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Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko.

© Sergej Gapon/AFP

Flugzeugentführung nach Belarus: Lukaschenkos dreiste Aktion ist auch eine Botschaft an die EU

Jetzt rächt sich, dass die EU dem Regime in Belarus in den vergangenen Monaten nicht entschlossener entgegengetreten ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Claudia von Salzen

Die Aktion ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten. Ein Passagierflugzeug wird wegen eines offensichtlich erfundenen Bombenalarms zur Landung in Minsk gezwungen. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko verleiht der Forderung durch einen Kampfjet Nachdruck. Diese Aktion ist de facto nichts anderes als eine Flugzeugentführung, deren einziges Ziel es war, den oppositionellen Journalisten Roman Protassewitsch hinter Gitter zu bringen. Doch warum greift Lukaschenko zu einem so drastischen Mittel?

Der autoritär regierende Staatschef, der nach einer gefälschten Wahl im vergangenen Jahr an der Macht blieb, sendet damit eine Botschaft an die belarussische Demokratiebewegung: Wohin ihr auch geht, wir kriegen euch alle. Auch wer die Opposition um Swetlana Tichanowskaja aus dem Ausland unterstützt, soll sich niemals sicher fühlen können.

Das wussten die mutigen Oppositionellen schon vor diesem Pfingstsonntag. Nicht ohne Grund wird Tichanowskaja in ihrem erzwungenen Exil in Litauen und auf Auslandsreisen stets von Personenschützern begleitet. Doch mit der Flugzeugentführung erhält Lukaschenkos Vorgehen gegen die Demokratiebewegung eine neue Dimension.

Lukaschenko kam wohl zu dem Schluss, dass ihm die Reaktion der EU nicht schaden wird

Die Aktion enthält zugleich eine Botschaft an die Europäische Union. Lukaschenko ist kein völlig verrückter Diktator, der ohne Rücksicht auf Verluste handelt. Vor der Entscheidung, das Flugzeug abzufangen, wird auch er Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen haben. Ihm dürfte klar gewesen sein, dass die EU eine solche Flugzeugentführung nicht einfach hinnehmen kann. Doch offenbar ist Lukaschenko zu dem Schluss gekommen, dass die zu erwartende Reaktion der EU ihm nicht schaden würde.

Viele Jahre lang pendelte Lukaschenko machtpolitisch zwischen der EU und Russland, näherte sich mal der einen, mal der anderen Seite an. Mit der brutalen Niederschlagung der Demokratiebewegung in Belarus hat er sich bereits von der EU abgewandt, die Flugzeugentführung zeigt das noch einmal in aller Deutlichkeit.

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Mit Genugtuung dürfte dagegen der Kreml die Ereignisse verfolgen. Für Russland hat die dreiste Aktion Lukaschenkos nur Vorteile. Sie hat gezeigt, dass die beiden autoritären Regime in der brutalen Verfolgung von Oppositionellen Seite an Seite stehen, denn sie eint die Angst vor einem demokratischen Umbruch. Eine Demokratisierung in Belarus und eine daraus folgende Annäherung des Landes an die EU würden die Chancen von Russlands Präsident Wladimir Putin, lebenslang im Amt zu bleiben, massiv verringern.

Dass Lukaschenko die Aktion ohne Rücksprache mit dem Kreml durchgezogen hat, ist wenig wahrscheinlich. Einiges spricht sogar dafür, dass Moskau von Anfang an in die Aktion eingebunden war.

[Lesen Sie auch: Wer ist der Mann, für den Lukaschenko ein Flugzeug kapern ließ? (T+)]

Die Empörung in der Europäischen Union über die brachiale Festnahme eines Dissidenten ist berechtigt, sie hat aber auch eine heuchlerische Seite. Musste wirklich erst ein Flugzeug entführt werden, damit die EU die Situation in Belarus und die brutale Niederschlagung der Demokratiebewegung stärker in den Blick nimmt? In Belarus gibt es mehrere hundert politische Gefangene.

Einer von ihnen, der Oppositionspolitiker Witold Aschurak, starb vor wenigen Tagen in einem Straflager, offiziell an einem Herzinfarkt. Der 50-Jährige hatte nie Herzprobleme, die Behörden weigern sich, den Leichnam zur Beerdigung freizugeben. Sein Tod hat in Europas Hauptstädten kaum Beachtung gefunden.

Jetzt rächt sich, dass die EU dem Regime von Lukaschenko in den vergangenen Monaten nicht entschlossener entgegengetreten ist. Die Europäer haben bisher keine schlüssige Antwort darauf gefunden, wie sie mit den Autokraten in Moskau und Minsk umgehen sollen. Auch deshalb glaubte Lukaschenko offenbar, sich diesen Affront erlauben zu können. Auf die Flugzeugentführung muss es eine kluge europäische Antwort geben, die über die am Montagabend vereinbarten Einschränkungen im Flugverkehr deutlich hinausgeht.

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