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Spiele ohne Grenzen: So wie bei früheren Fußballmeisterschaften auf der Fanmeile wollen auch diesen Sommer wieder viele Fans die Spiele live verfolgen.

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Update

Fußball-WM in Brasilien: Berlin will bei WM-Lärm in der Nacht großzügig sein

Der Bund lockert die Lärmschutzregeln zur Fußball-WM - und Berlin kündigt an, Kneipen viele Ausnahmen zuzugestehen. Manche Bezirke sperren sich allerdings gegen die totale Freigabe. Und was meinen Sie?

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hat Anwohner von Kneipen und Biergärten um Toleranz währen der Zeit der Fußball-Weltmeisterschaft im Juni und Juli gebeten. „Wir erwarten einen vernünftigen Ausgleich der Interessen“, sagte sie am Mittwochmittag. „Wir bitten die Bürger, Verständnis füreinander aufzubringen.“

Kurz zuvor hatte die Bundesregierung den Weg für nächtliches Public Viewing während der Fußball-WM freigemacht. Die findet vom 12. Juni bis 13. Juli in Brasilien statt - und viele Spiele werden erst nach 22 Uhr deutscher Zeit stattfinden. Deswegen hat die Bundesregierung am Mittwoch die Lärmschutzverordnung vorübergehend gelockert, sodass die Übertragung auf Leinwänden auch nach 22 Uhr und in Ausnahmefällen auch nach Mitternacht erlaubt ist. Die entsprechenden Ausnahmen in der Verordnung würden für die Zeit der WM weitergefasst.

Jetzt sind die Umwelt- und Ordnungsämter gefragt

Etwa die Hälfte der Vorrundenspiele beginnt nach 22 oder nach 24 Uhr deutscher Zeit, eines sogar um drei, sagte Hendricks. Nun sei es an den Kommunen zu entscheiden, an welchen Orten die Fans unbegrenzt feiern dürfen. Denn die Verordnung des Bundes regelt nur, dass die bisherigen Grenzen vorübergehend gelockert sind. Ob und in welchem Rahmen es weiter regionale Sperrstunden gibt, ist nun den Städten und Gemeinden überlassen. Die Bundesländer müssen der Verordnung im Bundesrat noch zustimmen.

In Berlin kommt in diesem Fall das Landes-Immissionsschutzgesetz zum Einsatz. Nach dem wird zu entscheiden sein, für welche Veranstaltungen es Ausnahmen von den üblichen Lärmschutzregelungen gibt, wie die Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sagt, Petra Rohland. Das Land ist hier für Veranstaltungen von „gesamtstädtischer Bedeutung“ zuständig, also die Fanmeile am Brandenburger Tor und andere Großveranstaltungen. Für Kneipen und Biergärten haben die Bezirke nach jedem Einzelfall zu entscheiden. Die Senatsverwaltung kündigte aber an, den Bezirken eine „Handlungsempfehlung“ zu geben.

„Wir werden das großzügig handhaben“, sagt Verwaltungssprecherin Rohland. „Bei wichtigen Spielen sind Live-Übertragungen nach 22 Uh rund zur Not auch mal nach 24 Uhr möglich - abhängig vom Veranstaltungsort, der Nachbarschaft und dem öffentlichen Interesse.“ Das sei zum Beispiel bei Spielen mit deutscher Beteiligung oder bei Spielen ab dem Halbfinale größer als bei anderen Begegnungen. „Wir sehen die außerordentliche Bedeutung der Veranstaltung und werden dem Rechnung tragen - aber wir wollen auch die Anwohner schützen“, fasst Rohland die beiden Ziele der Senatsverwaltung zusammen

Bundesumweltministerin Hendricks zeigte sich optimistisch, dass die Interessen der Sportfans und die der ruhebedürftigen Anwohner austariert werden können. Betreiber von Biergärten und Kneipen müssten nun bei den Kommunen beantragen, dass sie die Spiele live übertragen wollen, dann werde in jedem Einzelfall von den Ordnungs- oder Umweltämtern entschieden, ob das den jeweiligen Nachbarn zuzumuten ist.

Eine fixe Lärmgrenze gibt es nicht, entschieden wird je nach den Verhältnissen vor Ort und der Nähe der Wohnbebauung, heißt es aus dem Bundesumweltministerium. Sollten Bürger sich über den Krach beschweren, stehe ihnen das zwar frei - im Falle genehmigter Live-Übertragungen dürften sie allerdings nach Einschätzung des Bundesumweltministeriums kaum Erfolg haben, wenn sie während eines Spiels die Polizei rufen.

