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Passanten in Leipzig gehen hinter einem Schild entlang, das auf die Maskenpflicht in der Fußgängerzone hinweist.

© Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Ganz stilles Fest?: Warum der harte Lockdown schon vor Weihnachten kommen könnte

Nicht nur Leopoldina-Experten fordern härtere Maßnahmen ab dem 14. Dezember. Wie sollen sie genau aussehen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Eingeschränkte Kontakte, längere Ferien, Schließung des Einzelhandels – die Experten der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina empfehlen der Politik, über Weihnachten und Silvester einen harten Lockdown, um das Virusgeschehen in ganz Deutschland wieder unter Kontrolle zu bringen.

Die Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern hätten gezeigt, dass sich nur so die Inzidenzwerte wieder unter die Grenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 in sieben Tagen bringen ließen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel kommt diese Empfehlung sehr gelegen. Sie hatte in den vergangenen Wochen mehrfach betont, dass die beschlossenen Maßnahmen aus ihrer Sicht nicht ausreichend sind.

Warum gilt der Lockdown light als gescheitert?

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in der Pandemie bislang meistens Recht behalten mit ihren Vorhersagen, sei es bei der Entwicklung der Infektionszahlen oder dass die beschlossenen Maßnahmen nicht ausreichen. „So kommen wir nicht durch den Winter“, sagte sie am Montag in der CDU-Fraktion. Überlegungen für einen harten Lockdown nach Weihnachten bis zum 10. Januar gibt es schon länger in der Bundesregierung.

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Im Bundestag verwies Merkel in ihrer Regierungserklärung am 26. November nicht ohne Hintergedanken auf EU-Nachbarländer, die wie Belgien oder Frankreich durch Maßnahmen bis hin zu strengen Ausgangssperren und Ladenschließungen den Anstieg deutlich brechen konnten, während der deutsche „Wellenbrecher“-Lockdown seinem Namen nicht gerecht wurde.

Bundesweit liegt der Wert an Neuinfektionen immer noch bei 157 je 100 000 Tagen in sieben Tagen, also weit über der 50er-Grenze, ab der die Pandemie als kontrollierbar gilt. Inzwischen liegen alle Bundesländer über diesem Wert, in Sachsen beträgt er sogar 319.

Auf SPD-Regierungsseite hieß es bisher, die Bundesländer hätten mit der Hotspot-Strategie bereits jetzt alle Mittel „um bei Verschlechterungen der Lage härter zuzuschlagen“. Doch der Weihnachtsreiseverkehr und daraus wahrscheinlich resultierende weitere Anstieg der Infektionszahlen beunruhigt das Kanzleramt. Und mit der Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften, der Leopoldina, hat Merkel nun – fast wie bestellt – das schlagkräftigste Argument, um noch in dieser Woche in einer Bund-Länder-Schaltkonferenz bundesweit Fakten zu schaffen.

Wie soll der von der Leopoldina geforderte Weihnachtslockdown konkret aussehen?

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina empfiehlt einen harten Lockdown ab Weihnachten bis in den Januar hinein. Die Feiertage und der Jahreswechsel mit ohnehin eingeschränkten Aktivitäten in vielen Bereichen böten eine Chance, das Infektionsgeschehen einzudämmen.

Die Wissenschaftler fordern, dass der Lockdown „bundesweit einheitlich“ eingeführt wird. So würden die Maßnahmen für Bürger und Unternehmen transparent, verständlich und die kommenden Wochen planbar. Ab dem 14. Dezember müssten Kontakte im beruflichen wie im privaten Bereich auf das absolute Mindestmaß reduziert werden.

Homeoffice müsse überall, wo möglich die Regel sein und Schulen sollen früher schließen: Die Schulpflicht sollte schon ab dem 14. Dezember bis zum Beginn der Weihnachtsferien aufgehoben werden. Gruppenaktivitäten in Sport und Kultur müssten ebenfalls eingestellt werden.

In der zweiten Phase, „ab dem 24. Dezember 2020 bis mindestens zum 10. Januar 2021 sollte in ganz Deutschland das öffentliche Leben weitgehend ruhen“, lautet der Schlüsselsatz. Für den verschärften Lockdown sollten alle Geschäfte, die nicht zur Deckung des täglichen Bedarfs notwendig sind, geschlossen und die Weihnachtsferien bis zum 10. Januar verlängert werden.

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Urlaubsreisen und größere Zusammenkünfte sollten während der gesamten Zeit unterbleiben. Die Leopoldina empfiehlt soziale Kontakte außerhalb des eigenen Haushalts auf ein Minimum zu reduzieren oder, so wäre es am effektivsten, vollständig darauf zu verzichten. Aber an der Regelung, dass Zusammenkünfte von bis zu zehn Personen an Weihnachten möglich sein können, wird nicht gerüttelt, auch wenn einzelne Bundesländer wie Berlin weniger erlauben.

