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Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) standen bei den Klimaverhandlungen unter Druck.

© Kay Nietfeld/dpa

Gähnen und Schämen: Wie sich die große Koalition zum Klimapaket quälte

Fast 19 Stunden Reden und Rechnen – und Ringen um ein Maßnahmenpaket. Am Ende wird vor allem ein Klima geschont: das in der Koalition.

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Morgens gegen Zehn muss Markus Söder kräftig gähnen. Das ist nur allzu menschlich, aber weil die Müdigkeit den CSU-Chef gut sichtbar auf dem Balkon des Kanzleramts überkommt, handelt es sich gleichzeitig um eine Art spontanes Statement zum Zwischenstand der koalitionären Dinge.

Gut 16 Stunden sitzen sie in den Räumen hinter ihm jetzt schon zusammen – erst das halbe Kabinett nebst einem Schock Fachleute aus Union und SPD, inzwischen seit Stunden nur noch die Chefs. Ein „großer Wurf“ sei im Entstehen, verkünden die ins „Morgenmagazin“ und zum Frühgespräch im Deutschlandfunk entsandten Emissäre. „Lieber eine Stunde länger verhandeln und dafür am Ende ein ambitioniertes Klimapaket haben“, vertröstet SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil die Zuhörer.

Aber Söder sieht jetzt doch eher so aus, als ob ihm ein Bett lieber wäre. Neben ihm blinzelt Annegret Kramp-Karrenbauer in den kühlen Morgen. Die CDU-Chefin schlingt sich ein rot-weiß gemustertes Tuch eng um den Oberkörper. Von Erderwärmung gerade keine Spur.

Hinter den beiden geht es um diese Zeit immerhin sprichwörtlich heiß her, nämlich ums Geld. Erst die Einzelmaßnahmen, dann der CO2-Preis, zuletzt die Finanzfragen – mit dieser Marschroute hatte Angela Merkel ins Kanzleramt geladen.

Richtig logisch klang das Vorgehen nicht. Schließlich herrscht in Politik und Wissenschaft seltene Einigkeit darüber, dass ein wirksamer Klimaschutz nahezu ausschließlich von dem Preis abhängt, den künftig zahlen muss, wer die Erdatmosphäre mit Kohlendioxid verpestet. Vom CO2- Preis leitet sich alles andere ab.

Dem Weltklima sind innersozialdemokratische Nickeligkeiten egal

Aber es war nun mal so, dass sie in den ersten gut vier Stunden im Kanzleramt ohne den Finanzminister und Vizekanzler auskommen mussten. Olaf Scholz wollte in Essen unbedingt noch eine Rede beim „Politischen Forum Ruhr“ halten und den hochverschuldeten Städten im Revier persönlich Hilfe bei der Umschuldung in Aussicht stellen.

Der Termin war ihm wichtig. Scholz braucht ein paar zusätzliche Fans in NRW, wenn er SPD-Chef werden will, woran wiederum die Union ein Interesse hat, weil jeder andere SPD-Chef wahrscheinlich die Koalition vorzeitig platzen lässt. Einer wie der frühere NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans zum Beispiel. Ausgerechnet am Freitagmittag schicken „NoWaBo“ und seine Mitbewerberin Saskia Esken ein eigenes Klimaschutzkonzept an die Presse. Es fällt, wen wundert’s, radikaler aus als der Koalitionskompromiss.

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Dem Weltklima sind solche innersozialdemokratischen Nickeligkeiten egal. Aber auf das Klima in der Koalition wirken sie zurück. Jedem war klar, dass Scholz unter Druck steht. Also: Erst mal der Wust an Einzelmaßnahmen, dann die dicken Brocken. Zum Schluss, wenn alle müde sind. Außer Merkel. Und außer Scholz. Die beiden wissen voneinander, wie zäh sie sind. Sie haben sich in der legendären Verhandlungsnacht, in der diese große Koalition 2018 zustande kam, stundenlang schweigend gegenübergesessen, während Horst Seehofer Orangen schälte. Nach fast 20 Stunden rückte die Union damals der SPD zum Finanz- auch das Außenministerium raus.

Der Klimagipfel dauert nicht ganz so lange: Nahezu 19 Stunden, vom Abendbrot am Donnerstag bis Freitagmittag. Seehofer ist wieder dabei, diesmal als Bauminister. Als er mit dem Fahrstuhl im Kanzleramt nach oben fährt, läuft er in eine Gruppe älterer Herrschaften. Draußen steht ihr Bus, ein Schild an der Scheibe weist sie als „Besuchergruppe Özdemir“ aus. Hat der Grüne eine getarnte Spitzeleinheit geschickt? „Nee, wir sind aus Duisburg“, sagt eine Frau,. Ihr Gastgeber heißt Mahmut Özdemir, SPD- Abgeordneter.

„Was ist nur ein Strohfeuer, was macht Sinn?“

Dann wird es still ums hell erleuchtete Kanzleramt. Draußen warten ein paar Kamerateams in der vagen Hoffnung, dass irgendwer rauskommt und irgendetwas Interessantes sagt. Sagt aber offiziell keiner was. Drinnen wird geredet und gerechnet. Söder wird später versichern, man habe da nicht nur gestritten, sondern auch bei jeder Maßnahme „ziemlich intensiv diskutiert: Was ist nur ein Strohfeuer, was macht Sinn?“

Das Foto einer Wärmebildkamera zeigt Malu Dreyer (SPD, l-r), Olaf Scholz (SPD), Angela Merkel (CDU), Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Markus Söder (CSU).
Das Foto einer Wärmebildkamera zeigt Malu Dreyer (SPD, l-r), Olaf Scholz (SPD), Angela Merkel (CDU), Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Markus Söder (CSU).

