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Windpark bei Elsterberg in Sachsen an der Landesgrenze zu Brandeburg.

© picture alliance / ZB

Fünf Jahre nach Fukushima: Schöpferische Zerstörung

Die Energiewende muss die gesamte Wirtschaft erfassen - sie muss zur Wärme- und Verkehrswende werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Dagmar Dehmer

Im vergangenen Jahr hat das Öko-Institut die „Halbzeit“ der Energiewende gefeiert. 1980 haben die Freiburger Forscher den Begriff mit ihrer ersten Energiewendestudie erfunden. Bis 2050 wird aus der Stromwende, die seit dem Jahr 2000 mehr oder weniger kontinuierlich stattfindet, eine Energiewende geworden sein, die auch die Wärmeversorgung und den Verkehr dramatisch verändert haben wird. Wo steht die Energiewende fünf Jahre nach dem zweiten und wohl endgültigen Atomausstieg in Deutschland?

Bis 2011 war die Energiewende eine Art Guerillakampf gegen die alten Strukturen. Im Jahr 2000 lag der Atomstromanteil noch bei 29,4 Prozent des deutschen Strommixes. Braunkohlekraftwerke lieferten 25,7 Prozent, Steinkohlemeiler 24,8 Prozent und die erneuerbaren Energien gerade mal 6,6 Prozent des Stroms. Die damalige rot-grüne Regierungskoalition handelte den ersten Atomausstieg mit den Betreiberfirmen aus – und der Bundestag beschloss das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Ob allen Beteiligten damals klar war, dass sie damit den Grundstein für die „schöpferische Zerstörung“ gelegt haben, die mit der Spaltung und Neuorganisation von Eon und RWE 2015 ihren sichtbarsten Ausdruck gefunden hat? Vermutlich nicht. Aber damals verstopften Kohle- und Atomstrom die Leitungen, und ohne neue Akteure auf dem Markt wäre die Energiewende undenkbar gewesen. Inzwischen sind die Erneuerbare-Energien-Verbände Lobbygruppen, die so wenig übergangen werden können wie die Gewerkschaften oder die klassischen Industrieverbände.

Kein Anlass, irgendetwas in den Klimaschutz zu investieren

Die Idee, Investoren in neue Technologie stabile Bedingungen zu bieten, hat dazu geführt, dass der Anteil erneuerbarer Energien am deutschen Strommix 2015 bei 30,03 Prozent lag. Atomstrom liefert noch 14,1 Prozent, aber Braunkohle mit 23,8 Prozent und Steinkohle mit 18,1 Prozent sind ziemlich stabil geblieben. Das hat zwei Gründe: Trotz der europäischen Klimabeschlüsse 2007 und der derzeit verhandelten Fortschreibung haben diese die Energiepolitik erstaunlich wenig beeinflusst. Der europäische Emissionshandel, den es seit 2005 gibt, hat so viel Rücksicht auf möglicherweise betroffene Industrien genommen, dass der aktuelle Preis für die Tonne CO2 bei fünf Euro liegt. Kein Anlass, irgendetwas in den Klimaschutz zu investieren. Die Wirtschaftskrise nach dem Bankencrash 2008 und der darauf folgende Frackingboom in den USA haben den Weltkohlepreis dramatisch fallen lassen. Abgeschriebene Kohlekraftwerke sind derzeit die einzigen konventionellen Stromerzeugungsanlagen, die Geld verdienen. Das lässt sich gut am Gasanteil an der Stromerzeugung ablesen, der 2000 bei 8,5 Prozent lag und 2015 bei 9,1 Prozent. Nur 2011, in dem Jahr, in dem acht Atomkraftwerke nach der Katastrophe in Fukushima stillgelegt worden sind, lag der Gasanteil einmal bei 14 Prozent.

Die Kombination aus billiger Kohle und mangelnder Klimaschutzpolitik der EU gefährdet derweil die Klimabilanz der deutschen Nachbarländer. In der Schweiz rechnen sich Pumpspeicherkraftwerke nicht mehr, weil der deutsche Kohlestrom immer dann, wenn viel Solar- oder Windstrom ins Netz eingespeist wird, sagenhaft billig ins europäische Ausland verscherbelt wird. In der Schweiz hat das zu einiger Verbitterung geführt. Nicht anders geht es den Niederlanden mit modernen Gaskraftwerken, die wie in Deutschland nach und nach alle aus dem Markt gedrückt worden sind.

Jetzt beginnt der klimafreundliche Totalumbau

Wegen dieser Marktentwicklungen ist auch fraglich, ob das deutsche Konzept eines verbesserten sogenannten Energy-Only-Strommarktes tatsächlich dazu führt, dass die Energiewende besser steuerbar wird. Bisher steuert die Bundesregierung den Ausbau erneuerbarer Energien mit einem Höchstausbauziel. Doch in Starkwind- oder Starksonnenzeiten wird dieser von den deutschen Stromkunden überwiegend klaglos geförderte Strom auf dem Markt nahezu wertlos – und reißt das gesamte System mit.

Das kann nur dann funktionieren, wenn es den Energiewendestrategen im Wirtschaftsministerium gelingen sollte, die Stromwende mit einer Wärme- und einer Verkehrswende zu verbinden. Denn dann wird die gesamte Volkswirtschaft viel stärker als bisher elektrifiziert. Sei das jetzt über Batteriesysteme oder über Brennstoffzellen, deren Treibstoff Wasserstoff mit Windstrom erzeugt wird. Eine höhere Nachfrage nach Strom durch den Wärme- und den Verkehrssektor könnte dann auch wieder einen etwas höheren Großhandelspreis für Strom an der Leipziger Börse erbringen. Das würde auch die Strommärkte der Nachbarn entlasten.

Die Energiewende in Deutschland steht fünf Jahre nach Fukushima an einem Punkt, der nicht mehr nur einige wenige Teile der Wirtschaft erfasst. Jetzt beginnt der klimafreundliche Totalumbau. Es wird viele Sieger geben, aber auch Verlierer.

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