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In Toulouse wird eine Mohammed-Karikatur aus der Zeitschrift "Charlie Hebdo" an die Wand des Rathauses projiziert.

© imago images/Hans Lucas

Frankreich nach der Enthauptung von Samuel Paty : Minister prangert „Islam-Linksextremismus“ an

Die Stimmung in Frankreich bleibt nach dem Attentat auf den Lehrer Samuel Paty aufgeheizt. Bildungsminister Blanquer gießt nun zusätzlich Öl ins Feuer. 

Derzeit sind in Frankreich Herbstferien. Aber wenn die Schule Anfang November wieder beginnt, wollen viele Lehrer mit ihren Schülern im Unterricht den Terrorakt im Pariser Vorort Conflans-Saint-Honorine aufarbeiten. Dort war am vergangenen Freitag der Geschichtslehrer Samuel Paty auf offener Straße von einem islamistischen Attentäter enthauptet worden, der anschließend von der Polizei erschossen wurde. 

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Vor seiner Ermordung war Paty, der im Unterricht Mohammed-Karikaturen gezeigt hatte, von dem Vater einer Schülerin an den Internet-Pranger gestellt worden. Wenn es nach der konservativen Präsidentin des Regionalrats des Pariser Großraums, Valérie Pécresse, geht, dann muss künftig als Reaktion auf den Terrorakt landesweit in den Schulen der Unterricht einen Tag lang der Meinungsfreiheit und dem Recht zur Veröffentlichung von Karikaturen gewidmet werden. 

Damit trifft Pécresse offenbar den Nerv der Franzosen: Nach einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ifop sind 78 Prozent der Befragten damit einverstanden, wenn Lehrer im Rahmen eines Unterrichts über die Meinungsfreiheit religionskritische Karikaturen zeigen. 

Attentäter hatte offenbar Kontakt nach Syrien 

Die Ermittler im Fall des Terrorakts von Conflans-Saint-Honorine gehen davon aus, dass der Attentäter Kontakt zu einem russischsprachigen Dschihadisten in Syrien hatte. Die Zeitung „Le Parisien“ nannte die Stadt Idlib als Aufenthaltsort des Dschihadisten, der den Angaben zufolge aufgrund seiner IP-Adresse ausfindig gemacht worden sei. 

Zwei Schüler waren dem Islamisten behilflich 

Einer der Gründe, die zu dem Attentat führten, liegt indes in der Verbreitung von fundamentalistischem Gedankengut bei einer Minderheit von Schülern und Eltern in Frankreich. Wie die Ermittlungen ergaben, ließen sich zwei Schüler am vergangenen Freitag vom Attentäter dafür bezahlen, dass sie ihm kurz vor der Tat bei der Identifizierung des 47-jährigen Lehrers halfen. 

Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen ließ der Attentäter, ein Flüchtling mit tschetschenischen Wurzeln, die beiden Jungen über seine Mordabsichten im Unklaren. Allerdings erklärte er den Schülern sehr wohl, dass er dem Lehrer Gewalt antun wolle. Die jugendlichen Komplizen im Alter von 14 und 15 Jahren gehören zu den insgesamt sieben Personen, gegen die inzwischen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. 

Die Diskussion um den Einfluss des Islamismus an Schulen in Frankreich hat indes eine lange Vorgeschichte. Seit 2004 dürfen Schülerinnen und Schüler in Frankreich keine sichtbaren religiösen Symbole mehr tragen. Dazu zählt auch das Kopftuch. Mit dieser gesetzlichen Regelung schienen sich die strikten Vertreter der in Frankreich geltenden Trennung von Religion und Staat durchgesetzt zu haben. 

Unterrichtsinhalte werden von muslimischen Schülern in Frage gestellt 

Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass vor allem Schüler aus muslimischen Elternhäusern einzelne Bestandteile des Unterrichts auf Grund ihrer religiösen Überzeugungen in Frage stellen. Zwischen September 2019 und März 2020 registrierte das Bildungsministerium 935 entsprechende Vorfälle. Typische Fälle sind dabei die Infragestellung der Evolutionstheorie, des Sexualkundeunterrichts und der Gleichstellung der Geschlechter. 

Am Donnerstag eröffnete Erziehungsminister Jean-Michel Blanquer eine nationale Bildungsdebatte, die bereits vor dem Attentat auf den Lehrer geplant war. Als Ziel des dreimonatigen Runden Tisches mit den Vertretern aus dem Bildungswesen gilt unter anderem eine Aufbesserung der Gehälter der Lehrer in Frankreich, die unter dem Durchschnitt der Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liegen. Zu diesem Zweck wurde das Budget des Bildungsministeriums im kommenden Jahr um 500 Millionen Euro aufgestockt. Nach dem Tod von Samuel Paty wird sich die Bildungsdebatte nun zusätzlich mit den Sicherheitsvorkehrungen an Frankreichs Schulen befassen. 

Bildungsminister Jean-Michel Blanquer legt sich mit der Studentengewerkschaft Unef an.
Bildungsminister Jean-Michel Blanquer legt sich mit der Studentengewerkschaft Unef an.

© AFP

Zudem legte sich Blanquer mit zahlreichen Professorinnen und Professoren sowie Studenten an Frankreichs Hochschulen an, indem er einen um sich greifenden „Islam-Linksextremismus“ an den Universitäten kritisierte. Nach den Worten von Blanquer gebe es „intellektuelle Komplizenschaften“, die letztlich zu Verbrechen wie der Ermordung von Samuel Paty geführt hätten. Die Studentengewerkschaft Unef und die linksgerichtete Bewegung „Unbeugsames Frankreich“, die Blanquer explizit in einem Interview mit dem Radiosender „Europe 1“ kritisiert hatte, wiesen die Vorwürfe des Ministers zurück. 

Wie aufgeheizt die Stimmung in Frankreich nach der Ermordung Patys ist, zeigen Drohungen und Verwüstungen, die sich gegen Moscheen im südfranzösischen Béziers und in Bordeaux richteten. In Bordeaux hatte Unbekannte die Moschee mit Keltenkreuzen beschmiert, wie sie bei Rechtsextremen als Symbol verwendet werden. Innenminister Gérald Darmanin wies die Präfekten der zuständigen Départements an, die Sicherheitsvorkehrungen für Moscheen zu verschärfen.  

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