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Franz Müntefering war zwei Mal SPD-Chef.

© Doris Spiekermann-Klaas

Franz Müntefering warnt neue SPD-Spitze: „Wer die Koalition gezielt kaputt macht, bekommt die Quittung“

Der ehemalige SPD-Vorsitzende hält nichts vor einer Flucht in die Opposition. Das würde noch mehr Stimmen kosten. Ein Interview.

Franz Müntefering (79) war von März 2004 bis November 2005 sowie von Oktober 2008 bis November 2009 Chef der SPD und Vizekanzler der Groko zwischen 2005 und 2007.

Herr Müntefering, besteht Grund zur Sorge um die Existenz der SPD?
Es geht nicht um die Existenz, aber es gibt Grund zur Sorge. Wir haben nach dem Rücktritt von Andrea Nahles viel Zeit für die Suche nach einer neuen Parteispitze gebraucht. Jetzt ist die Entscheidung da, die SPD ist wieder voll aktionsfähig.

In Teilen der SPD herrscht Entsetzen über die Wahl der beiden Groko-Skeptiker Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Sind diese Reaktionen übertrieben?
Entsetzen ist Unsinn. Es kommt jetzt darauf an, dass alle sich unterhaken. Ich habe Klara Geywitz und Olaf Scholz gewählt. Die Entscheidung für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans ist aber klar und eindeutig. Dass auch sie Parteivorsitz können, ist keine Frage. Sie sollten das aber nicht mit einer Kommandozentrale verwechseln.

Was macht Sie so sicher, dass Esken und Walter-Borjans die angeschlagene SPD aus der Krise führen können?
Ihr guter Wille und sie führen die Partei ja nicht alleine, da gibt es noch das Präsidium und den Vorstand. Ich hoffe sehr, dass auch die Bundestagsfraktion für eine klar erkennbare politische Linie der SPD im Bund sorgt. Rolf Mützenich hat das Potential.

Scheint hinter der Entscheidung der Basis auch ein Misstrauen gegenüber dem Berliner SPD-Establishment auf, insbesondere gegenüber Olaf Scholz?
Kann schon sein, dass das eine Rolle gespielt hat.

Wie erklären Sie sich die Vorbehalte?
Dahinter steht die Sehnsucht nach der guten alten Zeit, als die SPD originärste Industriearbeiter-Partei war. Davon haben wir lange gelebt, verdienterweise. Aber die gesellschaftliche Wirklichkeit wandelt sich. Wir müssen den Blick nach vorn richten. Mit dem Blick in den Rückspiegel gewinnt man nicht. Wir müssen Volkspartei sein, die in diese Zeit – und die kommende – passt.

Befürchten Sie, dass Olaf Scholz in den kommenden Tagen zurücktritt?
Das hoffe ich nicht. Als Vizekanzler und als Chef im Finanzministerium trägt er große Verantwortung an einer ganz besonders wichtigen Stelle. Ich gehe nicht davon aus, dass er jetzt resigniert.

Die neuen Parteichefs verlangen aber die Abkehr von der Politik der schwarzen Null, für die Scholz als Finanzminister steht.
Wir sind nach einigem Hin und Her in der Regierung gelandet, und nun machen wir das, so gut wie es geht. Da kann nicht jeden Montagmorgen das Parteipräsidium versuchen, die Regierung zu leiten und zu lenken. Über die Politik der Bundesregierung und der SPD-Fraktion wird nicht im SPD-Präsidium entschieden. Wir haben kein Zentralkomitee, sondern eine Fraktion mit gewählten Abgeordneten, die ihrem Gewissen verpflichtet sind, auch der Bundesfinanzminister. Olaf Scholz hat Kompetenz in der Finanzpolitik. Ich hoffe, dass er nicht an die Seite geht und dass er Solidität und Zukunftsfähigkeit gleicherweise im Blick behält.

Nun will die neue Doppelspitze den Koalitionsvertrag nachverhandeln, verlangt unter anderem das Ende der schwarzen Null. Wie groß schätzen Sie die Chancen ein, dass sich die Union darauf einlässt?
Da gebe ich unseren Leuten keinen Ratschlag. Es kommt aber darauf an, dass man an zentraler Stelle glaubwürdig bleibt. Es gibt einen Koalitionsvertrag, und wenn man davon in einer Weise abweicht, die für den Koalitionspartner nicht akzeptabel ist, dann geht eine Koalition zu Ende. Wenn man den Bruch provoziert, wenn man das Ding gezielt kaputt macht, dann wird das auch erkennbar werden. Und dann wird man bei der nächsten Wahl dafür die Quittung bekommen. Denn das ist ganz klar: Wer in einem Fußballspiel in der zweiten Halbzeit in die Kabine läuft und sagt: Wir haben jetzt keine Lust mehr, wir kommen nächsten Sonntag wieder, da sind wir wieder gut drauf, der wird nicht bejubelt, sondern ausgepfiffen.

Sie glauben also, dass ein Ausstieg aus der großen Koalition für die SPD böse ausgehen würde?
Ich will das eigentlich gar nicht aus der Parteibrille betrachten. Das war nämlich der Fehler der beiden vergangenen Jahre, dass wir dauernd fragen, ob die große Koalition für die SPD gut ist. Das ist aber nicht die Frage. Die Frage ist: Was ist für das Land gut? Zu sagen, die Koalition ist schlecht, weil sie der SPD bei der Wahl keine Prozente bringt, ist nun wirklich keine seriöse Politik. Das ist Kinderkram. Allerdings müssen wir das Gute, das wir tun, auch loben. Und daran hapert es.

Rechnen Sie mit Neuwahlen oder mit einer CDU-geführten Minderheitsregierung, sollte die SPD die Koalition platzen lassen?
Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass wir freiwillig unsere Minister zurückziehen und sagen, wir wollen mit der Regierung nichts mehr zu tun haben. Und ich setze darauf, dass die Partei dafür auf dem Parteitag auch nicht die Weichen stellen wird. Wenn man die Möglichkeit hat, die Dinge zu gestalten, dann muss man sie auch nutzen. Pflege, Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse – wir haben so viele Probleme zu lösen, da können wir doch nicht sagen: Die SPD macht jetzt mal ein Päuschen. Das wäre eine Schande.

Wir können unserer Verantwortung für die Menschen nicht durch die Flucht in die Opposition entkommen. Denn auch wer nicht handelt, ist für das Ergebnis verantwortlich. Es gibt keine Entlastung aus der Mitverantwortung für das, was jetzt passiert. Deshalb ist es umso wichtiger, dass man die Chance zum Handeln ergreift und sich nicht drückt.

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