Erfahrungen aus Ländern wie Irland zeigten, „dass schnell eingesetzte, strenge Maßnahmen über einen kurzen Zeitraum erheblich dazu beitragen, die Infektionszahlen deutlich zu senken und niedrig zu halten, um die Kontrolle über das Infektionsgeschehen zurückzuerlangen“. So verkürze sich der Zeitraum, bis die Neuinfektionen soweit gesunken sind, dass Lockerungen möglich seien.

34 Expertinnen und Experten auf verschiedenen Sachgebieten haben bei der Stellungnahme mitgewirkt. Dazu gehören der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité, Clemens Fuest, der Präsident des ifo Instituts, Olaf Köller vom Leibnitz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik und Gerald Haug, der Präsident der Leopoldina.

Wie würde es ab 10. Januar weitergehen?

Es wird keine komplette Öffnung geben, sondern schrittweise Öffnungen wie nach der ersten Welle. Es könnte auch nochmal Verschärfungen geben: Für den Wiederbeginn des Schulunterrichts ab dem 10. Januar fordert die Leopoldina in allen Bundesländern das verpflichtende Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Unterricht für alle Jahrgangsstufen.

Zudem sollten ländereinheitliche Regeln für den Wechselunterricht ab der 5. Klasse erarbeitet werden, die ab einer bestimmten Infektionszahl gelten.

Ob Maßnahmen gelockert werden können, oder beibehalten oder verschärft werden müssen, hängt entscheidend von der Entwicklung der Fallzahlen ab. Dass ein harter Lockdown die Infektionsrate drücken kann, zeigt das Vorbild im Frühjahr: Die Menschen schränkten sich stark ein, teilweise schon bevor die Regelungen in Kraft traten und auch Kitas und Schulen geschlossen wurden. Die Zahlen täglicher Neuerkrankungen sanken stetig, von fast 7000 Mitte März auf unter 1000 ab Mitte Mai.

Nun soll der Schulbetrieb nur für vier Wochen unterbrochen werden und es ist fraglich, inwieweit die Bevölkerung die Bestimmungen mitträgt und im persönlichen Bereich konsequent umsetzt. Ermüdungserscheinungen bezüglich der Maßnahmen und die Gewöhnung an die Bedrohung durch das Virus könnten dem entgegenwirken.

Daher fordert die Leopoldina für die Zeit nach dem 10. Januar eine politische Einigung vom Bund und Ländern auf ein „klares, mehrstufiges und bundesweit einheitliches System von Regeln, die ab einer bestimmten Anzahl von Fällen pro 100.000 Einwohner greifen“.

Mit spürbaren Effekten der Impfprogramme, die baldmöglichst anlaufen sollen, ist erst nach Monaten zu rechnen, wenn ein ausreichend großer Anteil der Bevölkerung geimpft ist.

Warum muss ein harter Lockdown jetzt kommen?

Die Erfahrung mit dem Thanksgiving-Effekt in Kanada und den USA zeigt, dass es nach Weihnachten zu spät wäre. Dort ist Thanksgiving, das dieses Jahr auf 26. November fiel, ist dort ein wichtiges Familienfest, zu dem die Menschen von weit her extra anreisen. Und sie haben das auch in diesem Jahr getan, trotz unzähliger Appelle aus Expertenkreisen, sich nicht auf Flughäfen, in Zügen, Bussen oder bei Familienfeiern vermeidbaren Kontakten auszusetzen.

Erstmals stieg die Zahl der Flugreisenden vor dem Fest wieder auf über eine Million täglich, schätzungsweise 50 Millionen fuhren mit dem Auto zur Familie. Handyortungsdaten zeigten drastische Zunahmen des Reiseverkehr im ganzen Land.

Noch wirke sich das nicht auf die Neuinfektionszahlen in den USA aus, sagte Anthony Fauci, Pandemieberater der US-Regierung und Direktor des Nationalen Instituts für Allergien und Infektionskrankheiten dem Sender CNN am Montag. Doch in den nächsten Tage werde eine „Thanksgiving-Zacke“ hinzukommen, ist sich Fauci sicher, unweigerlich gefolgt von einer Zunahme an Klinikeinweisungen und Intensivpatienten.

Tatsächlich weisen Analysen des Abwassers New Yorks bereits mehr Sars-CoV-2-Viren nach als je zuvor in der Pandemie. Zusammen mit den Folgen erneuter massenhafter Familientreffen zu Weihnachten und Hanukkah könne es Mitte Januar eine „sehr dunkle Zeit“ für das Land werden, so Fauci. Der Blick nach Kanada, in vielem Deutschland ähnlicher als die USA, gibt ihm Recht: Dort fand Thanksgiving bereits am 12. Oktober statt. In den zwei Wochen danach registrierte das Land die höchsten Neuinfektionszahlen.

Welche Hilfen plant der Staat?

