zum Hauptinhalt
Aung San Suu Kyi auf dem Weg zur Stimmabgabe für die kommenden Parlamentswahlen.

© Aung Shine Oo/AP/dpa

Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi: Von der Hoffnungsträgerin zur großen Enttäuschung

Myanmar wählt am Sonntag mitten im Lockdown. Frustrierte Wähler könnten am Image der einstigen Demokratie-Ikone kratzen.

Corona hat Myanmar lahmgelegt – aber wählen sollen die Bürger am Sonntag trotzdem. Die Abstimmung mutet ein wenig wie ein dejá vu aus Zeiten der Militärdiktatur an. 2008 ließen die damals herrschenden Generäle kurz nach dem verheerenden Zyklon Nargis keine Hilfe für die Opfer ins Land, aber die Bevölkerung musste über eine neue Verfassung abstimmen.

Die sichert dem Militär bis heute zentrale Befugnisse und eine Mehrheit im Parlament. Aber heute ist die damalige Heldin der Demokratiebewegung, Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, als Staatsrätin de facto Regierungschefin des asiatischen Landes.

Präsidentin werden – ihre Wunschposition - darf die 75-Jährige allerdings wegen einer Verfassungsklausel noch immer nicht. Die Wahlen gelten als Stimmungstest für die Popularität der Lady und ihrer National League for Democracy (NLD), in der weiterhin vor allem ihre inzwischen recht alten, früheren Weggefährten sitzen.

Die Minderheiten fühlen sich verraten

Öffentliches Leben gibt es in der sonst so quirligen Fünf-Millionen-Metropole Yangon (früher Rangun) im Moment so gut wie nicht, im wirtschaftlichen Herzen des Landes herrscht strikter Lockdown - bis mindestens Ende November. Dort, wie in einigen anderen Teilen des Landes, dürfen die Menschen wegen stark steigender Covid-19-Infektionen nur noch einzeln mit Mund-Nasen-Maske aus dem Haus: zum Einkaufen oder zum Arzt.

Beobachter vergleichen manche Kontrolle in den Vierteln mit modernen Blockwarts nach chinesischem Vorbild. Viele Büros, Firmen und Fabriken sind geschlossen. Die Menschen verdienen dann nichts. In Armenvierteln fangen die Menschen inzwischen Ratten, weil sie kein Geld mehr fürs Essen haben, berichtet Reuters.

Welch ein Kontrast zur Euphorie vor zehn Jahren, als die Generäle die Demokratie-Ikone Aung San Suu Kyi nach langjährigem Hausarrest endlich freiließen – wenn auch erst eine Woche nach der damals massiv gefälschten Wahl.

Die hatte die Lady, wie die Menschen sie ehrfürchtig nennen, mit ihrer Partei NLD vom Arrest aus noch boykottiert. Wachsam, aber völlig aufgedreht, strömten damals Mönche, Geschäftsleute, Angestellte, Junge und Alte zu ihrer ersten Kundgebung vor der Parteizentrale.

Sie wussten nicht, ob sie alle direkt verhaftet würden, aber sie wollten ihre Heldin in Freiheit sehen, sie hören. Suu Kyi versprach ihnen, wie immer mit Blüten im Haar, für die Meinungsfreiheit zu kämpfen, die Demokratie voranzubringen, das Land mit seinen 135 verschiedenen Ethnien einen zu wollen.

 2015 siegte die Lady überwältigend

Bei den ersten Parlamentswahlen, bei denen Aung San Suu Kyi 2015 nach ihrer Freilassung antrat, holte ihre NLD einen haushohen Sieg. Mit 57 Prozent der Stimmen erhielt sie 79 Prozent der Sitze nach dem Prinzip „the winner takes it all“.

