zum Hauptinhalt
Polizisten vor der Mauer des jüdischen Friedhofs in Halle.

© Sebastian Willnow / dpa / AFP

Furchtbarer Nährboden: Terrorziel Synagoge - der tödliche Geist des Antisemitismus

Das eigentliche Ziel des Attentäters waren die Gläubigen in einer Synagoge. Deutsche Rechtsextremisten schrecken vor nichts mehr zurück. Ein Kommentar.

Eine brutale Tat erschüttert die Republik. Zwei Menschen starben, weil ein Rechtsextremist sie kaltblütig erschoss. Doch was das Land außerdem in Schock versetzt, sind die gescheiterten Absichten des schwerbewaffneten Täters: Er hatte versucht, in eine Synagoge einzudringen, um zu töten. Das hat es in dieser Form in Deutschland nach dem Krieg nicht gegeben. Was er in der Synagoge angerichtet hätte, wenn die verschlossenen Sicherheitstüren seinen Einbruchsversuchen nicht standgehalten hätten, möchte man sich nicht ausdenken.

Diese Tat - auch wenn es nur ein Versuch war und der Mörder seine Opfer dann auf der Straße und in einem Dönerladen fand - ist ein perfider Anschlag auf Juden und das jüdische Leben in Deutschland. Ausgerechnet an Jom-Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, versucht ein mordbereiter Deutscher mit Sprengkörpern und Maschinengewehren, ein Blutbad unter Gläubigen anzurichten. Es ist das Versöhnungsfest, ein Tag des Friedens, des Glaubens, der Ruhe und des Fastens. Es ist ein Tag der besonderen Einkehr.

Es kennzeichnet Terroristen, dass sie sich ihre Opfer suchen, wenn die Menschen am verwundbarsten sind, wenn sie am wenigsten mit Aggression und Brutalität rechnen. Das macht das Barbarische der Täter deutlich, denen es um nichts anderes geht, als durch Mord in der hinterhältigsten Form Schrecken zu verbreiten. Juden in Deutschland sollen wieder Angst haben - und am besten jeder, der für ein Feindbild taugt, mit ihnen.

Deshalb ist diese Tat auch ein Anschlag auf die deutsche Gesellschaft. Auf eine Republik, deren Bürger sich in einem langen Prozess vom Schatten des „Dritten Reichs“ gelöst haben und für deren überwiegende Mehrheit jüdisches Leben integraler Bestandteil der deutschen Nachkriegskultur ist. An einer zunehmenden Selbstverständlichkeit des jüdischen Lebens hat sich lange der Reifeprozess dieser Republik gemessen.

Immer wieder haben Übeltäter in den vergangenen Jahrzehnten das „Nie wieder“ in Frage gestellt, den Schwur der deutschen Nachkriegsgeschichte, die zentrale Lehre aus dem Holocaust. Antisemitische Attacken haben die Deutschen auf ihrem Weg begleitet, von Hakenkreuzschmierereien auf jüdischen Friedhöfen bis zum bisher furchtbarsten antisemitischen Terrorschlag auf deutschem Nachkriegsboden, dem palästinensischen Überfall auf die israelische Olympiamannschaft 1972 in München. In den Augen der meisten waren dies Einzeltaten, die auf nichts grundsätzlich Besorgniserregendes im Verhältnis zu jüdischen Bürgern hindeuteten.

Die Tat von Halle ist eine Zäsur

Weit gefehlt. Je mehr die Vergangenheit in die Ferne rückte, desto ungebremster kroch er wieder aus dem Boden hervor, der tödliche Geist. Immer wieder haben Juden ihre Besorgnis über die wachsende Feindschaft in der deutschen Gesellschaft zum Ausdruck gebracht. 1799 antisemitische Straftaten hat das Bundesinnenministerium 2018 gezählt müssen, eine Zunahme von 20 Prozent.

Die Mahner haben Recht behalten. Polizeiwachen vor jüdischen Institutionen sind heute trauriger Alltag, ja lebensschützende Notwendigkeit. Juden werden auf offener Straße bespuckt, getreten, angegriffen. Doch die Tat von Halle ist eine Zäsur. Im rechtsextremen Milieu ist eine Saat aufgegangen, stehen mordbereite Schergen bereit, die vor perfiden Bluttaten nicht mehr zurückschrecken.

Sie sind gewachsen auf einem Boden der Geschichtsrelativierungen, des Hasses, der Xenophobie. Ihre Hybris wird genährt durch sich erschreckend ausbreitende völkische Tendenzen, die weit in die AfD hineinreichen. Viele im Land lassen sie gewähren, wählen sie sogar und stärken so den Nährboden für rechten Extremismus.

Die Pflicht zur Wachsamkeit gegenüber antisemitischen Tendenzen, zum Schutz von Juden, betrifft alle Deutschen. Alle Glieder der Gesellschaft sind gefragt, dem rechten Mob und seinen sogar wieder in Parlamenten sitzenden Sympathisanten Einhalt zu gebieten. „Nie wieder“ sollten Juden auf deutschem Boden Furcht um ihr Leben haben müssen. Der Schwur darf nicht nur ein Schwur bleiben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false