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Bundesinnenminister Horst Seehofer

© dpa

Flüchtlingsprogramme von Berlin und Thüringen: Seehofers Nein ist "nicht haltbar"

Für Horst Seehofers Nein zu Plänen Berlins und Thüringens, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, gibt es ersten Widerspruch aus der Rechtswissenschaft.

Bundesinnenminister Seehofer hat für sein Nein zu den Flüchtlingsaufnahmeprogrammen von Berlin und Thüringen einen ersten, kritischen, Kommentar aus der Rechtswissenschaft kassiert. In einem Editorial für die Augustausgabe der renommierten „Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik“ nimmt sich die Hamburger Migrationsjuristin Helene Heuser die rechtliche Begründung  von Seehofers  Einspruch gegen die Länderprogramme vor und kommt zu dem Schluss, sie halte „einer rechtlichen Prüfung kaum stand“. Ihre Argumente könnten für ein Gerichtsverfahren bedeutsam werden - beide Länder erwägen, gegen Seehofers Nein zu klagen.

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Die rot-rot-grünen Regierungskoalitionen in Berlin und Thüringen hatten vor einigen Wochen beschlossen, über ihr übliches anteiliges Kontingent hinaus 300 beziehungsweise 500 Flüchtlinge, vor allem unbegleitete Minderjährige, Kranke und Traumatisierte, aus den Lagern auf den griechischen Ägäis-Inseln aufzunehmen. Dafür muss nach Paragraf 23 des "Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet", kurz Aufenthaltsgesetz, der  Bundesinnenminister grünes Licht geben. Seehofer verweigerte dies jedoch in Schreiben an Thüringens Justizminister Dirk Adams (Bündnisgrüne) und Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD), die dort in den letzten Tagen eingingen. Er machte europarechtliche Bedenken geltend – neben den Dublin-Regeln unter anderem eine europäische Gesamtlösung, die durch nationale oder regionale Aufnahmen gefährdet seien – und erklärte, das Aufenthaltsgesetz sei für Übernahme von Geflüchteten aus EU-Partnerländern wie Griechenland nicht gemacht.

EU-Vereinbarungen haben "keinen Vorrang vor einem Landesprogramm" 

Dem widerspricht Fachfrau Heuser: „Die Argumentation,§ 23 Abs. 1 des AufenthG stelle 'keine Rechtsgrundlage für Kontingentaufnahmen aus anderen EU-Mitgliedstaaten dar', ist nicht haltbar." Es gebe diese Einschränkung für Aufnahmeprogramme der Länder nicht, schreibt sie, und zitiert den Gesetzestext, der den Ländern das Recht gibt, Menschen „aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland“ aufzunehmen. Diese Norm sei bewusst „sehr allgemein formuliert, um die Entscheidungsfreiheit der Länder nicht zu stark einzuschränken“.  Außerdem, so Heuser weiter, habe die europäische Dublin-III-Verordnung, die die Zuständigkeit der EU-Länder für Asylverfahren regelt, keinen Vorrang vor einem Landesprogramm. Die Verordnung beziehe sich nur auf europäisch und international regulierte Asylverfahren „und nicht auf nationalstaatliche Aufnahmeprogramme“. Beides sei „nicht gegeneinander auszuspielen", sondern ergänze sich.

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Heuser nimmt schließlich zur Versicherung des BMI Stellung, die stärker aufnahmebereiten Länder würden ja entsprechend ihren Wünschen berücksichtigt. Diese Länder, so Heuser, hätten aber den Willen, zusätzlich zur üblichen Verteilung Menschen aufzunehmen; des könne also nicht darum gehen, dass sie dem Bund Menschen „abnähmen“, „die eigentlich gleichmäßig auf das Bundesgebiet zu verteilen wären.  

Zwei Länder nehmen mehr auf, andere weniger 

Im Brief an Thüringens Justizministerium, der dem Tagesspiegel vorliegt, schreibt Seehofers Staatssekretär Hans-Georg Engelke nämlich: „Um der besonderen Aufnahmebereitschaft bei der Übernahme der Zuständigkeit für die Asylverfahren von Kindern von den griechischen Inseln Rechnung zu tragen, hat das BMI in Abstimmung mit allen Ländern ein Verteilkonzept erstellt, welches neben familiären Bindungen und besonderen medizinischen Bedarfen auch die Aufnahmebereitschaft der Länder berücksichtigt. Aufgrund ihrer besonders großen Aufnahmebereitschaft wurden die Länder Berlin und Thüringen dabei besonders berücksichtigt.“ Beide Länder nähmen „damit deutlich mehr Personen als nach dem üblichen Länder-Verteilungsschlüssel auf“.  

Auf  Nachfrage des Tagesspiegels im Ministerium bestätigte ein Sprecher Seehofers, dass, anders als von Thüringen und Berlin beabsichtigt, durch ihre Hilfsbereitschaft kein Flüchtling mehr nach Deutschland kommt: „Ich kann Ihnen bestätigen, dass in der Tat die Gesamtanzahl erhalten bleibt und von dem üblichen Verteilungsschlüssel abgewichen wird."

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