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Hans-Georg Maaßen kommt aus der Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste im Deutschen Bundestag.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Fokus auf "Antifa Zeckenbiss": Die Einseitigkeit des Hans-Georg Maaßen

BfV-Chef Maaßen fixiert sich bei der Bewertung des Mobs in Chemnitz auf ein 19-Sekunden-Video. Das spricht nicht für ihn und seine Behörde. Eine Analyse.

Von Matthias Meisner

Es ist ein Widerspruch unter mehreren in der Stellungnahme des Verfassungsschutzpräsidenten für den Bundesinnenminister - aber er ist besonders eklatant. In seiner Erklärung für seinen Dienstherrn Horst Seehofer bezieht sich Hans-Georg Maaßen auf eine Mitteilung der Aktivisten "Antifa Zeckenbiss" vom 7. September, die das 19-sekündige Video unter der Überschrift "Menschenjagd in Chemnitz" am Abend des 26. August auf Facebook und auf Twitter verbreitet hatten, wo es inzwischen mehr als 500.000-mal gesehen wurde.

Maaßen zitiert "Antifa Zeckenbiss" mit den Worten, das Video sei ein "Netzfund", gefunden auf "einer partriotischen Plattform". "Wer es aufgenommen hat, wissen wir nicht. Es wurde von uns so veröffentlicht, wie wir es gefunden haben." Es liege also nahe, schlussfolgert Maaßen, dass "Antifa Zeckenbiss" die Überschrift "Menschenjagd in Chemnitz" verwendet habe, "ohne die näheren Umstände der Aufnahme selbst zu kennen". Und: "Vor diesem Hintergrund bewertete der Präsident des BfV das Video als nicht authentisch für die Behauptung, es habe ,Hetzjagden' in Chemnitz gegeben."

Abgesehen von der Tatsache, dass "Antifa Zeckenbiss" von einer (singular!) "Menschenjagd" gesprochen hat und nicht (plural) von "Hetzjagden": Seine umstrittenen Zitate für die "Bild"-Zeitung übermittelte Maaßen vor dem 7. September - denn an diesem Tag wurden sie von dem Blatt veröffentlicht. Die Mitteilung von "Antifa Zeckenbiss" konnte er also bei seinem Statement für "Bild" noch gar nicht kennen.

Als er sich in die Debatte um den Begriff "Hetzjagd" einschaltete, musste der Verfassungsschutzpräsident wiederum wissen vom Neonazi-Überfall auf des jüdische Lokal "Schalom" in Chemnitz am 27. August und vom Angriff auf eine Gruppe von SPD-Leuten um den hessischen Bundestagsabgeordneten Sören Bartol am 1. September, ebenfalls in Chemnitz.

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Am Mittwoch hatte "Antifa Zeckenbiss" die Stellungnahme von Maaßen mit den Worten kommentiert: "Ab wie viel Meter beginnt für Herrn Maaßen denn eine Jagd? Für uns ist es eindeutig eine gewesen." Die 19-Sekunden-Sequenz der Menschenjagd wird auch "Hase-Video" genannt - weil im Hintergrund die Stimme einer Frau zu hören ist, die sagt: "Hase, du bleibst hier". Warum sich Maaßen in seiner Bewertung so sehr auf dieses eine kurze Video fokussiert, bleibt rätselhaft.

Kretschmer: Durch Wortwahl zur Beruhigung beitragen

Um zu wissen, dass in den Tagen seit 26. August mehrfach ein rechter Mob in Chemnitz unterwegs war, musste Maaßen sich nicht allein auf das von ihm in seiner Authentizität angezweifelte Video von "Antifa Zeckenbiss" beziehen. Es gibt dafür zahlreiche Berichte von Medienvertretern und anderen Augenzeugen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hatte in seiner Regierungserklärung am 5. September "Hetzjagden" oder einen "Mob" in Chemnitz bestritten. Später sagte Kretschmer der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", er habe seine Formulierung gewählt, weil "Demokraten durch Wortwahl zur Beruhigung beitragen sollten".

Maaßen selbst gibt in seiner Stellungnahme für Seehofer zu, dass der Verfassungsschutz über die "Antifa Zeckenbiss" - die Plattform ist sowohl auf Twitter als auch auf Facebook präsent - nicht viel weiß. Vom Verfassungsschutz wird sie nicht beobachtet. "Wer sich hinter Antifa Zeckenbiss verbirgt, ist dem BfV nicht bekannt", schreibt der Verfassungsschutz-Präsident. "Es könnte sich um eine Einzelperson oder Gruppe handeln". Sie bediene "unterschiedliche Aktionsfelder", die "auch im Fokus von Linksextremisten stehen". Andererseits: "Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um eine Person, Gruppe oder Organisation handelt, die nichts mit der linken oder linksextremistischen Szene zu tun hat."

AfD-Mann beobachtete die Jagdszene in Chemnitz

"Antifa Zeckenbiss" arbeitet ähnlich wie andere Aktivisten, die die rechte Szene beobachten: Intensiv werden rechte Accounts in den sozialen Netzwerken durchpflügt. Zum Beispiel der Blogger Frank Stollberg arbeitet so, der im November 2017 mithalf, Postings der rassistischen Facebook-Gruppe "Die Patrioten" zu dokumentieren, in der sich damals 50 Abgeordnete der AfD aus Bundestagen und Landtagen vernetzt hatten. Oder auch Christian Frey, der einen Zusammenschnitt verschiedener Videoaufnahmen fertigte, um den Aufmarsch eines "ausländerfeindlichen Mobs" am 26. August in Chemnitz zu dokumentieren. Die prägnanten Szenen hatte er unter anderem in Videos auf den Facebook-Seiten der extrem rechten Gruppen "Heidenauer Wellenlänge" und "Roßwein wehrt sich" gefunden.

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Vom "Hase-Video" gibt es indes vermutlich nur die 19-Sekunden-Version. Davon zumindest geht Lars Franke aus, Mitglied der Chemnitzer AfD-Führung. Er beschrieb die Szene vom 26. August am 7. September auf Facebook: "Junge Araber" hätten "Teilnehmer der spontanen Aktion bedroht". Bürger hätten sich das nicht gefallen lassen wollen: "10 Meter kurz mal in deren Richtung und schon rannten die Provokateure wie Hasen davon." Er selbst habe im Abstand von 20 bis 30 Metern daneben gestanden, berichtet Franke. Es gebe nur diese eine Version des Videos, das dann rasch die Runde machte: "Chemnitz ist ja nun nicht so gewaltig groß und WhatsApp ist sehr schnell."

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