Unterschiede zwischen Pankow, Spandau, Charlottenburg

Spiele ohne Grenzen: So wie bei früheren Fußballmeisterschaften auf der Fanmeile wollen auch diesen Sommer wieder viele Fans die Spiele live verfolgen.
Spiele ohne Grenzen: So wie bei früheren Fußballmeisterschaften auf der Fanmeile wollen auch diesen Sommer wieder viele Fans die Spiele live verfolgen.

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In Berlin sind nun vor allem die Bezirke gefragt. In Spandau hat Bau- und Umweltstadtrat Carsten Röding (CDU) ein Herz für die Fußballfans und ist froh darüber, dank der Verordnung „ein bisschen mehr zulassen“ zu können. Dennoch werde jeder Antrag auf Ausnahme von der Lärmschutzverordnung vom bezirklichen Umweltamt individuell geprüft und entschieden werden. Der Veranstalter des Musikfestivals auf der Zitadelle, Trinity Concerts, plant wieder ein Public Viewing im Innenhof der historischen Festung.

In Neukölln werden wohl vielerorts Tische und Stühle vor die Tür gestellt werden, um die Spiele beim zünftigen Bierchen unter freiem Himmel zu genießen. Ordnungsamtsleiterin Nicole Gebell rechnet mit einer Vielzahl von entsprechenden Anträgen. Analog zu den Vorjahren sollen sie trotz des zu erwartenden Mehraufkommens im Rahmen der verfügbaren Ressourcen und in Abstimmung zwischen den Ordnungsämtern aller Bezirke zügig bearbeitet werden. Gebell geht davon aus, dass die Intention der Verordnung eine grundsätzliche Genehmigung der Anträge während der Fußball-WM ist.

In Charlottenburg-Wilmersdorf wird das Ordnungsamt nicht einschreiten, wenn Gastwirte ihre Großbildschirme für die Deutschland-Spiele in den Vorgarten stellen, verspricht Stadtrat Marc Schulte (SPD). Das sei aber kein Freibrief für alle Begegnungen. „Problematisch“ sei lediglich das erst um 22 Uhr beginnende Achtelfiliale.

„Ich finde das gut“ meint Stadtrat Christian Gräff (CDU) in Marzahn-Hellersdorf. Er rechnet weniger mit kommerziellen Angeboten als mit Anträgen von Wohnungsbaugesellschaften zum Public Viewing auf öffentlichen Siedlungsplätzen. „Ich würde es begrüßen wenn es hier was gibt und sehe da keine Probleme“.

Aus Sicht von Olaf Klautke, Leiter des Umweltamtes in Mitte, gilt die Bundesverordnung nur dort, wo – anders als in Berlin – kein entsprechendes Landesrecht besteht. Spiele, die vor 24 Uhr enden, sind aus seiner Sicht problemlos. Dennoch wird es eine Einzelfallbetrachtung geben. Dort, wo die Anwohner bereits jetzt durch eine Vielzahl von Veranstaltungen belastet sind, wie beispielsweise am Gendarmenmarkt, sei die Zulassung kritischer zu betrachten als an weniger belasteten Orten.

„Die Ausnahmeregelung begrüße ich grundsätzlich“, so auch Stadtrat Torsten Kühne (CDU) in Pankow. Spiele, die bis um 22 Uhr beginnen, können problemlos übertragen werden. Erfolgt der Anstoß erst um Mitternacht, sei im Interesse der Nachtruhe keine Genehmigung möglich. Sonntags bis donnerstags muss zwischen zwei Spielen jeweils eine ruhige Nacht liegen, Ausnahmen gelten zwischen Halbfinale und Endspiel. Anträge sollten bis zum 9. Mai gestellt werden, betont Kühne. Das Formular gibt es auf der Website der Senatsverwaltung unter diesem Link.

Gastronomen gegen unterschiedliche Regelungen von Bezirk zu Bezirk

Beim Hotel- und Gaststättenverband Dehoga hofft man, dass der Senat die Regelungen für ganz Berlin pauschal lockert. „Es wäre nicht zielführend, wenn das jeder Bezirk für sich entscheidet, weil es sonst überall unterschiedlich gehandhabt wird“, sagt Kerstin Jäger von der Dehoga-Geschäftsführung. Ihr Verband hat Stadtentwicklungssenator Müller bereits am 20. März angeschrieben und um eine „angemessene Ausnahmeregelung für Berlin“ gebeten. Sprich: Am liebsten wäre den Gastronomen, wenn es für ganz Berlin keine Sperrstunde für öffentliche Live-Übertragungen während der WM gäbe. „Wir wollen einheitliche und großzügige Regelungen“, sagt Jäger. Und diese sollten recht bald kommen, denn die Gastronomen müssten langfristig planen. So seien Leinwände, Beamer und andere Ausrüstungsgegenstände zu mieten, Werbung müsse geschaltet werden - bis Mitte oder spätestens Ende April bräuchten die Gastronomen Klarheit, sagt Jäger.

