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Ein Wandbild erinnert in Minneapolis an George Floyd, der vor elf Monaten bei einem Polizeieinsatz getötet wurde.

© Kerem Yucel/AFP

Folgen des Chauvin-Schuldspruchs: „George Floyd kann tatsächlich die Welt verändern“

Die Verurteilung des Ex-Polizisten Derek Chauvin wird weithin begrüßt. Warum das nur ein erster Schritt ist, erklärt der Prediger und Aktivist Frederick Haynes.

Frederick Douglass Haynes predigt seit 37 Jahren in der Friendship-West Baptist Church in Dallas, Texas. In dieser Zeit wuchs die Zahl der Gläubigen nach seinen Angaben von unter 100 auf mehr als 12.000. Der Reverend engagiert sich schon lange für Gleichberechtigung und gegen Rassismus, beim Parteitag der Demokraten im vergangenen Jahr trat er als Redner auf.

Reverend Haynes, wenn wir auf Minneapolis blicken: Wie wichtig ist das Urteil im Fall George Floyd?

Das Urteil war ein wichtiger, ein guter erster Schritt hin zu mehr Rechenschaftspflicht. Das ist notwendig, wenn wir jemals wirklich Gerechtigkeit in diesem Land erreichen wollen. Aber das Urteil ist nicht nur durch die Jury zustande gekommen und durch den Staatsanwalt und sein Team, die einen phänomenalen Job machten. Dieses Urteil verdanken wir auch der 17-jährigen Daniela Frazier, die trotz Drohungen der Polizei so mutig war, dieses Video aufzunehmen. Ohne Dianella Frazier würde Derek Chauvin wohl immer noch frei herumlaufen und schwarze Menschen bedrohen. Im ursprünglichen Polizeireport stand, dass Floyd unglücklicherweise in Polizeigewahrsam eines natürlichen Todes gestorben sei. Das zeigt, dass etwas systematisch ungerecht ist und repariert werden muss. Daher war das Urteil ein großartiger erster Schritt. Aber es war keine Gerechtigkeit, denn diese Art des Vorgehens ist teuflisch und findet immer noch statt. Wir haben noch viel Arbeit vor uns.

Was erwarten Sie von den Gesetzgebern in Washington D.C. und von den Verantwortlichen in den Bundesstaaten?

Am selben Tag, als wir die guten Nachrichten aus Minneapolis gehört haben, erreichte uns die schlimme Nachricht aus Ohio, wo die 16-jährige Ma’Khia Bryan von der Polizei getötet wurde. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass die nach George Floyd benannte Polizeireform verabschiedet wird: nicht nur auf Bundesebene, sondern in jedem einzelnen Bundesstaat. Das wollen wir auch bei uns in Texas erreichen. Wir müssen außerdem die Polizeiarbeit als solche verändern: weg von einer Kultur der Krieger hin zu einer Kultur der Beschützer. Daher fordern viele von uns, öffentliche Sicherheit neu zu denken.

Es ist nicht in Ordnung, wenn der eine Teil der Stadt überwacht und der andere bewacht wird. Beamte wie Derek Chauvin gehen mit der Mentalität eines Kriegers in unsere Gemeinden, mit griffbereiten Schusswaffen, und sie behandeln uns wie ihre Feinde anstatt wie Menschen, die es wert sind, beschützt zu werden. Das muss sich ändern. Genauso müssen wir sicherstellen, dass sich jeder Polizeibeamte frei fühlt, bösartiges Verhalten von Kollegen zu melden. Wir müssen die Schweigemauer durchbrechen.

Frederick Douglass Haynes, Baptisten-Prediger aus Dallas.
Frederick Douglass Haynes, Baptisten-Prediger aus Dallas.

© Privat

Was lässt sich vor Ort, in Gemeinden wie der Ihren in Dallas, verändern?

Wir müssen nicht unseren Dialog mit der Polizei ausbauen, sondern weiterhin fordern, zum Beispiel von unseren Bürgermeistern und City Managern, dass die Polizei zur Verantwortung gezogen werden kann. Polizeiarbeit findet ja auf lokaler Ebene statt – egal, wie viele Gesetze auf Bundesebene beschlossen werden. Wir müssen gemeinsam vor Ort über eine neue Definition von Sicherheit nachdenken.

So muss doch nicht jedes Mal die Polizei geschickt werden, wenn jemand den Notruf 911 wählt – etwa bei einem psychischen Problem, bei dem keine Waffen im Spiel sind. Da sind Experten gefragt, die wissen, was zu tun ist, keine Polizisten. Bevor wir also unsere ohnehin schon überforderten Haushalte mit der Aufrüstung der Polizei weiter belasten, sollten wir lieber an einem nachhaltigen Wandel arbeiten.

[Das Interview erschien zuerst im Newsletter „Washington Weekly“ unserer USA-Korrespondentin Juliane Schäuble. Jeden Donnerstag die wichtigsten Entwicklungen aus Amerika direkt ins Postfach. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung]

Empfinden Sie 2021 größere Hoffnung als noch 2020, dass sich hier etwas tut?

Optimistisch stimmt mich, dass nach George Floyds Tod im vergangenen Jahr überall auf der Welt Proteste ausgebrochen sind. Die Demonstranten verlangten, dass auch das Leben von Schwarzen einen Wert hat. Darum wurden wir nun Zeuge der Verurteilung von Derek Chauvin.

Präsident Joe Biden sagte am Dienstag, George Floyd habe die Welt verändert. Hat er recht?

Das glaube ich, ja. Denn wir haben in unseren Debatten im vergangenen Jahr Dinge, die zusammengehören, miteinander verknüpft. Beim Thema Rassismus geht es nicht nur um unser Polizeiwesen und unser Strafrecht, sondern auch um unser Wirtschaftssystem, unser politisches System und um umweltpolitische Ungerechtigkeiten. Eine Kultur der Beschützer bedeutet auch, dass wir in Gemeinden investieren, die vernachlässigt wurden, um sie gesund und sicher zu machen. Wenn wir das alles zusammendenken, wird George Floyd tatsächlich die Welt verändern.

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