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Fußballfans gegen die WM. In Brasilien nehmen die Auseinandersetzung um die Weltmeisterschaft zu.

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Fußball-Weltmeisterschaft 2014: Was haben wir von der WM zu erwarten?

Die Brasilianer nehmen nicht länger hin, was im Namen des Fußballs angerichtet wird. Mehr als die Hälfte lehnt die Weltmeisterschaft ab. Das Großereignis erreicht ein tief verunsichertes Land.

Es geschah nicht wie üblich an Rios vergessener Peripherie, sondern zwischen Copacabana und Ipanema, den beiden touristischen Vorzeigevierteln der Stadt. Die Bewohner der Favela Paväo-Pavaözinho kamen zu Hunderten vom Hügel herabgeströmt und lieferten sich eine Straßenschlacht mit der Polizei: errichteten Barrikaden, steckten Autos an, warfen Fenster ein. Die Polizei antwortete mit scharfen Schüssen, von denen wohl zwei Menschen tödlich getroffen wurden. Ausgelöst hatte die Ausschreitungen der Tod eines beliebten Favelabewohners. Der 26-jährige Tänzer war, so der sich erhärtende Verdacht der Bewohner, von Beamten der Befriedungspolizei UPP ermordet worden. Ausgerechnet.

Bewaffnete Macht der Drogengangs

Die UPP wird seit 2008 in den zentral gelegenen Favelas von Rio stationiert, um die bewaffnete Macht der Drogengangs zu brechen und so etwas wie Staatlichkeit herzustellen. Weil der Stationierung jedoch bisher nichts nachgefolgt ist – keine öffentliche Infrastruktur, keine Idee von Stadt, keine Zerschlagung der Drogengangs – und einige UPP-Einheiten vor allem durch Korruption und Brutalität von sich reden machen, genießt die Truppe so gut wie kein Vertrauen mehr. Immer öfter blockieren nun Favelabewohner wichtige Straßen, stecken Busse an und bewerfen UPP-Container mit Steinen. Sie fühlen sich als Bürger zweiter Klasse. Unterdessen haben die Drogengangs damit begonnen, Terrain zurückzuerobern. Nun steht der ganze Befriedungsprozess auf der Kippe. Vielleicht, fragen mittlerweile selbst konservative Medien, ist Brasilien für ein internationales Ereignis wie die Fußball-WM noch nicht reif.

Tatsächlich ist die Schlacht an der Copacabana der vorläufige Höhepunkt einer Reihe von Ereignissen, die man als bezeichnend für den kritischen Zustand einer Nation werten kann, die sich am Vorabend der größten Massenveranstaltung der Welt fragt: Können wir das, wollen wir das, und was bringt es uns eigentlich? Die WM, die den Globus auf Brasilien schauen lässt, hat den Blick der Brasilianer zurück auf sich selbst gelenkt. Und was sie da sehen, lässt sie nach Jahren der Euphorie, die auf einem starken Wirtschaftswachstum basierte, unsicher und zornig werden.

Die Bilder des jungen Jahres: ein Blackout, der sechs Millionen Menschen von der Stromversorgung abschneidet. Der Haftantritt der Politiker, die den Stimmenkauf für die Regierung von Ex-Präsident Lula organisierten. Ein Kameramann, der stirbt, nachdem neben seinem Kopf ein von Demonstranten geworfener Böller explodiert war, woraufhin Massenmedien und Politiker eine „faschistische Bedrohung von der Straße“ herbeireden. Ein schwarzer Straßendieb, der von einer Gruppe weißer Jugendlicher gefangen, geschlagen, ausgezogen und dann mit einem Fahrradschloss um den Hals an einen Straßenmast geschlossen wird. Ein Korruptionsskandal beim staatlichen Ölkonzern Petrobras, in den Präsidentin Dilma Rousseff involviert ist. Platz 58 von 65 bei der Pisa-Bildungsstudie. Die Armee, die mit Panzern in das größte Armenviertel Rios einrückt.

