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Blick in ein zerstörtes Büro der Flüchtlingsunterkunft in Suhl aufgenommen am 20.08.2015. V

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Update

Flüchtlingsheim in Suhl: Streit zwischen Flüchtlingen über Koran eskaliert

In Suhl liegen die Nerven blank: Die angebliche Schändung des Korans löst Ausschreitungen in einem Flüchtlingsheim aus. Mindestens 14 Menschen werden verletzt. Pegida schlachtet den Konflikt für sich aus.

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Und wieder schlachtet Pegida die Konflikte für sich aus. Nur wenige Stunden nach den Ausschreitungen zwischen Flüchtlingen im thüringischen Suhl stellte der Anführer der Anti-Asyl-Bewegung, Lutz Bachmann, ein Video über die "Asylantengewalt in Suhl" ins Netz, versehen mit dem Kommentar: "Es eskaliert in Deutschland. Sie bringen die Zustände, vor denen sie angeblich geflohen sind."

In Suhl waren im Verlauf der Nacht zum Donnerstag 14 Menschen verletzt worden. Darunter waren zehn Asylbewerber und vier Polizisten, wie ein Polizeisprecher sagte. Die Ausschreitungen in der Erstaufnahmestelle hätten am Mittwochabend mit einem Streit über den Koran begonnen.

Ein Afghane habe aus dem Koran Seiten herausgerissen, 20 andere Bewohner hätten dies nicht hinnehmen wollen, sagte der Polizeisprecher. Der Streit habe sich dann zu einer handfesten Auseinandersetzung entwickelt, an der 100 Flüchtlinge beteiligt gewesen seien. Der Afghane sei zu seiner Sicherheit von der Polizei in Gewahrsam genommen worden. An dem Einsatz waren 125 Polizeibeamte beteiligt, hieß es.

Ein Flüchtling wirft am 20.08.2015 vor der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl (Thüringen) ein zerstörtes Fenster auf einen Haufen.
Ein Flüchtling wirft am 20.08.2015 vor der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl (Thüringen) ein zerstörtes Fenster auf einen Haufen.

© dpa

Angespannte Lage in vielen Flüchtlingsunterkünften

Zwei Beamte seien wegen ihrer Verletzungen dienstunfähig, sagte der Polizeisprecher. Bei den Ausschreitungen wurden sieben Einsatzfahrzeuge der Polizei beschädigt. Es würden Anzeigen unter anderem wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung und Sachbeschädigung bearbeitet.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sprach sich im Sender MDR Info für getrennte Flüchtlingsunterkünfte für verschiedene Ethnien aus. Nur so ließen sich Gewaltausbrüche wie dieser verhindern. Um den Druck abzubauen, seien in den vergangenen Tagen Flüchtlinge in drei Ausweichquartieren untergebracht worden. Er könne verstehen, wenn bei hochtraumatisierten Menschen die Emotionen hochkochten, sobald verschiedene Ethnien und religiöse Gruppen aufeinanderträfen, sagte Ramelow. Er toleriere aber nicht, wenn jemand einen Koran zerreiße und in die Toilette werfe, wie dies zuvor berichtet worden war. Auf Twitter erklärte Regierungssprecher Alexander Fischer, der Vorfall sei "inakzeptabel und wird aufgeklärt". Die von der Landesregierung eingesetzte Task Force Flüchtlinge werde über das weitere Vorgehen beraten.

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Landesmigrationsminister Dieter Lauinger (Grüne) sagte bei einem Besuch in Suhl, es sei eine "rote Linie massiv überschritten" worden. Er sprach von einem "religiösen Streit, der eskaliert ist" und von "Lynchjustiz". Ein Flüchtling habe Seiten aus dem Koran in einer Toilette heruntergespült. Muslimische Mitbewohner hätten darauf heftig reagiert und versucht, den Mann zu lynchen. Wenn Menschen auf engstem Raum zusammen lebten, werde das nie konfliktfrei gehen. Die Konsequenz sei zu versuchen, die Konflikte zu minimieren.

