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Gyde Jensen (FDP) steht im Paul-Löbe-Haus. Sie ist die jüngste Frau im 19. Bundestag. Jensen wird als jüngste Abgeordnete im Deutschen Bundestag mitunter nicht erkannt.

© Arne Immanuel Bänsch/dpa

Frauen an der Macht: „Nicht die Frauen, die Strukturen müssen sich ändern“

Männer dominieren immer noch die Parteien und Parlamente. Die Politikerinnen Gyde Jensen, Ricarda Lang und Tannaz Falaknaz wollen sich damit nicht abfinden.

Es war ein weiter Weg, bis Gyde Jensen sich hinter diesen Schreibtisch setzen konnte. Das Büro der FDP-Politikerin liegt in einem Bundestagsgebäude, im Herbst 2017 hat sie es bezogen, damals war sie 28 und die jüngste Abgeordnete des Bundestags. Kurz darauf übernimmt sie den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Mittlerweile steht in der Ecke des Raumes eine Wiege, erst vor wenigen Monaten ist Jensen Mutter einer Tochter geworden.

Jensen ist eine, die es weit nach oben geschafft hat. Beispiele wie sie gibt es nicht viele – nicht in der FDP, aber auch nicht in anderen Parteien. Im Bundestag sind gerade mal 31,3 Prozent der Abgeordneten Frauen, in den Länderparlamenten nicht viel mehr. Stadt- und Gemeinderäte haben einen Frauenanteil von 25 Prozent.

Junge Frauen in politischen Spitzenpositionen: Was in Finnland Realität ist, scheint in Deutschland noch Utopie. Hierzulande schaffen nur wenige Frauen den Weg nach oben. Sie geben auf halber Strecke auf oder fangen gar nicht erst an. Während auf Bundes- und Länderebene 40 Prozent der Ministerposten mit Frauen besetzt sind, ist nur knapp jeder zehnte Bürgermeister in Deutschland weiblich. Es fehlt am weiblichen Nachwuchs. Warum ist das so?

Für Parteienforscher Benjamin Höhne vom Institut für Parlamentsforschung Berlin hat das mehrere Gründe: Junge Frauen wollen nicht. Oder die Umstände hindern sie daran. In vielen Fällen sei es eine komplexe Mischung von beidem.

Jensen wird auch nach zwei Jahren als Bundestagsabgeordnete nicht als solche erkannt

Jensen fällt im Bundestag auf. Als jüngste weibliche Abgeordnete passt sie nicht ins gängige Politikerbild. Auch nach zweieinhalb Jahren als Bundestagsabgeordnete wird sie nicht als solche erkannt. Die FDP-Politikerin stört das nicht: „Der Otto-Normal-Bundestagsabgeordnete ist eben ein mittelalter Mann mit nicht immer gut gebundener Krawatte“, sagt sie.

Jensens Kollegen sind meist älter, oft sogar wesentlich. Ein durchschnittliches Parteimitglied ist in Deutschland zwischen 50 und 60 Jahren alt. Dieses Bild zu verändern, mache ihr Spaß, sagt Jensen. Sie wolle herausstechen, als junge Frau beachtet werden – für sich, aber auch für andere Frauen. „Junge Frauen sind ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft. Das muss auch in der Politik sichtbar sein.“

Junge Frauen sind nicht nur gleichberechtigt, sie interessieren sich auch für Politik. Das geht aus einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung hervor. Trotzdem stellt Parteiarbeit für sie meist keine naheliegende Option dar. Kommunalpolitik, den Einstieg in eine politische Laufbahn, assoziieren sie demnach mit „miefigem Ortsklüngel“.

Mit verkrusteten hierarchischen Strukturen, in denen frischer Wind nicht unbedingt erwünscht ist. Strukturen, in denen Männer dominieren, in denen sich junge Frauen inmitten der „Platzhirsche“ erst einmal beweisen müssen.

Lang: "So als wäre mein politischer Anspruch ein schlechter Haartrend"

Auch Ricarda Lang, frauenpolitische Sprecherin und stellvertretende Grünen-Chefin, stieß in ihrer Laufbahn häufig auf Widerstände. Immer wieder sei sie nicht ernst genommen worden, seien ihr nur bestimmte Themen zugestanden worden. Etwa vermeintliche Frauenthemen, wie Familien- und Jugendpolitik.

Sie sei auf ihr Alter reduziert worden, sagt die 26-Jährige, ihre Ideen für Veränderung belächelt worden. „So als wäre mein politischer Anspruch ein schlechter Haartrend, der irgendwann rauswächst“, erinnert sie sich. Lang hat weitergemacht – auch, weil sie Frauen wie Annalena Baerbock gesehen hat, die es vorgemacht haben. Junge Frauen, findet Lang, brauchen Vorbilder. Andere Frauen, an denen sie sich orientieren können, die sie mitziehen.

Ricarda Lang, frauenpolitische Sprecherin und stellvertretende Grünen-Chefin findet Vorbilder in der Politik für junge Frauen besonders wichtig
Ricarda Lang, frauenpolitische Sprecherin und stellvertretende Grünen-Chefin findet Vorbilder in der Politik für junge Frauen besonders wichtig

© imago images/Sven Simon

In ihrer politischen Karriere orientierte sich Lang nicht nur an Baerbock, sondern auch an Kolleginnen in der Grünen Jugend. Ohne sie, sagt Lang, wäre sie heute nicht dort, wo sie ist. „Junge Frauen bekommen häufig gesagt und gezeigt, was alles nicht geht“, sagt sie. „Menschen zu haben, die diese Grenzen sprengen und einem zeigen, was alles möglich ist, ist wertvoll.“

Das sieht auch Jensen so. Es sei wichtig, dass junge Frauen in Jugendorganisationen, Parteien und Fraktionen Ämter übernehmen. „Ich bin überzeugt: Je mehr Frauen in Führungspositionen sind, für sich scheinen können und Aufmerksamkeit erregen, desto mehr sprechen wir wahrscheinlich auch andere junge Frauen an, die sich die gleichen Gedanken machen“, sagt sie.

