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Lüften zum Schulbeginn nach den Herbstferien in Gütersloh, Nordrhein-Westfalen

© dpa/Guido Kirchner

Frischluft im Corona-Herbst: Das rät Merkels „Regierungslüfter“ jetzt

TU-Professor Martin Kriegel ist derzeit ein wichtiger Regierungsberater. Er erklärt, wie es mit dem Lüften klappt, um den Lockdown doch noch zu verhindern.

Martin Kriegel versteht manchmal die Welt nicht mehr. Hartnäckig hält sich das Gerücht „Lüften = virusfrei“ in der Corona-Debatte. Das sei aber Quatsch. „Es ist letztlich eine einfache Bilanzgleichung: Wir haben einen Infizierten, das Gemisch an Viren ist da – dieses Gemisch kann man in der Raumlauft nur begrenzen, es wird aber nie ganz verschwinden."

Selbst wenn man lüfte, gebe es niemals null als Konzentration. „Je länger wir in einem Raum sind, desto mehr atmen wir ein“, betont der Leiter des Hermann-Rietschel-Instituts an der Technischen Universität Berlin. Als Vater von drei Töchtern kennt Kriegel alle Ebenen der L-Frage – eine Tochter in der Kita, eine in der Grundschule, eine in der Oberschule.

Spahn nahm ihn mit zur Pressekonferenz

Am 8. Oktober wurde er der Öffentlichkeit in einer für ihn ungewohnten Rolle präsentiert, als Art „Regierungslüfter“. Die Coronakrise bringt es mit sich, dass ganz neue Experten und Beratergremien gefragt sind. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) lud Kriegel ein, ihn zur Bundespressekonferenz zu begleiten, Titel der live im Fernsehen übertragenen Veranstaltung: „Die Corona-Lage im Herbst“.

Spahn erklärte dort, die AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske) würden nun um das „L“ ergänzt. L wie Lüften. Um das andere L, einen neuen Lockdown mit geschlossenen Kitas und Schulen zu verhindern. Spahn dachte, dass das Thema ausführlich thematisiert werden könnte.

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Doch nach Kriegels Erläuterungen, wie durch Lüften die Virenlast in Schulklassen und Betrieben im Herbst und Winter zu reduzieren sei, gab es hierfür von den Journalisten kaum Interesse. „Da kam ja dieses andere große Thema dazwischen“, sagt Kriegel. Er muss kurz überlegen. Ach ja, die Beherbergungsverbote.

Seit Kriegel 2011 an die TU berufen worden ist, hat er den Forschungsschwerpunkt luftgetragene Verunreinigungen ausgebaut. Seitdem arbeiten er und sein Team verstärkt mit den medizinischen Partnern wie Robert-Koch-Institut und Charité zusammen. „Durch Corona hat das dann alles eine enorme Dynamik gewonnen.“

Der TU-Professor Martin Kriegel berät die Bundesregierung in Lüftungfragen.
Der TU-Professor Martin Kriegel berät die Bundesregierung in Lüftungfragen.

© imago images/Jürgen Heinrich

Als es letztens um die Frage ging, warum nach Spahns Corona-Infektion nicht das ganze Kabinett in Quarantäne musste, wurde auf den großen Abstand im internationalen Konferenzsaal des Kanzleramts und das ständige Lüften verwiesen. Dort tagt derzeit das Kabinett. Ein Minister erzählte laut „Spiegel“, dass sich die Kanzlerin höchstpersönlich um den Corona-Schutz im für 180 Personen ausgelegten Saal gekümmert habe. Nun werde die Luft dort siebenmal pro Stunde ausgetauscht.

Kriegel hat noch nicht persönlich bei der Kanzlerin vorgesprochen, aber auch sie stützt sich auf dessen Expertise. "Das politische Interesse ist für uns Neuland", erzählt er. Jetzt nach den Herbstferien kommt bei teils über 12.000 Neuinfektionen am Tag der Lackmustest, gerade in Schulen und Kitas.

Spahn und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wollen sie unbedingt offen halten. Und setzen dafür auf Kriegels Expertise. „Ein normaler Regelbetrieb geht eigentlich nicht. Je weniger Personen im Raum sind, desto weniger werden sich anstecken“, sagt Kriegel.

Wie beim Zigarettenrauch

Lüfter für ein paar Hundert Euro, das sei rausgeschmissenes Geld, die brächten einfach nicht die Verdünnung der Luft, die Virenlast bliebe zu hoch. „Wir senken durch eines solcher schwachen Geräte das Risiko um ein paar Prozent, aber nicht wesentlich. Das Wichtigste neben dem Lüften ist die Aufenthaltszeit.“ Denn die ganzen Verunreinigungen sammeln sich nun mal in Räumen.

