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Links im Bild: Kyle Rittenhouse.

© Adam Rogan/The Journal Times/AP/dpa

Freispruch für Kyle Rittenhouse: Die USA stecken fest in einem Teufelskreis der Gewalt

Der Fall des 17-jährigen Schützen von Kenosha zeigt, wie viele Amerikaner an ihrem Justizsystem zweifeln. Das ist gefährlich. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Juliane Schäuble

Kyle Rittenhouse ist unschuldig. Das sagt die Jury in Kenosha nach einem aufsehenerregenden Prozess und mehr als 24-stündigen Beratungen. Der heute 18-Jährige habe sich selbst verteidigt, als er vor mehr als einem Jahr in Kenosha/Wisconsin bei einer Antirassismus-Demonstration zwei Männer erschoss und einen weiteren schwer verletzte.

Dieses Urteil ist für viele ein Schock, eine weitere Entscheidung, die die „white supremacy“, die Überlegenheit der Weißen, untermauere. Für viele ist die Jury-Entscheidung zudem ein Beleg für ein kaputtes Rechtssystem. Andere argumentieren, dieser Fall, bei dem ein Weißer zwei Weiße getötet habe, habe nun gerade nichts mit Rassismus zu tun.

Was nun passiert, ob es wirklich, wie viele im Vorfeld befürchtet hatten, erneut zu Krawallen in Kenosha kommt, werden die nächsten Stunden zeigen. Der 100.000-Einwohner-Stadt, die nach den Polizeischüssen auf den Afroamerikaner Jacob Blake im vergangenen Jahr von schweren Ausschreitungen erschüttert wurde, ist es nicht zu wünschen.

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Der Fall Rittenhouse spaltet die amerikanische Gesellschaft, auch, weil die Politik die Tragödie ausnutzte. Der damalige Präsident Donald Trump reiste im Wahlkampf nach Kenosha und sprach von dem „Helden“ Rittenhouse, der die Stadt und ihre Einwohner ja lediglich vor den Randalierern habe schützen wollen.

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Auch der damalige demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden ließ es sich nicht nehmen, wenige Monate vor der Wahl in Kenosha vorbeizuschauen. Und auch für ihn war der Fall klar: Der damals 17-jährige Rittenhouse, der aus dem Nachbarstaat Illinois nach den Krawallen angereist war und sich einer Art Bürgerwehr anschloss, sei ein weißer Rassist. Ob diese Aufladung von oberster Stelle notwendig und hilfreich war, kann man bezweifeln.

Biden: Das Jury-System funktioniert

Am Freitag kommentierte Biden, inzwischen selbst US-Präsident: Das Jury-System funktioniere und alle müssten das akzeptieren, auch wenn das schmerze.

Vor dem Gerichtsgebäude in Kenosha protestierten Amerikaner für und gegen eine harte Bestrafung von Kyle Rittenhouse.
Vor dem Gerichtsgebäude in Kenosha protestierten Amerikaner für und gegen eine harte Bestrafung von Kyle Rittenhouse.

© Brendan McDermid/REUTERS

Viele, auch er selbst, seien nach dem Urteil wütend und beunruhigt. Aber Gewalt und die Zerstörung von Eigentum hätten keinen Platz in der amerikanischen Demokratie.

Problematisch ist die Aufladung solcher Prozesse in jedem Fall. Die Erwartung, dass Richter und Jury „Gerechtigkeit“ wiederherstellen, ist kaum einzulösen. Sie ist auch unrealistisch.

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Die Jury-Mitglieder in Kenosha machten es sich zu ihrer Aufgabe, zu ermitteln, ob der damals noch minderjährige aber schwer bewaffnete Rittenhouse sich zu Recht bedroht fühlen konnte, er sich also tatsächlich nur selbst verteidigt habe – mit fatalem Ausgang.

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Sie haben sich ganz offensichtlich weniger mit der Frage beschäftigt, was es über eine Gesellschaft aussagt, dass sich die einen Bürger aufgerufen fühlen, selbst ihr Eigentum oder das anderer zu verteidigen. Und die anderen nicht darauf vertrauen, dass die Polizei und das Justizsystem als Ganzes unparteiisch handeln kann. Das Misstrauen in staatliche Strukturen, das zeigt der Fall Rittenhouse glasklar, ist in den USA erschreckend groß.

Auch darum bewaffnen sich immer mehr Amerikaner – auf beiden Seiten. Das schafft einen Teufelskreis, aus dem das Land nur schwer ausbrechen kann. Umso mehr Waffen im Umlauf sind, umso größer ist die Gefahr, dass dadurch Menschen zu Schaden kommen.

Diese eigentlich logische Erkenntnis teilen viele Amerikaner nicht. Das ist ein riesiges Problem. Eines, dessen sich der amerikanische Präsident annehmen sollte.

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