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Das UN-Ernährungsprogramm ist Retter in der Not - wie 2010 in Somalia (Archivfoto).

© Mohamed Sheikh Nor/AP/dpa

Friedensnobelpreis für das UN-Ernährungsprogramm: Die Preisvergabe ist nur vordergründig unpolitisch

Das Nobelkomitee hat gut entschieden, denn der Preisträger steht für eine hochpolitische Frage: Wer oder was bringt den Hunger in die Welt? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Als die meisten Linienflüge abgesagt waren, als wegen der Pandemie kaum noch Flugverkehr möglich war, gab es eine Airline, die weiterfliegen durfte. Weil sie Millionen Menschen am Leben erhalten, durften die Transporte des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) weiterhin Hilfsgüter liefern. Dabei sind sie dieses Jahr eine Zeitlang die größte Airline weltweit gewesen.

Jetzt hat das WFP den Friedensnobelpreis erhalten. Die Organisation sei der lebende Beweis für die Notwendigkeit von Multilateralität, sagte das Nobelkomitee zur Begründung, sie trage zur Bekämpfung des Hungers bei, und der wiederum verhindere Krieg. Hunger zu stillen sei ein Beitrag zu Stabilität und Frieden auf dem Erdenrund.

2019 verpflegte das WFP, das seinen Hauptsitz in Rom hat, an die 100 Millionen Menschen in 88 Ländern, darunter waren auch Kriegsgebiete wie Syrien und Jemen. Den hochriskanten Dienst, für den Milliarden Dollar ausgegeben werden, versehen 17.000 Angestellte. Hunger, auch das sagt die Jury, sei eine der Hauptursachen für Konflikte.

Hungernde ernähren – unbestreitbar ist das eine wichtige, richtige, großartige Sache. Hier gilt das WFP in Krisen, wie nach dem Zyklon in Mosambik 2019, als „leitende Organisation eines globalen Logistikclusters“. Es verteilt Notrationen, Reis- und Maismehl, Hülsenfrüchte, Kraftnahrung, Pflanzenöl zum Kochen und mitunter Gutscheine für Lebensmittel auf lokalen Märkten. Mit Drohnen werden Ernteschäden ermittelt, Saatgut wird verteilt und geschützt.

Nichts allerdings kann darüber hinwegtäuschen, dass die gigantischste Suppenküche der Welt auch einen Reparaturbetrieb für gigantische Dysfunktionalitäten im globalen Wirtschaftssystem repräsentiert. Milde Gaben für Hungernde sammeln, wie bei kirchlichen Kollekten in reichen Ländern für „die Armen der Welt“, das ist meist eine ambivalente Angelegenheit.

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Tatsächlich enthält der auf den ersten Blick unpolitisch wirkende Friedensnobelpreis einen eminent politischen Subtext. Denn wer oder was macht den Hunger? Die schlichte Frage kann und wird den Jubel stören. Wo kommt der Hunger her? Er ist ja alles andere als eine geheimnisvolle Seuche, er ist keine anonyme Pandemie, die einfach „ausbricht“.

Hunger wird hergestellt. Die ungleiche Verteilung von Ressourcen innerhalb von Staaten produziert Hunger, Fehlernährung und Mangelernährung. Destruktive Agrarwirtschaft, Plantagenregime von Konzernen, gehen auf Kosten von Kleinbauern. Unreguliert fließen globale Finanzströme, globale Warenströme, ohne langfristige, nachhaltige Konzepte.

Eliten profitieren, die Armen verlieren

Werden tropische Regenwälder abgefackelt, etwa um Sojafutter für Rinderfarmen anzubauen, deren Fleisch auf den Tischen der Wohlhabenden landet, dann haben nur wenige Bewohner der waldreichen Staaten etwas davon. Profiteure sind die Eliten, im Norden wie im Süden. Wo Staaten kaum Vorsorge für Krisen und Naturkatastrophen tragen, wo soziale Infrastruktur vernachlässigt wird, wo ethnische Hetze und Rivalitäten Bürgerkriege entfachen – überall da spekulieren Kleptokraten, autoritäre Regime und korrupte Eliten auf Organisationen wie das Welternährungsprogramm als Retter in der Not. Solche Hilfe muss sein, ohne jeden Zweifel. Doch gerade der Nobelpreis an das WFP ist ein guter Anlass, den tieferliegenden Ursachen von Hunger nachzugehen, an Hungerprävention zu arbeiten, so aktiv und konstruktiv als möglich.

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