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"Gelbwesten" in der Nähe von Orleans verfolgen die Rede von Präsident Emmanuel Macron.

© AFP

Frankreich: Macrons Milliarden-Wette

Macrons Versöhnungsangebot an den "Gelbwesten" wird rund zehn Milliarden Euro kosten. Frankreichs Präsident setzt darauf, dass damit die Proteste nachlassen.

Die Franzosen erlebten Emmanuel Macron am Montagabend in einer ungewohnten Rolle. Der Staatschef wirkte fast ein wenig verloren hinter seinem riesigen Schreibtisch im Pariser Élysée-Palast, als er seine 13-minütige Rede mit den Worten begann, dass die „Ereignisse“ der vergangenen Wochen „die Nation tief verstört haben“. Mit den „Ereignissen“ meinte Frankreichs Staatsoberhaupt die andauernden Proteste der „Gelbwesten“, die der 40-Jährige in seiner Rede allerdings kein einziges Mal direkt erwähnte.

Ungewohnt war der Auftritt Macrons vor allem deshalb, weil der ansonsten so schwungvolle Redner sich eher tastend zum Kern seiner Ausführungen vorarbeitete. Nach fünf Minuten erklärte Macron, dass angesichts der Proteste im Land der „wirtschaftliche und soziale Notstand“ ausgerufen werde. Dann folgten vier konkrete Maßnahmen, welche die „Gelbwesten“ besänftigen sollen: eine zusätzliche Monatszahlung von 100 Euro für Mindestlohnbezieher, Steuererleichterungen für Rentner, finanzielle Anreize für Überstunden und eine Prämie für Arbeitnehmer zum Jahresende. Letzteres soll aber nur gelten, wenn die Arbeitgeber auch mitmachen.

Demonstranten wollen Wiedereinführung der Vermögensteuer

Zwei Autostunden von Paris hörte sich am Montagabend auch François, der sich mit den „gilets jaunes“ an einem Verkehrskreisel in der Nähe von Rouen postiert hatte, Macrons Rede an. Die Ankündigungen des Präsidenten, sagte François, seien „ungenügend“. Der Staatschef habe es unterlassen, die alte Form der Vermögensteuer, die auch Aktienbesitzer traf, wieder einzuführen. „Die Bewegung wird weitergehen“, zeigte sich der Aktivist überzeugt, „mit vielen weiteren Menschen“. Die Botschaft von François, der wie zahlreiche andere „Gelbwesten“ auch auf die Nennung seines Nachnamens verzichtete, lautete folgendermaßen: „Wir wollen all das rückgängig machen, was seit 18 Monaten angerichtet wurde.“

45-Grad-Schwenk des Präsidenten

Seit eineinhalb Jahren regiert Macron im Élysée-Palast. Was er am Montagabend verkündete, bedeutet zumindest einen 45-Grad-Schwenk in seiner bisherigen Politik. Es ist zwar nicht die ganz große Wende, wie sie beispielsweise der damalige Staatschef François Mitterrand hinlegte. Der Sozialist hatte nach seinem Amtsantritt im Jahr 1981 erst Schlüsselindustrien verstaatlicht. Nach zwei Jahren beendete er dann seine Politik der sozialen Wohltaten und setzte einen harten Sparkurs um. Bei Macron verhält es sich nun genau andersherum: Der Präsident, der mit seiner Steuerpolitik zunächst die Bezieher niedriger Einkommen schröpfte, will sich auf einmal als sozialer Wohltäter zeigen.

Macron bleibt auch gar nichts anderes übrig, denn seine Umfragewerte sind desaströs. Nur noch 21 Prozent der Franzosen unterstützen seine Politik. Eine entsprechende Umfrage wurde allerdings bereits erhoben, bevor der Hausherr im Élysée-Palast am Montag zur Nation sprach. Ob die einzelnen Maßnahmen, die in den nächsten Wochen mehr Geld in die Portemonnaies der Franzosen bringen sollen, seine Popularität wieder anheben können, ist ungewiss.

Genauso offen ist auch, was am kommenden Samstag in Frankreich passieren wird. Macron setzt darauf, dass seine Rede ihn nicht nur sozialer erscheinen lässt, sondern auch einen Wendepunkt für die „Gelbwesten“-Bewegung markiert. An vier Samstagen in Folge haben die „gilets jaunes“ in Paris demonstriert. Den traurigen Höhepunkt gab es bei den Krawallen, als die „casseurs“, wie die randalierenden Demonstranten in Frankreich genannt werden, vor über einer Woche den Triumphbogen beschädigten. Am vergangenen Samstag hatte die Polizei die Lage besser im Griff, aber in der Hauptstadt wurden immer noch mindestens 10.000 Demonstranten gezählt.

