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Der Videogipfel aus südkoreanischer Perspektive: Präsident Moon Jae-in, zugeschaltet aus seinem Amtssitz in Seoul.

© AFP

G20 in Coronazeiten: Die Neuvermessung der Erde

Was der Videogipfel unter saudischem Vorsitz über Anschein und Realität in der internationalen Politik lehrt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Corona verändert alles? Das stimmt Gott sei Dank nicht so absolut. Der G-20-Gipfel unter saudischem Vorsitz verläuft zwar anders, als das die Gastgeber ursprünglich geplant hatten: je drei Stunden Videoschalte am Samstag und Sonntag statt einer Selbstdarstellungsshow vor den Stars der Weltpolitik. Und wenn dann die wichtigste Nachricht zu sein scheint, dass Donald Trump das virtuelle Beisammensein nach zwei Stunden verlassen hat, um Golf zu spielen, kann man den Eindruck gewinnen, der Gipfel sei unwichtig und bleibe folgenlos.

Das aber wäre ein Fehlschluss. Das persönliche Treffen ist auch sonst nicht die Runde, in der die Arbeit geleistet wird. Der Gipfel schafft nur die Bilder, damit die Welt wahrnimmt, was die G20 tun.

Das ist eine ganze Menge – freilich nicht, weil die Mächtigen sich alle halbe Jahr treffen und etwas beschließen, was ohne sie unmöglich wäre. Sondern weil ihre Apparate zwischen den Gipfeln an einer koordinierten Agenda der Weltpolitik arbeiten.

Initiative für die Verteilung der Impfdosen

Dieses Planen, Koordinieren und Exekutieren geht auch während der Pandemie weiter, in so vielfältigen Bereichen wie Wirtschaft und Entwicklung, Klima und Umwelt oder Schuldenreduzierungsprogramme für die ärmsten Länder. Aktuell sind der Kampf gegen die Pandemie und die Coronarezession hinzugekommen. Sowie die Frage, wie die anfangs viel zu wenigen Impfstoffe in der Welt verteilt werden. Dafür haben die G20 „Covax“ gestartet, eine milliardenteure Initiative, die Impfdosen auch an arme Länder liefern wird. Die USA haben noch nicht unterschrieben, werden es aber tun, sobald Joe Biden Präsident ist.

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Einzelpersonen können also einen Unterschied machen, wenn sie Initiativen anstoßen oder blockieren, ihre Autorität für die gemeinsamen Ziele oder nur für nationalen Egoismus nutzen. Wichtig, das zeigt die Coronakrise, sind aber auch die Arbeitsprozesse hinter den Kulissen, die Beamtenapparate mit den namenlosen „Sherpas“ an der Spitze. Sie retten ein Mindestmaß an Kontinuität und Verlässlichkeit, wenn wichtige Staaten sich dem multilateralen Ansatz entziehen.

Corona schärft den Blick für Erfolg und Misserfolg

Corona sei der große Gleichmacher, wird mitunter behauptet. International gilt das nicht. Die Pandemie schärft den Blick dafür, welche Länder bessere oder schlechtere Gesundheitssystem haben. Welche Gesellschaften sich mit größerer oder geringerer Disziplin an Präventionsregeln halten. Wer die effektiveren Ansätze im Umgang mit dem Wirtschaftseinbruch hat. Und wer die Zahl der Infizierten und Toten transparent kommuniziert oder wer sie verschleiert und die Angaben als Teil der Propaganda betrachtet.

Wie beiden G20 können äußerer Anschein und Realität stark voneinander abweichen. Wer mag darauf vertrauen, dass China, Russland oder Indien so niedrige Coronazahlen haben, wie sie angeben?

Südkorea als Vorbild, Europa und China eher nicht

So wirken der Gipfel und die Pandemie generell wie eine Expedition zur Neuvermessung der Kräfteverhältnisse in der internationalen Politik. Die USA haben unter Trump an Ansehen verloren, könnten unter Biden aber aufholen. China begegnen viele mit Misstrauen, Argentinien und Brasilien ohnehin.

Wer gewinnt an Prestige? Südkorea überrascht positiv, Deutschland verteidigt seine Stellung. Von Europa insgesamt kann man das nicht sagen. In mehreren EU-Staaten war die Bilanz schon im Frühsommer schlimmer als in den USA, das gilt auch heute. Nach den Saudis übernimmt Italien den Vorsitz in den G20. Europa hat allen Grund zu mehr Ehrgeiz.

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