zum Hauptinhalt
Parteichef Bernd Lucke sitzt am 04.07.2015 in Essen (Nordrhein-Westfalen) beim Parteitag der AfD auf dem Podium.

© dpa

Frauke Petry wird Bundesvorsitzende der AfD: Die große Demütigung des Bernd Lucke

Die AfD hat ihrem einstigen Idol Bernd Lucke den Laufpass gegeben. Beim Parteitag in Essen wurde Lucke ausgebuht, ausgepfiffen und abgewählt. AfD-Chefin ist nun die nationalkonservative Frauke Petry aus Sachsen.

Am Ende dieses Parteitags der AfD wirkt es so, als wolle Bernd Lucke nur noch seinen Ruf retten. Seine Reputation als seriöser Professor, als Mann, der mitten aus dem Bürgertum kommt. Lucke war der Gründungsvater der AfD, ein mitunter strenger Vater, der seine politischen Kinder oft nicht zu Wort kommen ließ. In der Partei aber haben sie ihn lange gefeiert – wenn er gegen den Euro und für die D-Mark redete.

Heute ist alles anderes. Heute hilft es nichts mehr, dass er Professor ist. Im Gegenteil. Es schadet ihm. Lucke hat das sehr früh merken müssen an diesem heißen Tag in der Essener Grugahalle, wo die schwitzende Parteibasis einen neuen Parteichef kürt. Knapp 3500 der 22.000 Mitglieder sind angereist zum „größten und wahrscheinlich spektakulärsten Parteitag nach dem zweiten Weltkrieg“, wie es der umstrittene AfD-Chef von Sachsen-Anhalt, André Poggenburg im Vorfeld ausdrückte. Sie stehen schon frühmorgens vor der Halle, um ihrem einstigen Idol am Ende des Tages den Laufpass zu geben. Für manche scheint dies ein Fest zu sein.

Lucke kämpft, aber er kämpft nicht mehr um die Herzen der Partei. Wahrscheinlich sagt er deshalb beachtliche Dinge an diesem Tag - weil er das Gefühl hat, keine Rücksicht mehr nehmen zu müssen. Lucke wird ausgebuht, ausgepfiffen, in seiner Rede immer wieder unterbrochen. „Das letzte Mal ist mir das mit der Antifa im sächsischen Wahlkampf passiert“, schüttelt er den Kopf. Für einen wie ihn, den die AfD vor einem Jahr noch auf Händen trug, muss es eine furchtbare Erfahrung sein. Fast könnte man Mitleid mit ihm haben, wüsste man nicht, dass auch Lucke immer wieder gerne ausgeteilt hat.

Nur, diesmal sind es die eigenen Leute, von denen der Gegenwind kommt. Zum Beispiel, wenn er die in Deutschland lebenden Muslime verteidigt, davor warnt, den ganzen Islam als Religion zu diskreditieren, sogar ein stärkeres Engagement der AfD für Flüchtlinge fordert. „Wir sollten uns selbst nicht der Versuchung hingeben, billige Stimmung zu erzeugen“, sagt der Professor. Jeder solle nach seiner Façon glücklich werden – das sei sein Motto, als „gebürtiger Preuße“, wie er betont.

Petrys Augen sind feucht

Zujubeln wird ihm der gesamte Parteitag erst zwei Stunden später wieder, als Frauke Petry sich bei ihm bedankt. Gerade hat sie ihn als neue AfD-Chefin vom Thron gestoßen. Ihr Sieg fällt mit 60 Prozent überraschend deutlich aus. Ihre Augen sind feucht, als sie vom Ergebnis erfährt. Petrys Dank an Lucke bleibt kurz und knapp: Bernd Lucke sei die „Galionsfigur der Gründerzeit“ gewesen. Sie hoffe, dass er der AfD erhalten bleibe. Es klingt nicht, als sei das wirklich ihr Wunsch. Es klingt eher nach Verabschiedung.

Wie eisig es zwischen beiden zugeht, hatte der Parteitag schon am frühen Morgen in aller Öffentlichkeit besichtigen können. Da saßen beide eine Stunde lang nebeneinander, sortierten Blätter, sprachen kein Wort miteinander, würdigten sich keines Blickes.

Zum Verhängnis aber wurden Lucke nicht nur sein Zerwürfnis mit Petry und sein persönlicher Stil, den viele AfD-Mitglieder als abgehoben empfanden. Gescheitert ist er auch mit einer Strategie, die ihm eigentlich gegen Petry helfen sollte. Gut sichtbar trug Lucke bei seinen Parteitagsreden einen Button in den blau-roten AfD-Farben am Hemd, „Weckruf 2015“ stand in Großbuchstaben darauf. Den umstrittenen Verein mit diesem Namen hatte Lucke im Mai gegründet, um seine Anhänger um sich zu scharen. Selbst frühere Lucke-Fans hatten dies als Spaltungsversuch betrachtet und sich von ihrem einstigen Idol distanziert.

Von vielen wurde Lucke deshalb in Essen wie ein Verräter behandelt. In der Grugahalle lieferten sich „Weckruf“-Mitglieder und die Anhänger des Petry-Lagers den ganzen Tag über hitzige Wortgefechte. Schwer vorstellbar, wie diese beiden Gruppen noch einmal zusammenfinden sollen.

Noch weiter rechts als Petrys Lager steht die Gruppierung „Der Flügel“ des Thüringer Fraktionschefs Björn Höcke. Auch dessen Anhänger machten sich lautstark bemerkbar. Weil dieser ultrarechte Teil der AfD Petry mitgewählt hat, wird die neue Vorsitzende mit dem Ruf leben müssen, die AfD weiter nach rechts verschieben zu wollen. Petry wies das in ihrer Dankesrede schon einmal vorsorglich zurück - in der für sie typischen Art, von der man oft nicht weiß, ob sie naiv oder berechnend ist: „Es ist mir wichtig, dass dies kein Sieg der Konservativen in dieser Partei über die Liberalen ist“, sagte sie.

Vieles bleibt noch unklar

Tatsächlich aber hatte Petry in ihren Parteitagsauftritten durchaus andere Akzente als Lucke gesetzt. Eher verbissen wirkte sie da, mit einem ungewöhnlich harten Gesichtsausdruck. Eine wirklich brillante Rednerin ist auch sie nicht, eher eine, die sich an dem, was sie sagt, mit mahlendem Kiefer abarbeitet.

Beim Thema Pegida habe die Partei eine Chance vertan, sagte Petry. Der Jubel einer Parteitagsmehrheit war ihr da gewiss. „Wir hätten dieses Thema zu einem Erfolg für die Partei machen können.“ Das heiße aber nicht, dass man sich alle Forderungen der „Menschen von der Straße“ zu eigen mache. Doch was heißt es dann?

Vieles ist noch unklar geblieben an diesem vierten Parteitag der AfD, lange noch wird auch Petry mit dem Aufräumen von Scherben beschäftigt sein. Nicht ausgeschlossen ist, dass Lucke mit seinem „Weckruf“ die Partei verlässt, auch wenn er das am Samstag noch nicht ankündigte.

Klar ist bisher nur eines: „Ich werde kein zweiter Bernd Lucke werden“, hatte Petry am Abend vor ihrer Wahl gesagt. Dafür ist sie gewählt worden.

Zur Startseite