euros weitgehend im Rahmen der Gemeinschaftsmethode zu bewältigen, so dass die Verantwortung der bestehenden Institutionen für den Euro als Währung der EU und die institutionelle Einheit der gesamten EU Bestand haben könnte. Es kommt jetzt aber darauf an, dass die deutsche Politik nach einem Bundestagswahlkampf, bei dem Europa nicht im Zentrum stand, endlich sagt, wie wir uns den Weg nach vorne für Europa vorstellen, nicht immer nur, was unsere roten Linien sind. Wir müssen reden. Zwischen Berlin und Paris. Mit Brüssel. Mit allen europäischen Partnern. Die Zeit drängt.

Die Autoren sind Abgeordnete im EU-Parlament. Jakob von Weizsäcker vertritt die SPD, Elmar Brok die CDU und Reinhard Bütikofer die Grünen.

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