„Nein, wir sind noch nicht fertig“

Und natürlich immer wieder ein Mann: Mitte April sagte er wieder den Satz in die Kameras, den er in den vergangenen Monaten schon so oft sagte und den er mittlerweile hassen müsste: „Nein, wir sind noch nicht fertig.“ Jérôme Valcke, Generalsekretär des Fußballweltverbands Fifa, bestätigte, dass 50 Tage vor dem Anpfiff der WM noch immer an Stadien gebaut wird, darunter die Arena in São Paulo, in der das Eröffnungsspiel stattfinden soll. Ende März war dort erneut ein Arbeiter ums Leben gekommen, nachdem schon im November ein Kran auf das Stadion gestürzt war und zwei Arbeiter erschlagen hatte. Nun liegt die Gesamtzahl der während der zwölf Stadionbauten tödlich Verunglückten bei acht. Bei den zehn WM-Stadionbauten in Südafrika waren, zum Vergleich, zwei Arbeiter gestorben.

Wer Valcke kennt, weiß, dass der Franzose zunehmend sarkastisch gegenüber den WM-Organisatoren geworden ist. Er drohte sogar damit, Spielorte zu streichen, wenn weiter so getrödelt würde. Nun aber schien er resigniert zu haben. Brasilien hatte ihn kleingekriegt. Nie zuvor hatte ein WM-Land so viel Vorbereitungszeit (sieben Jahre), und nie ist ein Land so in Verzug geraten. Selbstverständlich ließ die Antwort der Gastgeber nicht lange auf sich warten. Auch sie ist längst zum Mantra geworden. Man werde trotz der Verzögerungen „die beste WM aller Zeiten“ ausrichten, ließ Sportminister Aldo Rebelo wissen.

Daran, dass die WM pünktlich angepfiffen wird, zweifelt niemand. Hierzulande dauert alles etwas länger, was mit der überbordenden Bürokratie zu tun hat – aber es klappt dann irgendwann doch, weil die Brasilianer Meister der Improvisation sind (mit entsprechenden Resultaten in der Ausführung). Dass es allerdings die beste WM aller Zeiten wird – und zwar nicht in sportlicher Hinsicht –, glauben nicht mehr viele. Im Jahr 2008, so ermittelte das Umfrage-Institut Datafolha, sahen fast 80 Prozent der Brasilianer die WM positiv. Heute sind nur noch 36 Prozent optimistisch. 55 Prozent glauben hingegen, dass die WM mehr Schlechtes als Gutes bringen wird. „Näo vai ter Copa!“ – „Es wird keine WM geben!“ Der Schlachtruf der Protestbewegung vom vergangenen Juni ist zum geflügelten Wort geworden. Sogar während des Straßenkarnevals in Rio wurde er angestimmt.

Hauptgrund für die schlechte Stimmung sind die gebrochenen Versprechen. Die Weltmeisterschaft wurde den Brasilianern mit zwei Zusagen verkauft: Erstens würden zahlreiche Infrastrukturprojekte die Lebensqualität in den Spielorten verbessern. Zweitens werde kein Real an Steuergeldern in die von der Fifa geforderten Stadionbauten fließen, sie würden komplett privat finanziert. Die Bilanz heute: Neun Milliarden Reais, rund drei Milliarden Euro, an öffentlichen Geldern sind in die zwölf Stadien gesteckt worden, von denen zehn teils erheblich teurer geworden sind als geplant, weil erhebliche Beträge in private Taschen umgeleitet wurden. Die Summe der privaten Investitionen liegt bei: null. Mindestens vier Stadien gelten bereits jetzt als Weiße Elefanten, also Bauten, die nach der WM keine Funktion mehr haben, aber von der Öffentlichkeit teuer unterhalten werden: Brasilia, Cuiabá, Manaus, Natal.

Undemokratische Umstrukturierung der WM-Städte

Demgegenüber wurden viele Infrastrukturprojekte aufgegeben oder verschoben. In Brasilia strich man einen S-Bahnbau wegen des Verdachts auf Betrug bei der Ausschreibung. In Salvador den Buskorridor vom Flughafen in die Innenstadt. In São Paulo den Bau einer zusätzlichen Metrolinie. In Manaus ein Hochbahnprojekt. Von den 81 tatsächlich begonnenen Arbeiten waren drei Monate vor Anpfiff nur 15 fertiggestellt. Ein Witz macht nun die Runde: Das einzige, was bei dieser WM funktioniert, ist das Klebe-Album von Panini.

