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Geteiltes Leid: Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles (rechts) und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer stehen beide in der Kritik.

© Bernd von Jutrczenka/dp/dpa

Führungskrise bei CDU und SPD: Planlos im Maschinenraum

Die Spitzen von CDU und SPD analysieren ihre schwere Wahlniederlagen. Den Sozialdemokraten droht im Streit um Andrea Nahles eine unkontrollierte Führungskrise.

Als die CDU-Vorsitzende und die SPD-Vorsitzende für die Zeit kurz nach der Europawahl ihre jeweiligen Vorstände zur Klausur einluden, fanden das beide eine gute Idee. Inzwischen scheint das hier wie dort nicht mehr so sicher.

Annegret Kramp-Karrenbauer muss sich aus gegebenem Anlass Nachhilfe in Kommunikation mit der digitalen Welt geben lassen. Andrea Nahles kämpft ums politische Überleben. Was auch immer die Vorstände der beiden angeknacksten Volksparteien am Sonntag und Montag an Programmatischem bereden – mit dem Kopf sind viele absehbar ganz woanders.

Im Willy-Brandt-Haus ist das am Freitag spürbar. Dort herrscht eine Stimmung, die an ein Zitat eines früheren Generalsekretärs erinnert. Es könne nicht sein, dass „die Bundeskanzlerin auf dem Sonnendeck außenpolitisch winkt und die SPD unten im Maschinenraum schwitzt“, klagte Hubertus Heil, heute Arbeitsminister, vor 13 Jahren.

Heute regt Angela Merkel die gleichen Reflexe wieder. Kopfschüttelnd wird in der SPD-Zentrale registriert, dass die Kanzlerin sich an der US-Universität Harvard für Mindestlohn, Ehe für alle, Klimapolitik und die Aufnahme von Flüchtlingen feiern lässt, aber der SPD-Anteil an dieser Politik oft unter den Tisch fällt, vor allem beim Wahlvolk.

Und im sozialdemokratischen Maschinenraum droht zu allem Übel ein Totalschaden. Denn es wird in unterschiedliche Richtungen gearbeitet. Am Montag kommt der SPD-Vorstand offiziell zu einer vierstündigen Analyse der verheerenden Niederlagen bei der Europawahl und der Bremer Bürgerschaft zusammen. Doch im Hintergrund blickt alles auf das, was im anderen Machtzentrum der SPD abläuft, in der Bundestagsfraktion, wo tags drauf um 14 Uhr eine womöglich historische Sitzung stattfinden wird.

Alles wirkt planlos

Partei- und Fraktionschefin Andrera Nahles wollte eigentlich mit einer vorgezogenen Neuwahl ihre Kritiker überlisten und ihre Machtposition festigen. Doch stattdessen muss sie eine Niederlage fürchten – selbst wenn niemand gegen sie antritt.

Wie verheerend die Lage für sie ist, zeigt ein Stimmungsbild in der konservativen Strömung der Fraktion, dem Seeheimer Kreis. Dort gab es kein Handaufheben, wie es in einem Zeitungsbericht fälschlich hieß. Aber Teilnehmer berichten von einer „Abstimmung mit Worten“. Bei 23 Wortmeldungen habe es 22 vernichtende Beiträge gegeben. Lediglich die aus Nahles' Heimatverband Rheinland-Pfalz stammende Abgeordnete Doris Barnett habe klar für Nahles Partei ergriffen und sie gelobt.

Die große Frage nun ist, ob die Konsequenzen einer Nahles-Demontage nicht doch disziplinierend wirken könnten. Völlig unklar ist auch, bei welchem Prozent-Ergebnis die Vorsitzende persönlich ihre Schmerzgrenze sieht.

In der Fraktion geht man einhellig davon aus, dass sie beim Aus als Chefin der 152 Bundestagsabgeordneten auch den Parteivorsitz abgeben muss. Dabei weiß keiner weiß so recht zu sagen, was die überzeugende Alternative sein soll. Aber vielen scheint das erst einmal egal: Hauptsache, Nahles sei weg.

Das alles wirkt derart planlos, dass es auch für die große Koalition eng werden könnte. Denn in der sehen inzwischen viele Sozialdemokraten das Grundübel. Heils Sonnendeck-Klage erscheint da aktueller denn je.

Sorgen für AKK vergleichsweise banal

Die Sorgen der CDU-Chefin wirken daran gemessen banal. Die Partei hatte bei der Europawahl ein historisches Tief, der historische Sieg im Stadtstaat Bremen kann das nicht ausgleichen. Die Aussichten für die Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen im Herbst sind bescheiden.

Und die Reaktion auf das provokante Rezo-Video fiel derart konfus aus, dass niemand über inhaltliche Schwächen des jungen Youtubers redet oder über Hysterie im Netz, sondern alle nur über AKKs verpatzten Auftritt. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther schießt in der „Welt“ vorsichtshalber schon mal Sperrfeuer: Die Vorsitzende mache trotzdem einen guten Job und könne auch Kanzlerin.

Wie man künftig besser mit der Netzgemeinde umgeht, darüber soll die CDU-Spitze am Sonntagabend mit Experten reden; am Montag steht amtlich die Arbeitsplanung bis 2021 auf der Tagesordnung. Die wichtigste Frage steht so in keinem Programm: In welche Richtung soll die CDU künftig marschieren? Nicht zufällig warnen vor der Klausur Vertreter eines liberalen Kurses wie Günther davor, bei „Zukunftsthemen“ wie dem Klimaschutz den Anschluss zu verlieren.

Tatsächlich ist das allerdings nur die eine Seite des Dilemmas. Die CDU hat bei der Europawahl im Westen massiv an die Grünen verloren. Im Osten überholt sie die AfD in vielen Regionen. Wer das Erstarken der Einen zu bremsen versucht, riskiert dem Hauptgegner auf der anderen Seite der einstigen Mauer in die Karten zu spielen. Die CDU als Volkspartei steht nicht akut vor dem Aus. Ratlos wirkt sie aber auch.

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