Die Parteien sind von Geschlechtergerechtigkeit weit entfernt

Mit Ausnahme der AfD versuchen alle Parteien, dem Frauenmangel mit Frauenförderprogrammen zu begegnen. Union und FDP stehen mit ihren Plänen dazu noch immer am Anfang. Bei SPD und der Linken setzt man auf Quoten in Gremien, Spitzenämtern und Wahllisten. Die SPD schafft mit ihrer Strategie knapp 33 Prozent, die Linke 36 Prozent Frauenanteil. Von Geschlechtergerechtigkeit ist das weit entfernt.

Mit einem Frauenanteil von 40 Prozent sind die Grünen in der Parteienlandschaft Vorreiter. Doch: Auch ihnen fehlen zehn Prozent zur Parität. Ihre Förderprogramme konzentrieren sie auf die Landes- und Kommunalebene. In den Ortsverbänden haben junge Menschen den ersten Kontakt mit der Politik. Gerade die aber empfinden junge Frauen noch immer als abschreckend. Die Folge: Sie treten nicht ein.

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Eine, die das ändern, die junge Frauen auf dem Weg in die Politik begleiten möchte, ist Tannaz Falaknaz. Sie war fünf, als sie mit ihrer Mutter aus dem Iran nach Deutschland floh. Heute ist die 30-Jährige stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende in der Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Pankow und Expertin bei EAF Berlin, einer Organisation, die sich für Chancengleichheit in der Politik einsetzt.

Als junge Politikerin mit Migrationshintergrund hatte es Falaknaz nicht immer leicht. Sie hat sich durchgekämpft. Seit Jahren versucht sie, andere junge Frauen für die Kommunalpolitik zu gewinnen. Ihnen den Weg dorthin etwas leichter zu gestalten, indem sie ihre Erfahrungen teilt.

Junge Frauen müssen häufig angesprochen werden

Im Auftrag des parteiübergreifenden Helene-Weber-Kollegs und EAF Berlin leitet sie ein Seminar für Studentinnen, die sich kommunalpolitisch engagieren wollen. Aus Erfahrung weiß die Berliner Kommunalpolitikerin: Junge Frauen müssen häufig aktiv angesprochen werden. Anders als ihre männlichen Altersgenossen würden sie die eigenen Fähigkeiten stärker reflektieren, bevor sie ein Amt oder Engagement annehmen.

Sie fühlten sich fälschlicherweise nicht kompetent genug. „Oft brauchen sie jemanden, der sie ermutigt, mit der Politik anzufangen“, sagt Falaknaz.

Tannaz Falaknaz setzt sich als Expertin bei EAF Berlin für mehr junge Kommunalpolitikerinnen ein.
Tannaz Falaknaz setzt sich als Expertin bei EAF Berlin für mehr junge Kommunalpolitikerinnen ein.

© EAF Berlin

Auch das beobachtet sie: Politisches Engagement werde von jungen Frauen meist als etwas Langfristiges wahrgenommen. Mit Politik würden viele einen hohen zeitlichen Aufwand verbinden, ein Dranbleiben. Das schrecke diejenigen ab, die mit Beruf und Familie schon genug zu tun haben.

Frauen müssten aber keine Angst vor dem zeitlichen Aufwand haben, sagt Falaknaz. Das vermittelt sie auch ihren Studentinnen. „Ihr bestimmt, wie viel Zeit ihr in die Politik investieren wollt“, sagt sie. Und: Man müsse Dinge nicht so akzeptieren, wie sie sind – sondern könne sie auch verändern.

Das bestätigt auch Parteienforscher Höhne. „Man kann nicht alle Verantwortung auf die Parteien schieben“, sagt er. Es gehe auch um die Frage, ob sich junge Frauen wirklich engagieren wollen und ob sie die entsprechenden strukturellen Veränderungen, die dafür nötig sind, einfordern. Partei, sagt er, sei auch immer Kampf. Ein Ausfechten, ein Laut-Sein. „Es geht darum, Dinge anzusprechen und aktiv einzufordern.“

Nicht Frauen müssten sich verändern, sondern die Strukturen, sagt Lang.

Zum Beispiel kinderfreundliche Sitzungszeiten. „Wir müssen es Menschen mit Kindern leichter machen, sich zu engagieren. Das wird am Ende relevant für die Frauen sein.“ Schließlich seien es häufig immer noch Mütter, die sich um die Kinder kümmern.

Frauenförderung bedeute nicht, dass sich Frauen verändern müssen, davon ist die Grünen-Politikerin Lang überzeugt. „Es müssen sich die Strukturen ändern.“ Die Politik.

Dazu gehöre auch, von bestimmten Eigenschaften wegzukommen, die erfolgreiche Frauen vermeintlich haben. Laut, durchsetzungsstark und extrovertiert müssten nicht alle Frauen sein, glaubt Lang. Ganz unterschiedliche Persönlichkeiten sollten politisches Handeln mitbestimmen können. Bis es so weit ist, hat Lang einen Rat für junge Frauen: „Nehmt eure Meinung ernst und lasst euch von niemandem sagen, dass eure Stimme nicht zählt.“

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