Für pragmatische Lösungen je nach Spielplan und Lage der jeweiligen Public-Viewing-Orte hatten sich bereits vor einigen Wochen auch die Umweltpolitiker der Regierungsparteien SPD und CDU ausgesprochen, Daniel Buchholz und Danny Freymark. „Es muss in einer Metropole wie Berlin auf jeden Fall möglich sein, die Spiele trotz Nachtruhe auf zentralen Plätzen zu sehen“, sagt Buchholz. Zwar sollte man „nicht gleich die ganze Stadt freigeben“, da sind sich die beiden einig. Aber bei Biergärten und Kneipen sollten das Land und die Bezirke angesichts eines so besonderen Ereignisses wie der WM „auch mal Fünfe gerade sein lassen“.

Unter den Betreibern von Kneipen und Biergärten herrscht vorsichtiger Optimismus. „Wir haben vor, die Spiele auch nachts zu übertragen“, sagt ein Mitarbeiter des Pratergartens, der im Sommer bis zu 600 Sitzplätze auf einem Areal an der Kastanienallee in Prenzlauer Berg anbietet. Bei populären Spielen und gutem Wetter sind die auch schon mal zu hundert Prozent ausgebucht, weiß man aus der Erfahrung früherer Welt- und Europameisterschaften. Für diese WM hat der Pratergarten bereits eine Ausnahmeregelung beantragt - nun hofft man, dass es trotz der späten Spielzeiten ebenso „problemlos“ läuft wie in den vergangenen Jahren. Stress mit den Nachbarn? „Wir versuchen, so weit wie möglich Rücksicht zu nehmen“, sagt der Mitarbeiter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. So werde man bei besonders späten Spielen sofort mit dem Schlusspfiff die Übertragung ausschalten und die Nerven der Anwohner nicht auch noch mit der Übertragung der Talkrunden nach dem Spiel strapazieren. „Wir versuchen, den Nachbarn nicht mehr auf den Keks zu gehen als nötig.“

Und wer spielt nun überhaupt nach 22 Uhr?

Spiele ohne Grenzen: So wie bei früheren Fußballmeisterschaften auf der Fanmeile wollen auch diesen Sommer wieder viele Fans die Spiele live verfolgen.
Spiele ohne Grenzen: So wie bei früheren Fußballmeisterschaften auf der Fanmeile wollen auch diesen Sommer wieder viele Fans die Spiele live verfolgen.

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Anders als bei vorherigen "Public Viewings" bei Weltmeisterschaften oder Europameisterschaften finden die Spiele in diesem Sommer spät am Abend zu unserer Zeit statt - um 18, 21, 22 oder 24 Uhr, eines sogar nachts um 3 Uhr. 2002 bei der WM in Asien war Anpfiff am Morgen oder am Mittag; bei den Turnieren in Deutschland (2006) und Südafrika (2010) waren es die für hiesige Verhältnisse gewohnten Anstoßzeiten am Nachmittag beziehungsweise am Abend. Die Spiele waren aber spätestens um 23 Uhr vorbei. Public Viewing war bei den Weltmeisterschaften in den Jahren davor - in den 80ern, 90ern - noch nicht so ein Trend.

Bei der WM in Brasilien nun wird auf die Gastwirte, Nachbarn, Ordnungsämter und natürlich die Fans viel Neues hinzukommen - denn die meisten WM-Spiele laufen noch, wenn andere zu Bett gehen - und das nicht nur an einem Tag wie etwa in der Champions League (Anpfiff 20.45 Uhr), sondern über einen Zeitraum von vier Wochen. Eine Übersicht.

WER SPIELT UM 21 UHR?

Problematisch für den Lärmschutz in Berlin (ab 22 Uhr) sind viele WM-Spiele. Wird um 21 Uhr angepfiffen (etwa das Spiel Deutschland– Ghana), ist kurz vor 23 Uhr Schluss. Da droht Ärger mit den Nachbarn.

WER SPIELT UM 22 UHR?

Noch mehr Streit bahnt sich später an: Nach 22 Uhr findet etwa das Eröffnungsspiel statt. Und neun Spiele ab dem Achtelfinale – und da ist ja noch eine Verlängerung drin samt Elfmeterschießen nach Mitternacht …

WER SPIELT UM 24 UHR?

Etwa England–Italien, Ghana–USA oder Portugal–USA. Und auch die in Berlin lebenden Griechen und Kroaten sitzen dann wohl erst ab 24 Uhr vor dem Fernseher, wenn ihre Mannschaften auflaufen. Abpfiff ist dann um 2 Uhr.

Die Fifa zeigt auf Ihrer Internetseite die Anstoßzeiten in den unterschiedlichen Zeitzonen. Die Adresse finden Sie unter diesem Link.

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