Im Wesentlichen soll ab Januar die so genannte Überbrückungshilfe III gelten, – Hilfen für Unternehmen sollen sich dann vor allem an den Fixkosten orientieren, nicht wie im November und Dezember, als bis zu 75 Prozent des Vorjahresumsatzes ersetzt werden sollten. Bei der Überbrückungshilfe III sollen die Obergrenzen aber erhöht werden, von bisher monatlich bis zu 50.000 Euro an Hilfen auf bis zu 200.000 Euro.

Die Bazooka ist noch nicht leer: Finanzminister Olaf Scholz auf der Regierungsbank im Deutschen Bundestag.
Die Bazooka ist noch nicht leer: Finanzminister Olaf Scholz auf der Regierungsbank im Deutschen Bundestag.

© imago images/Christian Spicker

Zudem hat Finanzminister Olaf Scholz (SPD) einen Corona-Schutzschirm für Veranstaltungen angekündigt, die für die zweite Jahreshälfte 2021 geplant werden. Damit will die Bundesregierung alle Aufwendungen abrechnungsfähig machen für Veranstaltungen, die dann bei erneuten Pandemie-Restriktionen doch abgesagt werden müssen. „Sonst ist die Pandemie irgendwann vorbei, aber es finden keine Konzerte mehr statt“, sagte Scholz.

Wie verhält sich der Berliner Senat?

Zunächst abwartend. Nachdem Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens im „ARD-Morgenmagazin“ zumindest nicht ausgeschlossen hatte, wurden am Dienstag im Senat laut Teilnehmern verschiedene Optionen „intensiv debattiert“. Im Fokus standen dabei vor allem Schulen und Einzelhandel. Für erstere sei ein Vorziehen der Ferien, eine komplette Schließung oder ein eingeschränkter Betrieb denkbar.

Aus der Bildungsverwaltung hieß es darüber hinaus, eine Verlängerung der Weihnachtsferien um eine Woche für alle Schulen werde aktuell geprüft. Sollten Schließungen im Einzelhandel verhängt werden, dann nur unter Einbeziehung des Bundes. Dass ein harter Lockdown nach Weihnachten nötig sei, ist innerhalb des Senats Konsens, hieß es weiter.

Eher unwahrscheinlich ist, dass noch vor Weihnachten Verschärfungen in Kraft treten. Wenn überhaupt, dann sollen Beschlüsse am Dienstag und damit nach einer möglichen erneuten Konferenz von Kanzlerin und Landesregierungschefs getroffen werden.

Ob sich Bundesregierung und Ministerpräsidenten vor Weihnachten noch einmal zusammensetzen, um darüber zu beraten, ist unklar. Am Dienstagmorgen hatte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) im RBB allerdings eine Schalte an diesem Donnerstag angekündigt. Nicht alle Länder-Regierungschefs hatten das zuvor für notwendig gehalten, darunter Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD).

Was bedeutete ein harter Lockdown für Einzelhandel und Betriebe in Berlin?

Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg, Nils Busch-Petersen, hat verärgert auf die Äußerungen Michael Müllers reagiert. „In jedem Tag im Lockdown und im Lockdown light haben wir bundesweit zehn Millionen Kleidungsstücke nicht verkauft. Auf den Risiken bleiben allein die Händler sitzen“, sagte er dem Tagesspiegel.

Müller hatte im „ARD-Morgenmagazin“ eine mögliche Schließung von Geschäften nach Weihnachten ins Spiel gebracht und gesagt: „Es gibt auch keinen Grund, sich dann wirklich noch am 28. Dezember einen Pullover zu kaufen.“ Busch-Petersen lehnt eine Schließung der Geschäfte ab. Der Handel habe Schutzmaßnahmen getroffen, die niedrigen Infektionszahlen unter den Beschäftigten belegten deren Wirksamkeit.

„Sollte es zu Schließungen kommen, brauchen wir Ehrlichkeit und klare Absprachen“, sagte Busch-Petersen in Richtung Senat. Anders als im ersten harten Lockdown würden Kredite dann nicht mehr reichen, es brauche substanzielle Unterstützungen. „Erste Händler sagen mir schon jetzt, dass ihnen Schließung bei Umsatzerstattungen von 75 Prozent, so wie es in der Gastronomie ist, lieber wären.“

Das Weihnachtsgeschäft liefe für den Handel ohnehin bislang enttäuschend. Im Spielwaren- und Schmuck-Bereich lägen die Umsatzrückgänge bei 20 bis 30 Prozent. Noch deutlich schlechter sei die Situation für den Textil- und Schuhhandel. Daran habe auch der verkaufsoffene Sonntag nichts geändert, nirgends habe es volle Geschäfte gegeben.

Er wies zudem auf die Bedeutung der Tage zwischen den Jahren hin. Diese seien längst nicht mehr nur für Umtäusche interessant. „Inzwischen ist die Zeit zwischen den Jahren das verlängerte Weihnachtsgeschäft.“ Geschenk Nummer eins in Deutschland sei seit Jahren der Gutschein, der die Kunden in die Geschäfte locke.

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