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Vorerst weiter im Amt: Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht.

© Imago/Metodi Popow

„Für die Linke eine Überlebensfrage“: Partei-Stratege Brie sieht Linke in Existenz bedroht

Sowohl der Linken als auch der SPD fehlten Gebrauchswert und eine strategische Führung, sagt Michael Brie von der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Von Matthias Meisner

Herr Brie, die SPD in der Krise, Aufschwung der Grünen, die Linke angeschlagen – war es das jetzt mit Rot-Rot-Grün im Bund?

Die Verunsicherung in den Parteien, namentlich bei der SPD und bei der Linken, ist so groß, dass vorher unmögliches möglich werde könnte. Debatten wie aktuell um den Klimawandel und vor Jahren um die Flüchtlingskrise zeigen, dass in der Gesellschaft ein ungeheurer Erwartungsdruck vorhanden ist. Die SPD ist in einer Situation, in der sie nach einer neuen Option suchen muss. Sie könnte zwar sagen, sie zieht sich jetzt in die Opposition zurück oder versucht, in der Groko weiterzumachen. Aber diese beiden Varianten geben ihr ja keinen Gebrauchswert. Weiter wie bisher ist kein Gebrauchswert, Opposition an sich auch nicht.

Wie schätzen Sie die Lage der Grünen ein?

Für die Grünen stellt sich die Frage nach der künftigen Rolle noch drängender – jetzt, wo sie auf Augenhöhe mit der CDU agiert. Vorher war die Option ja ganz nett, als Juniorpartner der Union für eine ökologische Modernisierung zu sorgen. Jetzt stehen die Grünen vor der Herausforderung, dass sie über die Richtung der Politik insgesamt entscheiden muss. Es liegen inhaltlich Welten zwischen der CDU der Nach-Merkel-Ära und den Grünen. Der Aufstieg der Grünen macht für sie eine Koalition mit der Union deutlich unattraktiver. Die Grünen haben gute Gründe, nach einer anderen Option zu suchen, die vielmehr Chancen bietet. In einer grün-rot-roten Koalition könnten die Grünen einen Richtungswechsel in der Politik anführen.

Und die Linkspartei? Scheitert ein Linksbündnis nicht an den außenpolitischen Differenzen?

Die außenpolitischen Differenzen sind überwindbar. Es gibt sicherlich ein paar Punkte, über die gestritten werden muss. Einen weiteren Anstieg der Rüstungsausgaben mitzutragen, wäre schwer für die Linkspartei, aber vielleicht auch für die SPD. Das Verhältnis zu Russland muss neu austariert werden. Ich sehe auch in der Außenpolitik, die ja gemeinhin als Hemmnis für eine Koalition angesehen wird, keine unüberbrückbaren Hindernisse.

Michael Brie (65) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Michael Brie (65) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung.

© Rosa-Luxemburg-Stiftung

Erleichtert der bevorstehende Rückzug von Sahra Wagenknecht ein Linksbündnis im Bund?

Vielleicht war die Rhetorik von Sahra Wagenknecht anders als die anderer Linken-Politikerinnen und -Politiker. Ihr strategisches Ziel war immer eine rot-rot-grüne Regierung. Auch Oskar Lafontaine wollte das, als er die Linkspartei mitgegründet hat. Die Vorstellung, dass Lafontaine und Wagenknecht vom Willen zur Opposition getrieben wären, ist absurd. Man kann immer fragen: Haben sie das mit den richtigen Mitteln gemacht? Ihr Ziel – und auch das anderer Linken-Politiker - war jedoch immer, die parteipolitische Landschaft nach links zu verschieben und auf SPD und Grüne einen Druck in Richtung einer anderen Politik auszuüben, ökologischer, sozialer und auch auf verbesserte Kooperation mit Russland.

Bei der vergangenen Europawahl lag die Linkspartei gefährlich nahe an der Fünfprozentmarke. Auf Augenhöhe kann sie mit SPD und Grünen derzeit kaum agieren, oder?

Die Linkspartei muss besorgt machen, dass sie in für sie wichtigen Wählergruppen so stark verliert, bei der unteren Mitte der Lohnarbeitenden und bei Menschen mit Abstiegsängsten. Besonders drastisch sind die Verluste im Osten, dies nun schon seit Jahren, einerseits durch Überalterung, andererseits durch Wählerwanderung zur AfD. Jetzt hat sie zusätzlich durch den Aufstieg der Grünen bei den akademischen Schichten verloren. Die Situation ist für die Linke insgesamt existenzbedrohend. Ähnlich wie die SPD muss sich die Linkspartei nach ihrem Gebrauchswert fragen lassen. Die Parteivorsitzende Katja Kipping hat guten Grund – und sie hat das jetzt ja auch getan -  einen Richtungswechsel auf die Tagesordnung zu setzen. Das ist für die Linke wirklich eine Überlebensfrage.

Ist die Linke denn überhaupt regierungsfähig?

Es geht ja nicht nur um den Rückzug von Sahra Wagenknecht. Auch die jetzigen Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger sind nun schon sieben Jahre lang im Amt. Sie sind ebenfalls durch die aktuelle Krise der Partei geschwächt. Von einer wirklichen Führungsfähigkeit ist die Partei weit entfernt. Das gilt erst recht für die Bundestagsfraktion, die tief gespalten ist. Wenn Sie fragen, ob die Partei in der jetzigen Verfasstheit koalitionsfähig ist, würde ich sagen: nein. Das hat sie mit der SPD gemein. Sowohl der Linkspartei als auch der SPD fehlt eine strategisch orientierte Führung.

Michael Brie (65) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Linken-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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