Das Militär muss aber selbst bei solchen Ergebnissen nicht um seine Macht fürchten, denn jeder gewählte Abgeordnete der ihr nahestehenden USDP  kommt noch zu dem Viertel der Sitze hinzu, die sich das Militär als Sperrminorität ohnehin in der Verfassung gesichert hat. Diese 25 Prozent der Abgeordneten werden von den Generälen bestimmt.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

So schwierig diese Situation ist, Aung San Suu Kyi hat sich in den Augen vieler ethnischer Minderheiten diskreditiert. Sie hat sich mit ihren Widersachern, den Generälen, allzu schnell arrangiert, finden auch viele Menschenrechtler.

Anhänger der National League for Democracy (NLD) in Yangon.
Anhänger der National League for Democracy (NLD) in Yangon.

© Ye Aung THU / AFP

Die insgesamt 135 anerkannten Minderheiten machen 30 Prozent der Bevölkerung aus, für sie hat die Lady, die zur Mehrheitsethnie der Birmanen gehört, wenig getan. Viele fühlen sich deshalb von ihr verraten – nicht nur die verbliebenen 600 000 muslimischen Rohingyia, von denen die meisten ohnehin keine Bürgerrechte haben und nicht wählen dürfen. Insgesamt wurden 1,5 Millionen von 37 Millionen Wahlberechtigten ausgeschlossen, kritisiert Human Rights Watch.

Die Lady hat nicht geliefert. Frieden ist in weiter Ferne, eine Verfassungsreform nicht in Sicht. Für die Mehrheit der rund 70 Prozent buddhistischen Birmanen aber ist die Lady weiterhin die einzige, von der sie Fortschritte erwarten. Auch wenn sie ihre Wahlversprechen nicht eingelöst hat.

„Terroristen verbreiten einen Eisberg von Falschinformationen“

Die westliche Welt hat sich enttäuscht weitgehend abgewendet, weil Aung San Suu Kyi auch den Genozid der Armee an den Rohingyia leugnete. Sie behauptete „Terroristen verbreiten einen Eisberg von Falschnachrichten“.

Sie verteidigte ihr Land sogar persönlich im vergangenen Jahr vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag . Noch immer leben rund eine Million nach Bangladesch geflüchtete Rohingyia dort ohne Aussicht auf Rückkehr unter jämmerlichen Umständen in Lagern.

Das ficht die Mehrheit nicht an,  viele Birmanen sammelten sich demonstrativ hinter ihr und bejubelten sie. Mittlerweile hat sich im Rakhine-State, der Region Myanmars, wo die Rohingyia quasi ohne Rechte leben, ein anderer jahrhundertealter Konflikt zu einem blutigen Bürgerkrieg entwickelt, zwischen dem Militär, dem Tatmadaw, und der Unabhängigkeit fordernden Arakan Army. Buddhisten gegen Buddhisten.

Nicht einmal Zeitungen gibt es mehr

Wahlkampf gegen die populäre Staatsrätin Suu Kyi, die Tochter des Freiheitshelden Aung San, ist in Coronazeiten noch schwieriger als sonst. Öffentliche Veranstaltungen, auf denen man seine Anhänger mobilisieren und sich bekanntmachen kann, sind wegen der steigenden Coronazahlen verboten.

Sogar private Zeitungen werden nicht mehr gedruckt, berichtet der Leiter des Myanmarer Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Frederic Spohr, dem Tagesspiegel am Telefon. Er hält mit seinen Mitarbeitern inzwischen via Videokonferenzen täglich aus Bangkok Kontakt. Spohr kann derzeit wegen des Lockdowns weder in Myanmar ein- noch könnte er wieder nach Thailand ausreisen.

Wahlkampf digital im Lockdown

Wie informieren sich also die Wähler in Myanmar? In den Staatsmedien findet Wahlkampf zugunsten der Regierung statt. Dort ist Aung San Suu Kyi ständig präsent – auch als Managerin der Coronahilfe. Ältere Menschen dürfen als Risikogruppe vorher wählen gehen, sie selbst hat es auch bereits getan.