Im Suhler Flüchtlingsheim war es in den vergangenen Wochen schon zu Auseinandersetzungen gekommen. In der Unterkunft wurden bis zu 1800 Menschen einquartiert, ausgelegt ist sie für maximal 1200.

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Auch in der Dresdner Zeltstadt war es vor einigen Tagen zu Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen gekommen - auch damals stellte Pegida ein Video des Vorfalls ins Netz. Am Mittwoch gab es Streit im Berliner Flüchtlingsheim Karlshorst, bei dem ein Bewohner und ein Polizist leicht verletzt wurde.

Polizeigewerkschaft fordert einem Krisengipfel

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte als Reaktion auf die Krawalle einen sofortigen Krisengipfel. Gegen die äußerst angespannte Lage in vielen Flüchtlingsunterkünften müssten kurzfristig wirksame Maßnahmen ergriffen werden, sagte der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Jörg Radek in Berlin: „Die Krawalle in Suhl müssen die Politik alarmieren.“ Überfüllte Unterkünfte und qualvolle Enge ohne jegliche Privatsphäre führten „schon bei der kleinsten Kleinigkeit“ zu Konflikten, die schnell in Gewalt umschlagen könnten.

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Unabhängig von dem Vorfall in Suhl hatte der Beauftragte für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, Mindeststandards gegen sexuelle Gewalt in Flüchtlingsunterkünften gefordert. Er erklärte, im Vergleich zu den meist klaren Strukturen in Kitas, Schulen oder Heimen seien die Abläufe in Flüchtlingsunterkünften "oft ungeordnet und sehr dynamisch". Schutzkonzepte gegen sexuelle Gewalt und Notfallpläne gebe es dort größtenteils nicht. "Erwachsene und Kinder wohnen in Großunterkünften auf engstem Raum; Intimität, Rückzugsorte, Sprachvermittlung und Kultursensibilität sind vielfach nicht gewährleistet."

Monika Kuntze, die beim Kölner Caritasverband das Geschäftsfeld Integration und Migration leitet, kennt die Gründe für die nun auftretenden Probleme aus vielen Jahren Arbeit: „Die Frustrationsgrenze ist extrem niedrig, schon durch die Erlebnisse auf der Flucht. Dazu sind die Leute meist in sehr schlechtem gesundheitlichen Zustand. Die Enge in den Unterkünften kommt hinzu.“ Eine „Schlüsselstelle“ sei, wie die Flüchtlinge auf die Wohnheime verteilt würden. Dabei seien für die Antwort auf die Frage, wer zu wem passe, wer miteinander auskommt, Religion oder Nationalität oft weniger entscheidend: „Viele halten zum Beispiel Afrika fälschlich für homogen und nehmen an, man könne Afrikaner wahllos zusammenstecken.“ Kürzlich hatte Kuntze in Köln den Fall zweier tschetschenischer Familien, die zusammen wohnen sollten. „In Tschetschenien herrscht aber Bürgerkrieg“, sagt Kuntze. „Die haben wir sehr schnell wieder trennen müssen.“

Massenunterkünfte seien auch nicht für traumatisierte Flüchtlinge geeignet - und das sind etwa 40 Prozent aller, die ankommen. Kuntze nennt den Fall einer hochschwangeren Frau, die allein mit ihrem Kleinkind geflüchtet war. In der großen Unterkunft, in der die beiden leben, kann sie keine Nacht schlafen. Ein schwer traumatisierter Mann, der dort ebenfalls lebt, leidet unter Alpträumen und wacht mehrmals pro Nacht schreiend auf. Kuntze sagt, es sei völlig klar, dass die Kommunen im Augenblick gar nicht nachkommen damit, ausreichend geeigneten Platz zur Verfügung zu stellen, meint aber: „In solchen Fällen muss man andere Lösungen finden.“ (mit dpa/epd)

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