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Demonstranten protestieren mit einem Plakat "Refugees not welcome - Bring your families home!" Foto: Martin Schutt/dpa

© dpa

Fremdenhass: Eine Politik der Mitleidlosigkeit - heute wie vor 80 Jahren

Die selbe Pauschalisierung, die selbe Abschottung. Mit Evian 1938 im Hinterkopf, macht die Flüchtlingspolitik von heute fassungslos. Ein Gastbeitrag.

Keiner will sie haben“, schrieb das Nazi-Organ „Völkischer Beobachter“ am 13. Juli 1938 in einer spöttischen Reaktion auf die Haltung der 32 Teilnehmerstaaten der Konferenz, die vor 80 Jahren in Evian stattfand, um den aus Deutschland flüchtenden Juden zu helfen. Ein halbes Jahr nach der ergebnislosen Konferenz fügte Hitler sarkastisch hinzu: „Denn wie müsste man uns dankbar sein, dass wir diese herrlichen Kulturträger“, nämlich die 500 000 deutschen Juden, „freigeben und der anderen Welt zur Verfügung stellen.“ Die praktische Botschaft Evians – „Kein Platz für die jüdischen Flüchtlinge bei uns“ – ließ Hitler glauben, dass die von ihm „prophezeite“ „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ am Ende auf internationale Zustimmung treffen wird.

Fremdheit und Andersheit werden zu politischen Waffen

Historische Vergleiche sind nur bedingt zu gebrauchen – das Flüchtlingsproblem 1938 unterscheidet sich aus mehreren Gründen von der Situation heute. Auch sind Trump, Orban, Strache und Weidel keine Hitler-Repliken. Trotzdem ruft die Erinnerung an Evian Assoziationen hervor, die das Nachdenken über das einst und jetzt relevant machen.

Es geht vor allem um die pauschalisierende Einstellung gegenüber Menschen, die man für „fremd“ oder „anders“ hält. Fremdheit und Andersheit sind manipulierbare Konstrukte, die mithilfe von Vorurteilen zu politischen Waffen werden. Für das „Dritte Reich“ waren selbst die deutschen Juden „Fremde“, die Hitler pauschal als Verbrecher bezeichnete. Heute greifen Rechtspopulisten zur selben Taktik: Flüchtlinge sind Fremde, die man wiederum pauschal für (mindestens potenzielle) „Schmarotzer“ und „Kriminelle“ hält, die man „loswerden“ muss.

Die Devise der Fremdenfeinde bleibt die gleiche

Die Vorstellung von der Schädlichkeit von Einwanderern und Flüchtlingen, einst und jetzt, beruht nicht nur auf Vorurteilen und Rassismus, sondern auch auf geschürter Konkurrenzangst. Wie 1938 in Evian werden aber die Vorurteile unter der Decke gehalten, dafür umso mehr Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Not als Grund für die Zurückweisung von Flüchtlingen angeführt. „Die nehmen uns die Arbeit oder das Geld weg“, heißt die Devise der Fremdenfeinde seit eh und je, egal ob es gegen die „eigenen“ Juden geht oder, wie heute, gegen Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan.

Im Vergleich von 1938 und 2018 muss man auf zwei grundsätzliche Unterschiede achten: Erstens weiß man heute, wohin die Evian-Konferenz führte. Das Schicksal der S. S. St. Louis, die im Jahr 1939 mehr als 900 jüdische Flüchtlinge nach Amerika trug und wegen der inhumanen Einwanderungspolitik auf dem amerikanischen Kontinent wieder zurück nach Europa kehrte, wies auf den Zusammenhang zwischen Gleichgültigkeit und Mord hin – nur ein Teil der zur Rückkehr nach Europa gezwungenen Juden ist der „Endlösung“ entkommen. Und zweitens: 2018, anders als im Jahr 1938, gilt die Genfer Flüchlingskonvention von 1951, deren Kernstück das „Nichtzurückweisungsgebot“ ist.

Eine Politik der Abschottung, Ausgrenzung und Mitleidlosigkeit

Es ist unklar, ob Kanzlerin Angela Merkel die Konferenz von Evian vor Augen hatte, als sie sich für die Öffnung der Grenzen angesichts der menschlichen Katastrophe im Herbst 2015 entschied. Es ist offenkundig, dass die gesamte Erfahrung der Jahre 1938/39 – Evian, die Vertreibung der polnischen und staatenlosen Juden aus Deutschland, die St.-Louis-Saga – sie und viele Deutsche zur Willkommenskultur bewegt hatte.

Der Rückblick auf Evian und all das, was es repräsentiert – Vorurteile, Unmenschlichkeit, Gleichgültigkeit – macht fassungslos: Wie kann man heute diese Geschichte kennen und trotzdem – in den USA, in Europa, sogar in Israel – eine Politik der Abschottung, Ausgrenzung und Mitleidlosigkeit so vorantreiben? Ja, gerade mit Evian im Hinterkopf sollte die Würde des Menschen Vorrang über Machtgehabe und politische Machenschaften haben.

Shimon Stein war von 2001 bis 2007 Israels Botschafter in Deutschland und ist Senior Fellow am Institute for National Security Studies in Tel Aviv, Moshe Zimmermann ist Professor emeritus an der Hebräischen Universität in Jerusalem.

S. Stein, M. Zimmermann

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