Der Ärger der Brasilianer wird verstärkt durch die undemokratische Umstrukturierung der WM-Städte. Rund 200 000 Menschen, so schätzt der Stadtforscher Carlos Vainer, wurden und werden für die WM und die Olympischen Spiele 2016 umgesiedelt, häufig, um den Interessen der Immobilienwirtschaft Platz zu machen. Die Umsiedlung geschieht meist ohne Dialog, angemessene Entschädigung oder gleichwertige Wohnstätten. In der Favela do Metrô, 500 Meter vom Maracanã- Stadion entfernt, hatten die Bewohner fünf Tage Zeit, um ihre Häuser zu räumen und fanden sich nach einem Polizeieinsatz 45 Kilometer außerhalb des Zentrums wieder, während Bulldozer ihre alten Behausungen niederwalzten. Brasiliens bekanntester Sportjournalist Juca Kfouri fühlte sich an die Praktiken der Nazis erinnert.

Den Brasilianern ist bei alledem klar, wer von der WM profitiert: die Fifa und ihre Sponsoren. Die Einnahmen des Weltfußballverbands aus der WM werden auf mehr als drei Milliarden Euro geschätzt. Die Rekordsumme kassiert er steuerfrei, weil für die Dauer des Events die sogenannten Fifa-Gesetze gelten, in denen der Verband sich und seine Sponsoren neben exklusiven Verkaufszonen die Befreiung von jeglichen Abgaben garantieren lässt. Diese Fremdherrschaft stößt vielen Brasilianern übel auf. Sie zahlen absurd hohe Verbraucherabgaben, ohne dass der Staat entsprechende Gegenleistungen erbringt. Das Land belegt von 30 Industrienationen den letzten Platz, wenn es darum geht, Steuern zur Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität einzusetzen. Dennoch werden nun Millionen Reais für die Schaffung exklusiver Werbeumfelder für die Fifa-Sponsoren mobilisiert, etwa bei den vertraglich festgelegten Fanfesten.

Sie fühlen sich als Konsumenten wahrgenommen, nicht als Bürger

Die schlechte Qualität der öffentlichen Schulen, Hospitäler und des Nahverkehrs trieb im Juni 2013 vor allem junge Brasilianer millionenfach auf die Straße. Ihre Kaufkraft hatte über die Jahre zugenommen, sie fühlten sich als Konsumenten wahrgenommen, aber nicht als Bürger. Der Versuch der Regierungen Lula und Rousseff, Inklusion einzig über den Konsum herzustellen, war an seine Grenzen gestoßen. In dem Maße, wie das auf Rohstoffexport basierende Wirtschaftswachstum Brasiliens abflaute, offenbarten sich die strukturellen Mängel der vermeintlichen Aufsteigernation. Die Brasilianer sahen Schwangere, die in den Wartesälen der Krankenhäuser gebaren; sie sahen Schulen, durch deren Dächer es regnete; sie sahen Elitepolizisten, die straflos Massaker in Favelas anrichteten; sie sahen überfüllte Vorortzüge entgleisen.

In dieser Situation eine sündhaft teure WM zu finanzieren, erschien vielen als pervers – trotz der 600 000 erwarteten Besucher und weniger Hundertausend temporärer Arbeitsplätze. So bekam die WM in Brasilien das Stigma einer Eliteveranstaltung. Wen man auch fragt – vom Taxifahrer in Porto Alegre über den Autor in São Paulo, den Anwalt in Rio bis hin zum Supermarktbesitzer in Manaus –, sie alle sagen: So geht das nicht! Zu teuer, zu intransparent, zu wenig praktischer Nutzen, einzige Hinterlassenschaft: Schulden. Und sie zweifeln nicht daran, dass während der WM wieder demonstriert wird.

Die große, nicht zu beantwortende Frage ist, ob einige Hundert oder Hunderttausende auf die Straße gehen werden. Zwischen den Protestbewegungen gibt es keine Koordination und ihre horizontalen Strukturen erschweren den Überblick. Verschiedene Gruppen haben sich als Protagonisten hervorgetan, in Rio etwa das „WM-Volkskomitee“ und in São Paulo die „Passe Livre“-Bewegung für den Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr. Eine Referenz ist die Facebook-Seite von Anonymous Brasil mit 1,3 Millionen Freunden.

