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Viel Müll, wenige Klos. Die Zustände in Röszke sind chaotisch.

© dpa

Flüchtlinge in Ungarn: Chaos im Lager Röszke

In dem ungarischen Lager sind mehr freiwillige als professionelle Helfer vor Ort. Es fehlt vor allem an sanitären und medizinischen Einrichtungen.

Die Helferin Tanja weiß nicht genau, wie lange sie und ihr Team schon in Rözske sind. „Ich weiß nur, dass heute Sonntag ist, weil die Müllabfuhr heute kommen sollte.“ Bislang sind es nur die Freiwilligen, die hier den Müll einsammeln. Überall türmen sich Berge aus nassen Klamotten und verdorbenem Essen in dem ungarischen Flüchtlingslager hinter der serbischen Grenze. Tanja, die in ihrem richtigen Leben Heilpraktikerin ist und aus München kommt, hat in den vergangenen Tagen versucht, hier mit anderen eine Art Struktur aufzubauen. Auf einer großen Karte vor ihrem Zelt sind provisorisch verschiedene Bereiche eingezeichnet, wie ein Kinderzelt oder ein Wifi-Bereich. „Das organisiert Greenpeace“, sagt Tanja.

Angst vor Fingerabdrücken

Erst seit zwei Tagen sind einige Organisationen vor Ort, die Essens- und Medizinzelte aufbauen und die Ankommenden mit dem Nötigsten versorgen. Die Helfer von Malteser verteilen Suppe und überwachen den Abtransport der Flüchtlinge in ein Registrierungscamp. „Die Menschen sollen in die Busse steigen und sich Fingerabdrücke nehmen lassen“, sagt einer der Helfer. Nach seinen Informationen könnten die Flüchtlinge danach weiterreisen. „Die Abdrücke sind nur für die lokalen Behörden“, sagt er. Eine andere Helferin erzählt, sie habe gehört, diese Regelung gelte nur für syrische Familien.

Trotz der Bemühungen der Organisationen, Struktur in das Camp von Röszke zu bringen, ist das Chaos überall präsent. Das Camp ähnelt einem riesigen Festivalplatz mit Zelten und Dixi-Klos – wären da nicht die Berge an Müll, die Polizei und die Hubschrauber, die stetig darüber kreisen. „Nachts suchen sie mit Hunden und Scheinwerfern die Umgebung ab“, sagt Daniel, ein Helfer aus Österreich. „Alle, die sie fangen, werden nach Serbien deportiert.“ Daniel ist seit Dienstag hier und sieht die Strukturen, die in der Zeit geschaffen wurden. „Als wir ankamen, gab es drei Dixi-Klos und zwei Zelte, die Essen verteilt haben.“ In den letzten Tagen verbringt er viel Zeit an den Gleisen, über die die Flüchtlinge von Serbien nach Ungarn laufen. „Dort sitzen seit neuestem Schlepper im Gebüsch und ködern die Leute mit dem Versprechen, sie mit dem Taxi nach Budapest zu bringen.“ Viele hätten Angst vor den Fingerabdrücken.

Dienstag soll der Grenzzaun geschlossen werden

Der Grenzzaun ist gerade fünf Minuten vom Camp entfernt. In den Gebüschen um die Gleise sitzen Familien mit kleinen Kindern im Schatten und ruhen sich für die letzte Strecke aus. Sie fragen, ob es sicher ist im Camp, ob dort viel Polizei ist. Isaaq trägt seinen einjährigen Sohn auf dem Arm über die Grenze. Rechts und links von ihm stehen ungarische Einsatzkräfte. In zwei Tagen werden sie die Grenze hier schließen, der Stacheldraht steht schon bereit. Isaaq hat in Afghanistan als Journalist gearbeitet, kennt in Deutschland einige Journalisten der Deutschen Welle. "Unsere Schwestern und ihre Familien mussten zurückbleiben, wir konnten es uns nicht leisten", sagt er. Er möchte nach Deutschland oder Schweden weiterreisen, am liebsten ohne Fingerabdrücke. Als er im Camp ankommt, besorgt er seinem Sohn jedoch erst einmal ein Glas Milch.

„Wir wollen nicht in Ungarn bleiben“, sagt auch Faisal, der mit Frau und Kind aus Syrien heute morgen hier angekommen ist. Er ist dankbar für die Hilfe, die ihnen hier zugute kommt, auch wenn sie so schnell wie möglich weiter möchten. „Es ist zu dreckig“, sagt er. Sie stellen sich in die lange Schlange, die auf die Busse wartet. Etwa zehn davon stehen bereit, um die Flüchtlinge ins Registrierungscamp zu bringen. In der Schlange entstehen immer wieder Rangeleien, die Menschen drücken nach vorne.

Wurstsemmeln helfen nicht

Die Organisation Ärzte ohne Grenzen warnt vor der Ausbreitung an Krankheiten in dem Camp. Es fehle vor allem an sanitären und medizinischen Einrichtungen. Eine andere Herausforderung für die Helfer sind die abgegebenen Spenden von Privatpersonen. „Es bringt nichts, so viele Klamotten hier abzugeben“, sagt der Leiter vom Malteser Hilfsdienst vor Ort. „Wir haben keine Kapazitäten sie zu sortieren und zu lagern.“ Einiges sei durch den Regen der letzten Tage zerstört worden, ebenso wie das Essen. „Die Menschen meinen es nur gut“, sagt er. „Aber Semmeln mit Schweinefleisch essen die Menschen hier einfach nicht.“ Auch Dosenessen wird häufig entsorgt, weil es zu wenig Besteck zum Essen gibt.

Es gibt keine Zahlen darüber, wie viele Menschen sich derzeit in dem Camp befinden oder wie viele erwartet werden. Es spielt auch keine Rolle für die Arbeit der Freiwilligen. Noch immer sind mehr Privatpersonen hier vor Ort als professionelle Helfer. Studierende aus Budapest fahren für den Tag zum Camp und helfen. „So etwas wie hier sollte es nirgendwo geben“, sagt eine Medizinstudentin aus Norwegen. „Die Helfer leisten hier die Arbeit, die eigentlich in der Verantwortung der EU und der ungarischen Regierung liegt.“ Flüchtlinge hätten ihnen beim Mülleinsammeln geholfen. „Das waren Kinder, Frauen, die gerade erst angekommen sind und doch sofort Handschuhe angezogen haben.“

An Dienstag, wenn in Ungarn das verschärfte Gesetz gegen Einwanderer in Kraft tritt, will hier niemand denken. Dann kann jeder illegale Grenzübertritt mit bis zu drei Jahren Haft geahndet werden. „Für uns ist das ein Dienstag wie jeder andere“, sagt Tanja. „Unsere Aufgabe ist es, hier nachhaltige Strukturen zu schaffen. Danach sehen wir weiter.“ Dann wird sie gerufen: Die Müllabfuhr ist endlich angekommen.

Laura Worsch

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