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Verschärftes Gesetz. Vor drei Jahren ist die Reform des Sexualstrafrechts unter dem Grundsatz "Nein heißt Nein" in Kraft getreten.

© imago/Christian Mang

Folge der Nein-heißt-Nein-Regel: Zahl der Ermittlungen zu Sexualstraftaten steigt um mehr als ein Drittel

Was hat die Reform des Sexualstrafrechts bewirkt? Ermittler sprechen von einem „Kulturwandel“, der zu einem Anstieg der Verfahren geführt hat.

Seit Inkrafttreten eines schärferen Sexualstrafrechts mit der so genannten Nein-heißt-Nein-Regel vor drei Jahren ist die Zahl der Ermittlungsverfahren wegen Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung bundesweit um mehr als ein Drittel gestiegen. Nach Daten des statistischen Bundesamts wurden 2018 rund 72.000 Verfahren geführt. In den Jahren vor der Reform lag die Zahl noch bei rund 53.000.

Allein in Berlin kommen tausend Fälle mehr pro Jahr auf den Tisch der Staatsanwaltschaft, Tendenz steigend. Im laufenden Jahr könnten es erstmals mehr als 4000 Verfahren werden. Als Grund für den Anstieg nennen Justizexperten neben dem neuen Delikt der „Sexuellen Belästigung“ eine größere Bereitschaft, Fälle bei der Polizei anzuzeigen.

Das Berliner Landeskriminalamt spricht von einem „Kulturwandel“, der alle Schichten und Altersgruppen erfasst habe. Er führe zu einem Anstieg der Ermittlungsverfahren „in jedem Bereich“ des Sexualstrafrechts.

Dennoch wird ein etwa gleichbleibend großer Teil der Verfahren mangels Tatverdacht wieder eingestellt. Im vergangenen Jahr waren es bundesweit rund 32.000 Fälle.

Ministerin: Die Reform war ein Meilenstein

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte dem Tagesspiegel, die Einführung der „Nein-heißt-Nein“-Regelung sei "ein Meilenstein für die sexuelle Selbstbestimmung". Es sei überfällig gewesen, den Willen des Opfers in das Zentrum zu rücken. "Jede sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen des Opfers haben wir strafbar gemacht."

Die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen, aber auch Männern, werde dadurch deutlich besser geschützt. Den Anstieg und den Umgang mit den Verfahren wollte die Ministerin jedoch noch nicht kommentieren. Es sei noch "zu früh, um die Auswirkungen der Reform und die Anwendung der neuen Straftatbestände in der Praxis zu beurteilen."

Mehrarbeit. Die Deutschen seien heute eher bereit, anstößiges Verhalten anzuzeigen, heißt es beim Berliner Landeskriminalamt.
Mehrarbeit. Die Deutschen seien heute eher bereit, anstößiges Verhalten anzuzeigen, heißt es beim Berliner Landeskriminalamt.

© Paul Zinken/dpa

Auch der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, bezeichnet den Grundgedanken als gut und richtig. In der Praxis habe sich aber gezeigt, dass die Reform nicht in allen Punkten hinreichend durchdacht war. „Die Neuregelungen haben durch handwerkliche Fehler – ungewollt – dazu geführt, dass Straftäter mitunter davon profitieren“, sagt Rebehn.

Zum Beispiel gelten heute teilweise geringere Strafrahmen und kürzere Verjährungsfristen als zuvor für dieselben Tatbestände. „Die Politik ist gut beraten, diese Mängel der Reform schnellstmöglich zu beheben."

Verteidiger: Die Reform ist hochproblematisch

In den Reihen von Strafverteidigern hält sich ebenfalls eine grundlegende Skepsis. Stefan Conen vom Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins findet die Reform „hochproblematisch“. „Das Gesetz rückt innerpsychische Zustände der Beteiligten in den Mittelpunkt und macht es mehr als schwierig, hier noch sichere Feststellungen zu treffen“, sagt er.

Das Risiko für Fehlurteile in dem ohnehin fehlerträchtigen Bereich, wo häufig Aussage gegen Aussage stehe, sei noch einmal deutlich erhöht. Der Strafverteidigung stehe kaum taugliches Instrumentarium zur Verfügung, um Falschbeschuldigungen zu entlarven: „Der Gesetzgeber hat in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass ja nur vermeintlich Geschädigte bereits zu Beginn des Prozesses als Opfer behandelt werden, obwohl diese Rolle ja erst mit dem Urteil festgestellt werden kann“, kritisiert Conen.

Er bezweifelt zudem, ob es geboten war, mit dem neuen Tatbestand der sexuellen Belästigung ein sittlich zu missbilligendes Verhalten „der knappen Ressource Strafjustiz“ zu überantworten.

Bilanz. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagt, es sei überfällig gewesen, den Willen des Opfers ins Zentrum zu rücken.
Bilanz. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagt, es sei überfällig gewesen, den Willen des Opfers ins Zentrum zu rücken.

© Michael Kappeler/ dpa

Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) zieht dagegen schon jetzt ein positives Fazit: "Die gestiegene Zahl der Verfahren zeigt, dass Debatten wie Metoo wichtig für unsere Gesellschaft sind, weil sie die Anzeigebereitschaft der Frauen erhöhen", sagte er dem Tagesspiegel. Offenbar ist auch in diesem Deliktfeld das Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden gestiegen. Er ermutigt Frauen ausdrücklich, Übergriffe bei der Polizei zu melden: "Mit jeder weiteren Strafanzeige erhellen wir dieses Dunkelfeld."

Auch Berlins Opferbeauftragter Roland Weber lobt die Reform, nicht nur, weil das Dunkelfeld kleiner geworden sei. Ihr eigentlicher Erfolg sei darin begründet, dass sie zu einem gesamtgesellschaftlichen Diskurs über das Thema geführt habe. 

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