Medien und Politiker kriminalisieren die Proteste

Aus Angst vor Massendemonstrationen haben Politiker und Massenmedien in den vergangenen Monaten alles daran gesetzt, die Proteste zu kriminalisieren. Die Polizei, die häufig Gewalt provozierte, war ihr Werkzeug; ihre unfreiwilligen Komplizen waren die randalierenden Jugendlichen vom Black Bloc. Der einfache Brasilianer hält Demos nun für eine gefährliche Angelegenheit. Im brasilianischen Senat liegt zudem ein Anti-Terrorgesetz, das Terrorismus schwammig als „Verbreitung von genereller Panik“ definiert und bis zu 30 Jahre Haft vorsieht. Die Unterstützer des Vorhabens, das von Präsidentin Rousseff abgelehnt wird, zählen die Fußball-WM zu den Anlässen, bei denen es angewendet werden soll.

Häufig liest man, es sei ein Widerspruch, dass sich ausgerechnet das Land des Fußballs gegen die Fußball-WM gewendet habe. Vielleicht ist das ein Missverständnis. Vielleicht wollen die Brasilianer einfach nicht akzeptieren, was alles im Namen des schönen Spiels angerichtet wird.

Wie Ex-Bayern-Profi Jorginho Kindern aus der Armut hilft

Nach zwei Jahren merkte er, dass es so nicht funktionierte. Jorginho, mit bürgerlichem Namen Jorge José de Amorim, Ex-Profi bei Bayern München und 1994 Weltmeister mit Brasilien, hatte zum Ende der Karriere sein Geld in die Gründung einer Fußballschule gesteckt. Sie liegt in einer der vielen vergessenen Ecken im Norden Rio de Janeiros, dem Complexo do Muquiço. Das Viertel zeichnet sich durch einen der längsten Sozialwohnungsriegel Lateinamerikas aus; durch einen verseuchten und stinkenden Abwasserkanal, in dem furchtlose Zwölfjährige baden, und durch die Gewaltherrschaft wechselnder Drogengangs. Bis heute hat Muquiço im Gegensatz zu den Favelas in Rios Südzone, wo sich die Touristen während der Fußball-WM aufhalten werden, keine Einheit von Rios Befriedungspolizei UPP erhalten. Die Bewohner in Muquiço gehören zur brasilianischen Unterschicht oder leben im Elend unter einer Betonbrücke, über welche die mehrspurige Avenida Brasil rauscht.

Auch der damalige Außenminister Guido Westerwelle (FDP) besuchte im Jahr 2010 das Kinderprojekt von Jorginho (zweiter von rechts) min Rio de Janeiro.
Auch der damalige Außenminister Guido Westerwelle (FDP) besuchte im Jahr 2010 das Kinderprojekt von Jorginho (zweiter von rechts) min Rio de Janeiro.

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Jorginho war in Muquiço aufgewachsen, zunächst in einer Holzhütte, später in Block 19. Zu Hause schlug der Vater die Mutter, ehe er genau wie Jorginhos Schwester starb – da war der spätere Profi elf Jahre alt. Draußen musste er mit ansehen, wie seine Freunde im sinnlosen Drogenkrieg umkamen. Nun wollte Jorginho, der längst in den noblen Süden Rios entkommen war, seinem Viertel etwas zurückgeben. Im Jahr 2000 startete er „Bola Pra Frente“ – „Den Ball nach vorne spielen“. Die Idee: Jugendliche werden zu Fußballern ausgebildet und entkommen der Armut.

„Wir wollen keine Athleten ausbilden. Wir wollen Bürger formen“

„Das klappt gar nicht“, sagt Jorginho heute. „Wenn es wirklich mal einer schaffen sollte, ist das ein Wunder. Die Kids kamen damals mit Erwartungen, die enttäuscht wurden.“ Jorginho sitzt in Jeans und T-Shirt im Büro seiner Schule. Er ist braun gebrannt, was seine grünen Augen gut zur Geltung bringt, am Handgelenk prangt die Riesenrolex. Der 49-Jährige ist auf Jobsuche, seit er 2013 als Trainer von Rios Club Flamengo entlassen wurde.