Arbeiter in Schutzanzügen sammeln Stimmzettel von Corona-Infizierten ein.
Arbeiter in Schutzanzügen sammeln Stimmzettel von Corona-Infizierten ein.

© Ye Aung THU / AFP

Die Armee inszeniert sich wieder einmal als starke und schützende Kraft, sie baut Kliniken für Covid-19-Patienten, die ihr nahestehende USDP fällt mit nationalistischen Parolen auf und macht der Lady Vorwürfe.

Vieles läuft in diesem Wahlkampf deshalb digital. Junge Leute – fünf der 37 Millionen sind Erstwähler – sind auch in Myanmar gern im Netz unterwegs, meist auf Facebook. Ihre Stimmen werden Gewicht haben. Aber selbst auf Facebook ist Aung San Suu Kyi mit ihrem populären Account mit fast drei Millionen Abonnenten in einer komfortablen Lage.

Ihre viele n Anhänger verbreiten ihre Botschaften schneller und weiter als die Anhänger der weniger populären Accounts von People’s Party (PP) oder People’s Pioneer Party (PPP) es können. Allerdings: Insgesamt haben nur die Hälfte der Myanmarer Mobilfunk, nur 34 Prozent Internet. Und in einigen abtrünnigen Landesteilen ist das Internet quasi abgeschaltet.

2010 warben viele Studenten mit Vote-T-Shirts trotz der Restriktionen verdeckt fürs Wählen der kleinen Opposition. Heute unterstützen viele aus Protest die No-Vote-Bewegung gegen die Wahlen, heißt es im aktuellen Bericht der Naumann-Stiftung.

Die ethnischen Parteien würden gern „Königsmacher“ werden

Dennoch rechnen die meisten Beobachter damit, dass Aung San Suu Kyis NLD am Sonntag recht gut abschneiden wird. Die 2015 zersplittert antretenden ethnischen Parteien haben sich aber in einigen Regionen zusammengetan, um der NLD Sitze abzunehmen. Denn wer die Mehrheit in einem Wahlkreis hat, holt ihn komplett – es gilt das Prinzip „the winner takes it all“.

Manche Beobachter gehen davon aus, dass sie so unter Umständen zum „Königsmacher“ werden könnten, wenn nur eine Koalitionsregierung möglich wäre. In den Regionen werden die Regierungschefs von der Zentralregierung ernannt.

Dass die auf die Ethnien zugehen könnte und in Regionen, wo diese besonders stark sind, ohne Not einen regionalen Regierungschef einer Minderheit ernennen wird, das kann sich Frederic Spohr nicht vorstellen. „Aus Barmherzigkeit“ werde das nicht geschehen. Aber ethnische Parteien könnten das zur Bedingung machen, wenn es zu Koalitionsgesprächen kommen sollte.

Der Analyst Khin Zaw Win, der selbst von 1994 bis 2005 im Gefängnis saß, hatte schon früh gemahnt: „Es geht nicht nur um Militär und Opposition, sondern um ein komplexes und vielseitiges Spiel mit einer ganzen Reihe von Spielern, alten und neuen.“

Der Gründer des zivilgesellschaftlich aktiven Tampadipa Instituts in Yangon macht sich ausdrücklich für eine föderale Struktur stark. Die Opposition hätte ihn schon 2010 gern als Kandidat aufgestellt, aber in die Politik wollte der schmale Mann mit der leisen Stimme nicht. Er gehört auch heute zu den Kritikern von Aung San Suu Kyi und den regierenden Alten.

Die International Crisis Group geht davon aus, dass die Konflikte nach den Wahlen wieder aufbrechen werden: „Auch wenn das Wahlergebnis selbst nicht problematisch ist, so wird es doch sehr umstritten sein und die Spaltung des Landes vertiefen", heißt es in deren jüngsten Bericht. Es liest sich wie ein Echo der Wahlanalysen aus den USA.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false