Macron dürfte wohl ahnen, dass er den harten Kern der „Gelbwesten“ nicht mehr zum Einlenken bewegen kann. Stattdessen schickte er am Dienstag seinen Premierminister Edouard Philippe in die Nationalversammlung, der dort den Vier-Punkte-Katalog zur Förderung der Kaufkraft näher erläuterte. Philippe erklärte, dass Macrons Vier-Punkte-Plan dem Grundgedanken folge, „dass sich Arbeit lohnen muss“. Weil unmittelbar nach der Rede Macrons am Montagabend die Frage aufgekommen war, wie denn die Zusatzzahlung für die Mindestlohnbezieher finanziert werden solle, stellte der Regierungschef klar: „Die Erhöhung des Mindestlohns um 100 Euro netto wird vom Staat finanziert.“

Das reichte allerdings nicht, um die zahlreichen Gegner von Macrons Politik in der Nationalversammlung zu besänftigen. Zahlenmäßig sind die Vertreter der Opposition den Abgeordneten der Regierungspartei „La République en Marche“ zwar weit unterlegen, dafür sind sie aber umso lauter. So ergriff beispielsweise Mathilde Panot, eine Abgeordnete der Linkspartei „Unbeugsames Frankreich“, das Wort und bezichtigte Macron schlicht der Lüge. Die Regierung beabsichtige, trotz der Ankündigungen des Präsidenten weiterhin jene öffentliche Daseinsvorsorge zu zerstören, für deren Erhalt die „Gelbwesten“ auf die Straße gingen, erklärte sie. „Es ist eine Schande, dass Sie das Volk verachten“, schimpfte Panot. Und dann griff sie noch jene Forderung der „Gelbwesten“ auf, die Macron partout nicht erfüllen will: „Geben Sie uns die Vermögensteuer zurück.“

Eisige Stimmung in der Nationalversammlung

Die Stimmung, die den Abgeordneten der Regierungspartei „La République en Marche“ in der Nationalversammlung entgegenschlägt, ist eisig. Aber auch außerhalb des Parlaments ist das Leben für einige „En Marche“-Vertreter inzwischen ungemütlich geworden. Am vergangenen Wochenende wurde das Auto der Abgeordneten Jacqueline Dubois in der südfranzösischen Gemeinde Vézac in Brand gesteckt. Regierungschef Philippe erklärte dazu am Dienstag in der Nationalversammlung, dass schon seit einigen Jahren die öffentliche Debatte in Frankreich von Beleidigungen und Einschüchterungen begleitet werde. „Ich will nicht, dass wir uns daran gewöhnen“, fügte der Regierungschef hinzu.

Wenn es eine Oppositionspartei gibt, auf die Macron in der Nationalversammlung nach seiner Rede vom Montagabend zumindest einigermaßen bauen kann, dann sind es die Republikaner – also jene konservative Partei, die unter anderem mit Nicolas Sarkozy zwischen 2007 und 2012 den Präsidenten stellte. Sarkozy war es gewesen, der unter dem griffigen Motto „Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen“ Steuererleichterungen für Überstunden einführte. Dass Macron jetzt Sarkozys Maßnahme wiederbelebt, findet naturgemäß den Beifall der Republikaner.

Andererseits bietet die Migrationspolitik den Republikanern einen willkommenen Anlass, um die Regierung in die Enge zu treiben. Bei der Debatte am Dienstag beschwerte sich der konservative Abgeordnete Claude Goasguen darüber, dass es keine Diskussion über den UN-Migrationspakt gegeben habe, der am Montag im marokkanischen Marrakesch verabschiedet wurde. „Dieser Pakt ist nicht neutral“, kritisierte Goasguen. Da gab es im Parlament Beifall von der Chefin des rechtsextremen Rassemblement National, Marine Le Pen. Als dann anschließend der Staatsminister im Europaministerium, Jean-Baptiste Lemoyne, ein paar Dinge über die Bedeutung des UN-Migrationspakts geraderücken wollte, gingen seine Ausführungen unter dem Lärm der Zwischenrufe aus der Opposition unter.

Als wäre all dies noch nicht genug, steht Macron nun auch in Brüssel unter verschärfter Beobachtung, seit er am Montagabend seine Ankündigungen machte, die mit rund zehn Milliarden Euro zu Buche schlagen werden. EU-Währungskommissar Pierre Moscovici erklärte am Dienstag, dass die EU-Kommission mögliche Auswirkungen auf das französische Defizit genau im Blick behalten werde. Aber dies ist für Macron gegenwärtig nicht das Hauptproblem. Zunächst muss er abwarten, was das kommende Protestwochenende bringt.

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