© Christoph Soeder/dpa

In der Frühe fährt drüben beim Bundestag ein riesiger Tankwagen vor: „Bio-Diesel“. Er gehört aber nicht, wie man vielleicht denken könnte, zum Fuhrpark der Demonstranten, die sich in der ganzen Stadt zu sammeln beginnen.

Am frühen Nachmittag schreitet Seehofer als erster in den Saal im „Futurium“, in dem das Klimapaket verkündet werden soll. Für den Bauminister ist kein Platz auf dem Podium voller Partei- und Fraktionshierarchen. Er muss in die erste Zuhörerreihe wie das übrige Klimakabinett: Wirtschaftsminister Peter Altmaier, Umweltministerin Svenja Schulze, der Verkehrsminister. Andreas Scheuer kommt mit einem Elektroauto. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner nimmt das Fahrrad. Die beiden haben gewissen Nachbesserungsbedarf an ihrer persönlichen Klimabilanz, zeigten sie sich doch in den letzten Monaten als besonders hartleibige Verteidiger ihrer Klientel gegen jedwede Zumutung.

Zumutung – das Wort hat unausgesprochen über diesen ganzen Verhandlungen geschwebt. Aber erst einmal ist vom großen Klopfen auf die eigene Brust zu berichten. Die Kanzlerin fängt gleich mit einer „persönlichen Vorbemerkung“ an. Leider, bedauert Angela Merkel, werde man ja mit großer Wahrscheinlichkeit die vor einem Jahrzehnt selbst gesetzten Klimaziele für 2030 nicht erfüllen.

Der Vizekanzler macht gleich weiter: Er müsse selbstkritisch einräumen, dass bisher nicht genug getan wurde: „Fridays for Future hat uns alle aufgerüttelt.“ Malu Dreyer, kommissarische SPD-Chefin, ergänzt: „Wir schämen uns alle ein bisschen, dass wir’s nicht geschafft haben.“ Söder verneigt sich vor den Demonstranten: Im Grunde, sagt der Bayer, müsse die Politik den jungen Menschen dankbar sein für den Druck.

Sind die Klima-Ziele mit dem Paket zu erreichen?

Die jungen Menschen zeigen sich wenig beeindruckt. „Das ist heute kein Durchbruch, das ist ein Skandal“, erklärt die deutsche Sprecherin der FfF-Bewegung, Lisa Neubauer. Den Demonstranten twittert sie ein „Nicht mein Klimapaket!“ als Tageslosung zu. Grünen-Chefin Annalena Baerbock schimpft, statt „schnell, kraftvoll, verbindlich“ komme „langsam, lahm, unverbindlich.“ Auch die großen Umweltverbände schäumen. Ein CO2-Preis von zehn Euro im Verkehrs- und Wohnbereich als Einstieg im Jahr 2010? „Lächerlich“ nennt das Greenpeace. Der aktuelle europaweite Zertifikatepreis für die Industrie liegt bei 23 Euro pro Tonne Kohlendioxid.

Aber an der Stelle kommen jetzt die Zumutungen ins Spiel. „Das unterscheidet Politik von Wissenschaft und auch von ungeduldigen jungen Menschen“, verteidigt sich Merkel. Sie müsse die Menschen mitnehmen: „Politik ist das, was möglich ist.“ Dreyer sekundiert auf sozialdemokratisch: Die Klimaziele müssten erreicht werden, aber wichtig sei auch, „dass wir die Menschen beisammen halten“. Und das Ganze auf bayerisch: „Wir versuchen, tatsächlich die goldene Mitte zu finden“, sagt Söder.

Nur - sind die Klima-Ziele zu erreichen mit dem, was das Klimakabinett schließlich als Eckpunkte abgesegnet hat? Mit einem Zertifikatehandel – Punktgewinn für die Union – und einem Kontrollmechanismus für Sektorziele in einem Klimaschutzgesetz – Punkt für die SPD? Mit 54 Milliarden Euro in den kommenden Jahren zusätzlich für Prämien, für Anreize, für eine höhere Pendlerpauschale, mit E-Auto-Förderung und Ölheizungsverbot, mit jeder Menge „weiterentwickeln“ und „ausbauen“ und „optimieren“, die über die 22 Seiten verteilt sind? Nein, urteilt kühl der Potsdamer Klimaforscher Ottmar Edenhofer: Nicht zehn, 50 Euro müsse die Tonne Treibhausgas kosten.

Merkel zuckt bei der Frage innerlich mit der Schulter. Ob der CO2-Preis für ein klimagerechtes Deutschland reicht? „Wir werden es ja Anfang des nächsten Jahrzehnts sehen.“ Für eins reicht er zumindest. „Dies ist ein Tag, der ganz sicherlich nicht schlecht ist für den Klimaschutz“, sagt Kramp-Karrenbauer, „und nicht schlecht für das Klima in der Koalition.“ Die anderen lächeln. Im Weggehen wünscht Merkel dem Kollegen Scholz noch schnell einen „schönen Aufenthalt in Neubrandenburg“. Da muss er gleich hin zur nächsten Vorstellungsrunde der SPD-Chefanwärter. Bei ihm wird das mit Ausschlafen also schon mal nichts.

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