„Nach zwei Jahren“, sagt er, „haben wir das Konzept der Schule umgeworfen.“ Klar, der ummauerte Kunstrasenplatz blieb, dort wird heute gekickt und getobt. Doch hinzu kamen nun Klassenräume, in denen die Sechs- bis 17-Jährigen eine Art Nachhilfe bekamen. Die öffentlichen Schulen Brasiliens waren schon damals schlecht, man wollte die Defizite ausgleichen. Kopfdribbling statt Schussübungen. Es war die Abkehr vom Gedanken, dass der Fußball für die Jugend aus den Armenvierteln ein Ausweg ist – wie es Sportprojekte rund um die Welt suggerieren. Und natürlich öffnete man sich auch für Mädchen. Das Logo von „Bola Pra Frente“ ist heute ein Fußballplatz, der sich zu einem Buch wellt.

Das heißt nicht, dass Fußball in Muquiço keine Rolle mehr spielt. Im Gegenteil: Seine Rhetorik und Regeln bilden die Basis einer eigens entwickelten Pädagogik, bei welcher der Gemeinschaftsgedanke im Vordergrund steht. Der Klassenraum ist zur Mannschaftskabine geworden und vor dem Unterricht wärmt man sich auf: mit Palaver, um erst mal alles loszuwerden, was einen bedrückt.

Beim Besuch in einem der kleinen Unterrichtsräume erklärt eine Lehrerin gerade das Alphabet anhand von Begriffen, die hier natürlich alle kennen: K wie Kaká (Fußballstar), P wie Pênalti (Elfmeter), S wie Seleção (das brasilianische Nationalteam). Für Mathe nutzt sie Fußballresultate und Tabellen. Benimmt sich ein Schüler daneben, wird erst die Gelbe Karte und später die Rote verliehen. Darüber stimmt die Klasse ab. „Der Karton geht nicht ans Kind, sondern ans unsportliche Verhalten“, sagt die Lehrerin. „Wir wollen keine Athleten ausbilden. Wir wollen Bürger formen.“ Bei den Älteren wandelt sich dann der Fokus. Es geht um Kunst, Kultur, die Persönlichkeitsbildung.

„Kleidung, Körpersprache, verbaler Ausdruck“

Jorginho, der früher seinen evangelikalen Glauben offensiv ausstellte, heute aber diskret damit umgeht, hat große Sponsoren für seine Schule gefunden, darunter Unternehmen mit zweifelhafter Reputation, was Arbeitsrechte und Demokratieverständnis angeht: Nike, Nestlé, das Globo-Medienhaus sowie das von Daimler und dem Schweizer Richemont-Konzern finanzierte Heiße-Luft-Event „Laureus Awards“.

Beim Gang übers Gelände wird man von einer Pressefrau darauf hingewiesen, dass man niemanden fotografieren dürfe, der nicht die komplette Nike-Uniform trage, was dann aber – sehr brasilianisch – nach dem Hinweis nicht mehr zu gelten scheint. Ebenso solle man sich bitte schön an die ausgewählten Gesprächspartner halten – was ebenso lax gehandhabt wird.

Wie dem auch sei: 98 Prozent der Jugend Muquiços besucht „Bola Pra Frente“ und man verzeichnet 14 000 Abgänger. Eine, die gerade fertig wird, ist die 17-jährige Darine Rodriguez, ein schwarzes Mädchen mit leuchtend blauen Augen. Sie sitzt mit Gleichaltrigen in einem Klassenraum. Alle hier haben gerade eine Ausbildung oder einen Job begonnen, viele in einem der Partnerunternehmen der Schule. „Nun lernen wir, wie man sich in der Berufswelt verhält“, sagt Darine. „Kleidung, Körpersprache, verbaler Ausdruck.“

90 Prozent der Jugendlichen, die „Bola Pra Frente“ besucht haben, finden anschließend Arbeit. Das ist ein unfassbar starker Wert, weil Jugendliche aus Favelas – zumal wenn sie schwarz sind – meistens nur im informellen Sektor unterkommen: Putzfrau, Straßenverkäufer, Aushilfsarbeiter. Darine hilft hingegen heute ihrer Mutter, die Rechnungen zu bezahlen. „Ich muss doch kein Fußballer sein, um etwas zu gelten“, sagt sie.

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