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Das sei wie beim Zigarettenrauch. „Der Rauch schwebt auch ewig rum und verschwindet nie ganz. Egal ob da eine Lüftungsanlage läuft, das ist in ein paar Minuten überall zu riechen. So ist das auch mit den Virenpartikeln.“

Um die Konzentration auf null zu setzen, bräuchte man gigantische Luftmengen, das sei praktisch nicht realisierbar. Ein Infizierter bringe eben permanent wie beim Ausblasen von Rauch über Aerosole eine neue Virenbelastung rein.

Kanzlerin Angela Merkel soll such persönlich um das regelmäßige Durchlüften des Kabinettssaals gekümmert haben.
Kanzlerin Angela Merkel soll such persönlich um das regelmäßige Durchlüften des Kabinettssaals gekümmert haben.

© imago images/Jens Schicke

Egal ob Luftfilter oder Stoßlüften: Es gehe nur um eine Verdünnung. „Deswegen ist es falsch zu sagen, durch Frischluftzufuhr oder durch gefilterte Luft ist der Raum gereinigt. Nur die Luftmenge, die durch ein Gerät ströme oder von außen zugeführt werde, sei virenfrei.

Das verändere lediglich das Mischungsverhältnis der mit Viren belasteten Luft. „Ich verstehe das gar nicht, überall werden nun so irreführende Kurven gezeigt, die zeigen, dass die Virenlast um mehr als 90 Prozent in Minuten gesenkt wird. Eine reine Luft bekommt man ja nur, wenn eine infizierte Person nicht mehr im Raum wäre“, sagt der 45-Jährige.

Die Bundesregierung hat nun eigens ein beim Bundeswirtschaftsministerium angesiedeltes 500-Millionen-Euro-Förderprogramm aufgelegt. Es sieht Zuschüsse für die Um- und Aufrüstung stationärer raumlufttechnischer Anlagen (RLT) vor. Die Förderung beträgt bis zu 40 Prozent der förderfähigen Ausgaben, die bei 100.000 Euro gedeckelt werden. „Wir alle haben gelernt, dass Aerosole entscheidend sind bei der Übertragung des Coronavirus“, betont Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU).

Gefördert werden sollen Anlagen dort, wo viele und wechselnde Personen aufeinandertreffen: in Hörsälen und Schulen, in Theatern und Museen, in kommunalen Versammlungsräumen und Bürgerhäusern.

Der Lüftungsexperte Kriegel hat mit Experten vom Robert-Koch-Institut und der Charité sowie dem Gesundheitsamt Berlin-Spandau detailliert bestimmte Szenarien durchgerechnet. Letztlich verhält es sich beim Lüften wie mit der Maske, das Risiko einer Ansteckung lässt sich nur reduzieren.

Kriegel rechnet das mit einem Beispiel vor: „Wir wollen, dass eine infizierte Person maximal eine weitere ansteckt. (R-Wert = 1). Wenn sich 20 Personen treffen und ein Infizierter kommt hinzu, dann sollte das Infektionsrisiko bei maximal fünf Prozent sein, damit sich am Ende des Treffens maximal eine Person ansteckt.“

Wenn die Personen sich zwei Stunden lang in dem Raum aufhalten, dann müsse die saubere Zuluftmenge 3000 Kubikmeter pro Stunde hoch sein. Das sei in der Regel mehr, als man über Lüftung oder Filtergeräte bereitstellen kann. Treffen sich die 20 Personen drei Stunden lang, dann müsste die Zuluftmenge 4500 Kubikmeter pro Stunde (m3/h ) sein.

Wenn man ein noch niedrigeres Infektionsrisiko möchte – zum Beispiel ein Prozent –, dann seien für das Beispiel bei zwei Stunden Aufenthalt 15.000 und bei drei Stunden 22 500 m3/h Zuluftmenge nötig.

Personenzahl in Innenräumen und Aufenthaltszeit begrenzen

Viele Geräte können aber nur 1000 Kubikmeter in der Stunde schaffen. Durch so eine Raumlüftung könne man je nach Raum das Infektionsrisiko vielleicht auf 20 Prozent reduzieren. „Das bedeutet aber auch, sind 100 Personen in dem Raum, können sich immer noch 20 infizieren.“ Deswegen sei es so wichtig, die Personenzahl in Innenräumen und die Aufenthaltszeit zu begrenzen.

Ein Regelbetrieb an Schulen könne in der jetzigen Lage nicht lange gut gehen. „Gerade in den oberen Klassen kann man überlegen, ob nicht auch zwei bis drei Tage die Woche Präsenzunterricht reichen und der Rest digital läuft“, sagt Kriegel. „Es ist allemal besser, mit einem Kompromiss durch den Winter zu kommen, als einen neuen Lockdown zu riskieren.“

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