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Flüchtlinge in der Bayernkaserne hatten am Donnerstag für eine bessere Unterbringung demonstriert.

© dpa

Flüchtlingspolitik: De Maizière fordert mehr Engagement von der EU

Bundesinnenminister Thomas de Maizière will ein dauerhaftes Bleiberecht für abgelehnte Asylbewerber – zugleich streitet die EU um Hilfen für Bootsflüchtlinge und lässt ihre Außengrenzen stärker überwachen.

Der Strom reißt nicht ab. Mehr und mehr Flüchtlinge kommen nach Europa, immer mehr Menschen ersuchen auch in Deutschland um Asyl – und bei Weitem nicht alle haben damit Erfolg. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will ein dauerhaftes Bleiberecht für abgelehnte Asylbewerber schaffen. „Wir haben einige zehntausend abgelehnte Asylbewerber, die wir nicht abschieben können, oder Menschen, die aus anderen humanitären Gründen hier sind“, sagte de Maizière dem „Focus“. „Für diese Menschen, die seit Jahren hier leben, ihren Lebensunterhalt weitgehend selbst sichern und nicht straffällig geworden sind, werden wir ein dauerhaftes Bleiberecht schaffen, und zwar per Gesetz.“ Mit dem Gesetz will de Maizière ein Signal an die Flüchtlinge senden: „Ihr gehört zu uns.“

De Maizière forderte zugleich die EU-Staaten zu mehr Engagement auf. Bisher beteiligten sich nur zehn Mitgliedsländer an der Aufnahme. „Es ist nicht in Ordnung, dass zum Beispiel Schweden und Deutschland 50 Prozent der in Europa ankommenden Asylbewerber aufnehmen“, kritisierte er. Auf Initiative Deutschlands und Frankreichs wolle sich die EU in den Herkunfts- und Transitstaaten engagieren. Schlepperbanden, die das Schicksal der Flüchtlinge ausnutzten, müsse das Handwerk gelegt werden.

Tatsächlich nehmen die Mitgliedsländer sehr unterschiedlich viele Flüchtlinge auf. Gemessen an der Bevölkerungszahl hatte Schweden im ersten Quartal 2014 die meisten Asylbewerber, gefolgt von Luxemburg. Deutschland lag nach Malta an vierter Stelle in der Europäischen Union. Die noch amtierende schwedische EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström erklärt deshalb: „Fünf Länder nehmen 75 Prozent der Asylsuchenden auf. Wir sind aber 28 Staaten.“

Angesichts wachsender Flüchtlingszahlen Richtung Europa hatten sich die EU-Innenminister am Freitag auf mehr Überwachung an den Außengrenzen der Union geeinigt. Außerdem sollen die, die es dennoch in die EU schaffen, besser auf sämtliche Mitgliedsländer verteilt werden.

Neue Regelung bringt auch Probleme

De Maizière hatte die Einigung bereits vor der Unterschrift der Mitgliedstaaten unter die Beschlüsse am Freitag als „sehr großen Erfolg“ bezeichnet. Nun gebe es „eine verbindliche Verpflichtungserklärung“ für alle EU-Länder. Italien, das derzeit die Ratspräsidentschaft innehat, hat sich nun ebenfalls verpflichtet, Fingerabdrücke von anlandenden Flüchtlingen zu nehmen. Das soll ihre Identifizierung erleichtern und ihre Abschiebung in die Länder der Union ermöglichen, die sie zuerst betreten haben. Nach den vor Jahren in Dublin beschlossenen Vorschriften sind sie für deren Asylverfahren zuständig.

Fraglich bleibt, ob aus der Verpflichtung, die die EU-Länder jetzt unterschreiben werden, auch Wirklichkeit wird. In Griechenland, das hart von der Krise betroffen ist, reichen die öffentlichen Mittel nicht einmal für die eigenen Bürger aus. Viele Flüchtlinge fliehen dort außerdem weiter, um fremdenfeindlichen Attacken zu entgehen. Sie suchen den Kontakt zu bereits bestehenden Netzen eigener Landsleute oder Verwandter, die ihnen helfen können. Die Flüchtlingshilfsorganisation „Pro Asyl“ fordert deshalb die freie Wahl des Aufenthaltsorts für sie. Das sei nicht nur menschlicher, sondern auch effektiver als ein europäisches „Zwangsverteilungsprogramm“.

Oliviero Forti, Leiter der Migrationsreferats der italienischen Caritas, sieht die Beschlüsse von Luxemburg mit großer Sorge: „Italien hat bestenfalls 30000 bis 40000 Plätze, die europäischen Standards genügen, 10000 bis 15000 davon stellen wir oder andere nichtstaatliche Organisationen bereit“, sagte er dem Tagesspiegel. „Wenn Italien alle, die kommen, nach den Dublin-Regeln registriert und ihnen ein Anerkennungsverfahren bietet, wird es in große Schwierigkeiten kommen.“

Im vergangenen Jahr, als Italiens Marine im Rahmen der Aktion „Mare Nostrum“ viele Schiffbrüchige rettete, waren dies 100000 Menschen. Ressourcen und Einrichtungen seien auch deswegen Jahre hinter der Entwicklung der Flüchtlingszahlen zurück, weil die Mitte- Rechts-Regierungen bis 2011 „keinerlei Interesse hatten, in Hilfe für Flüchtlinge zu investieren“.

Das Ende der italienischen Rettungsaktion „Mare Nostrum“ dürfte jetzt die Zahl derjenigen wieder drastisch erhöhen, die den Weg nach Europa gar nicht erst schaffen und im Mittelmeer sterben. Rettungseinsätze sollen auf Gewässer nahe der EU-Küste beschränkt und von der EU-Grenzschutzagentur Frontex teilweise übernommen werden. Die Übernahme soll nur drei Millionen Euro kosten. Italien bezifferte den Einsatz, der seit dem 18. Oktober 2013 lief, dagegen auf monatlich mehr als neun Millionen.

Trotz „Mare Nostrum“ stieg die Zahl derjenigen, die es nicht schafften, in diesem Jahr auf ein Rekordhoch, auf 3000 Tote im Mittelmeer seit Jahresbeginn. Die italienische Organisation „Fortress Europe“ zählte seit 1988 mehr als 21000 Tote an den Grenzen Europas. Die Zahl derjenigen, die auf dem Landweg verdursten, von ihren Schleppern ausgesetzt werden oder an Misshandlungen sterben, dürfte weit höher liegen.

Die EU will die Flüchtlingshilfe vor Ort in den Krisengebieten stärken: Die Union stellt 3,9 Millionen Euro für aus der umkämpften nordsyrischen Grenzstadt Kobane vertriebene Menschen zur Verfügung. Das Geld soll an humanitäre Organisationen fließen, die Bedürftige nach der Flucht ins Nachbarland Türkei unterstützen, teilte die EU-Kommission am Sonntag mit. Das Geld stammt aus einem 150 Millionen Euro schweren Hilfstopf für die Opfer des syrischen Bürgerkriegs. mit KNA/dpa

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