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Hier geht's lang mit den Frauen: Bundesfamilienministerin Franziska Giffey verteidigt den Frauentag.

© dpa

Franziska Giffey zum Frauentag: „Schieben Sie uns nicht die Schuld in die Schuhe“

Familienministerin Giffey über die Pandemie, die Baustellen der Gleichberechtigung und die Frage, ob die Grünen eine Kanzlerkandidatin küren. Ein Interview.

Von Hans Monath

Franziska Giffey ist Bundesfamilienministerin und seit November 2020 Vorsitzende der SPD Berlin.

Frau Giffey, Hand aufs Herz, bringt der Frauentag die Sache der Frauen wirklich voran – jenseits des Umstands, dass sie in Berlin wegen des Feiertags nicht zum Job müssen?

Über diesen freien Tag freuen sich viele Frauen, viele Männer und auch viele Kinder. Die Berliner SPD hat diesen Feiertag durchgesetzt. Und es geht ja um mehr: An diesem Tag erinnern wir uns daran, dass wir schon viel erreicht haben, aber setzen auch das Signal, dass wir noch viel tun müssen, um die Gleichberechtigung von Frauen voranzubringen. Und daran arbeite ich ja auch.

Am Montag wird der Frauentag zum zweiten Mal unter Corona-Bedingungen begangen. Sind Frauen durch die Pandemie um Jahrzehnte zurückgeworfen, wie manche meinen?

Nein. Diese Befürchtung ist in der Dimension übertrieben. Dennoch hat die Pandemie bestehende Ungleichheiten sichtbar gemacht und auch verstärkt. Das zeigen auch aktuelle Studien. Die Aufteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen Männern und Frauen ist nach wie vor ungleich verteilt. Frauen übernehmen die meiste familiäre Sorgearbeit. Dennoch haben sich auch mehr Väter Zuhause eingebracht. Immerhin. Bevor vor über zehn Jahren das Elterngeld eingeführt wurde, haben nur drei Prozent der Väter Erziehungsurlaub genommen. Heute sind es mehr als 40 Prozent, die in Elternzeit gehen. Dieser gesellschaftliche Wandel wird durch Corona nicht ungeschehen gemacht. Wenn Corona vorbei ist, werden wir immer noch im 21. Jahrhundert leben.

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Was ist die Lektion von Corona in Bezug auf Frauen und Familien?

Es ist noch deutlicher geworden, wo die Probleme liegen und welche große Rolle die sozialen Berufe spielen, in denen ja zu 80 Prozent Frauen arbeiten. Ich setze mich seit Jahren für eine bessere, auch finanzielle Anerkennung und die Aufwertung dieser Berufe ein. Kaum jemand bestreitet noch, dass Kitas und Ganztagesbetreuung systemrelevant sind. Ohne sie funktionieren weder Gesellschaft noch Wirtschaft. Eigentlich sollte das dazu führen, dass wir hier insgesamt noch eine Schippe drauflegen.

Frauen verdienen wenige als Männer, nur 31 Prozent der Abgeordneten im Bundestag sind Frauen, in Spitzenjobs der Wirtschaft sind sie noch schlechter vertreten. Wie wollen Sie das ändern?

Wir sind gerade dabei, mit dem zweiten Führungspositionengesetz den Anteil von Frauen in Spitzenjobs von großen Unternehmen weiter zu steigern: In Vorständen mit mehr als drei Mitgliedern muss künftig mindestens eine qualifizierte Frau dabei sein. Auch für Bundesunternehmen und für Körperschaften des öffentlichen Rechts sind entsprechende Regelungen vorgesehen. Bei Krankenkassen oder Sozialversicherungsträgern sitzen ja auch fast nur Männer in den Chefetagen. Dabei wissen wir, dass gemischte Teams erfolgreicher sind. Im öffentlichen Dienst wollen wir Vorbild sein und setzen uns bis 2025 das Ziel: 50:50. Und was die gleiche Bezahlung angeht, da haben wir gesetzlich geregelt, dass jede Frau und jeder Mann einen Anspruch hat, Auskunft vom jeweiligen Arbeitgeber zu erhalten, was andere in vergleichbarer Position verdienen. Diese Transparenzoffensive hat in vielen Unternehmen schon bewirkt, dass Entgeltstrukturen überprüft und angepasst werden.

In den 23 Jahren seit 1998 wurde das Bundesfamilienministerium mit der Ausnahme von nur acht Jahre immer von einer Sozialdemokratin geleitet. Warum haben die an den Zuständen so wenig geändert?

Sie können uns jetzt nicht die Schuld dafür in die Schuhe schieben, dass es in Spitzenjobs der Wirtschaft nur zehn Prozent Frauen gibt. Freiwillig tut sich eben nur wenig. Sozialdemokratische Familienministerinnen kämpfen schon lange dafür, dass es anders wird und haben schon viel erreicht. Denken Sie an den Ausbau der Ganztagesbetreuung in Kitas und Schulen, an die Weiterentwicklungen beim Elterngeld, an das Starke-Familien-Gesetz, die Verbesserungen beim Bildungs – und Teilhabepaket und eben auch an die inzwischen zwei Führungspositionengesetze. Wir
Sozialdemokraten fördern nicht die Einverdiener-Familie, sondern stehen für Partnerschaftlichkeit, für Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Mütter und Väter, für Chancengerechtigkeit und für eine gute finanzielle Unterstützung, damit Familien wirtschaftliche Stabilität erhalten.

Sie haben sich sehr für ein Paritätsgesetz auch für den Bundestag eingesetzt. Tun Sie das noch immer, nachdem das Landesverfassungsgericht Brandenburg das dortige Parité-Gesetz gekippt hat?

Ich will weiterhin, dass unsere Parlamente ein Spiegelbild der Bevölkerung sind. Es ist nur fair, dass auch in den Volksvertretungen die Hälfte der Abgeordneten weiblich ist. Das ist Ausdruck einer modernen Gesellschaft. Ich setze mich dafür ein, dass wir in Berlin ein Paritätsgesetz bekommen, das vor Verfassungsgerichten auch rechtlichen Bestand hat.

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Union, SPD und Grüne haben den Anspruch, die nächste Bundesregierung zu führen. Die SPD hat einen Mann als Kanzlerkandidaten aufgestellt, die Union wird ebenfalls einen Mann aufstellen. Wäre es ein gutes Zeichen für die Frauen, wenn die Grünen keinen Mann, sondern Annalena Baerbock ins Rennen schicken würden?

Für mich ist nicht entscheidend, wen die Grünen aufstellen. Es ist natürlich immer gut, wenn qualifizierte Frauen in Gestaltungspositionen kommen. Aber das Geschlecht allein kann nicht das einzige Kriterium sein. Bei der Frage der Kanzlerschaft geht es vor allem darum, wer dieses Land am besten führen kann und für einen politischen Kurs steht, den viele Menschen gutheißen. Olaf Scholz kann das.

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