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Die Fahrt über das Mittelmeer Richtung Europa ist nach wie vor lebensgefährlich.

© Hermine Poschmann/Mission Lifeline/dpa

Flüchtlinge in Europa: Was an Europas Brennpunkten der Migration passiert

Sie wollen nach Europa. Doch oft erfüllen sich die Hoffnungen der Migranten nicht. Unsere Reporter berichten aus Italien, Griechenland und Bosnien.

Sie riskieren alles – vor allem ihr Leben. Doch dies hält viele Menschen nicht davon ab, das Mittelmeer zu überqueren. Jeder fünfte Migrant, der versucht, von Libyen nach Italien zu gelangen, stirbt. Das teilte die Hilfsorganisation Sea-Watch mit. UN-Angaben zufolge sind 2018 bereits mehr als 1700 Menschen ums Leben gekommen.

Drei unserer Korrespondenten berichten von Brennpunkten, und wie dort mit dem Flüchtlingsproblem umgegangen wird.

Müllabfuhr per Eselskarren im italienischen Dorf Riace, mit Hilfe der Zuwanderer.
Müllabfuhr per Eselskarren im italienischen Dorf Riace, mit Hilfe der Zuwanderer.

© Max Rossi/Reuters

Vor einigen Tagen beherrschte das Städtchen Riace in Kalabrien wieder einmal die Schlagzeilen in ganz Italien. In den frühen Morgenstunden war Bürgermeister Domenico Lucano verhaftet und unter Hausarrest gestellt worden. Er soll der Scheinehe einer von der Ausweisung bedrohten Nigerianerin mit einem Einheimischen zugestimmt haben.

Außerdem wird Lucano vorgeworfen, in seinem Bergdorf eigenmächtig eine Müllabfuhr mit Eseln ins Leben gerufen zu haben, ohne dass der entsprechende Auftrag zuvor öffentlich ausgeschrieben wurde. In Rom, Mailand, Neapel und in Reggio Calabria kam es umgehend zu Solidaritätskundgebungen für den Bürgermeister.

Lucano ist Schöpfer und treibende Kraft des „Modells Riace“ – in Italien eine Ikone der Flüchtlingsintegration. Das kleine Bergstädtchen mit seinen alten Steinhäusern und dem atemberaubenden Blick auf das tiefblaue Ionische Meer hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten schon Tausende Asylbewerber aufgenommen.

Flüchtlinge aus 20 Ländern

Derzeit leben in Riace rund 600 Migranten und 900 Einheimische. In den engen Gassen der kleinen Altstadt oder auf dem Spielplatz außerhalb des Dorfes spielen einheimische Kinder zusammen mit ihren Altersgenossen aus Syrien, Somalia, aus Afghanistan, dem Irak, Eritrea, Togo und vielen anderen Ländern. Migranten aus mehr als 20 Herkunftsländern haben in dem Ort Zuflucht gefunden.

Begonnen hatte alles im Sommer 1998, als in der Nähe von Riace Marina, dem neuen Ortsteil an der Küste, ein Segelboot mit 218 kurdischen Flüchtlingen strandete. Der damalige Dorflehrer und Gründer des Vereins „Città Futura“ (Zukunftsstadt) Domenico Lucano setzte sich dafür ein, dass alle Kurden von Riace aufgenommen wurden.

Leer stehenden Wohnraum gab es genug. Wegen der massenhaften Emigration der Einheimischen nach Amerika, Argentinien, Kanada, Deutschland, der Schweiz und Norditalien hatte Riace seit dem Zweiten Weltkrieg mehr als die Hälfte seiner ursprünglich 3000 Einwohner verloren.

Lucano, den in Riace alle „Mimmo“ nennen, hat mit seiner Initiative auf zwei Notlagen gleichzeitig reagiert: Auf die prekäre Situation seines aussterbenden Dorfes, wo es Ende der 90er Jahre bereits keine einzige Trattoria mehr gab und die Schule mangels Kindern von der Schließung bedroht war, und auf das Leid der Flüchtlinge und Migranten, die von Krieg und Armut getrieben nach Europa kommen, um hier Schutz und ein besseres Leben zu suchen. „Dank der Flüchtlinge haben wir nicht nur unsere Schule erhalten können, sondern wir haben heute sogar wieder einen Fußballverein“, betonte Bürgermeister Lucano im Gespräch mit dem Tagesspiegel einige Wochen vor seiner Verhaftung.

Als die Kurden im Jahr 1998 kamen, telefonierte Lucano in der ganzen Welt herum, um die Auswanderer um Erlaubnis zu fragen, ob er ihre verlassenen Häuser den Flüchtlingen zur Verfügung stellen könne. Keiner hat abgelehnt.

In der Folge renovierten die neuen Bewohner die zum Teil schon halb verfallenen Häuser, angeleitet von einheimischen Handwerkern und finanziert mit einem Teil der 35Euro, die vom Innenministerium pro Flüchtling und Tag zur Verfügung gestellt werden. Daneben entstanden Werkstätten für Keramik, Schmuck, Stickereien und andere Kleinbetriebe. Sogar eine Trattoria gibt es in Riace nun wieder.

"Wir haben den Immigranten viel zu verdanken"

Das multikulturelle Zusammenleben in Riace funktioniert – und stößt auch unter den meisten Einheimischen auf Wohlwollen. Das zeigt sich schon daran, dass Lucano, der 2004 erstmals zum Bürgermeister gewählt worden war, inzwischen dreimal mit großer Stimmenmehrheit wiedergewählt worden ist.

„Wir haben den Immigranten viel zu verdanken, sie haben unsere kleine Stadt wieder mit Leben gefüllt“, betont Barmann Alessio. Die meisten jungen Einheimischen würden aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Kalabrien immer noch wegziehen; ohne die Flüchtlinge würde der Ort aussterben – wie so viele Bergdörfer in der armen und rückständigen Region im tiefen Süden.

Der 60-jährige Lucano hat Brüderlichkeit und Solidarität mit den Flüchtlingen zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Und die Verwirklichung seiner Utopie hat ihm weltweite Anerkennung beschert. Er hat diverse Preise erhalten, zum Beispiel den Preis der Stiftung für Freiheit und Menschenrechte in Bern und den Dresdener Friedenspreis. Der deutsche Regisseur Wim Wenders hat einen Film über Riace gedreht. Das US-Magazin „Fortune“ nahm Lucano in seine Liste der 50 einflussreichsten Personen der Welt auf. Das „Modell Riace“, das auf kleine Wohneinheiten statt auf große Flüchtlingszentren setzt, hat in vielen Ländern Schule gemacht. Nicht zuletzt auch in Italien.

Das Modellprojekt Riace

Das Vorzeigeprojekt ist in den letzten Jahren aber zunehmend unter Druck geraten. Die staatlichen Gelder flossen schon unter den sozialdemokratischen Regierungen von Matteo Renzi und dann von Paolo Gentiloni nur noch spärlich oder gar nicht mehr, die Staatsanwaltschaft von Locri eröffnete gegen den Bürgermeister sogar ein Ermittlungsverfahren wegen betrügerischer Verwendung öffentlicher Gelder und wegen Amtsmissbrauchs. Der wichtigste Grund für den Stimmungsumschwung war der Zustrom von Hunderttausenden Flüchtlingen in den vergangenen Jahren – und der Umstand, dass Italien damit von seinen europäischen Partnern alleine gelassen wurde.

Die Vorwürfe gegen Lucano haben sich als vollkommen haltlos erwiesen. Die vom Innenministerium nach Riace geschickten Inspektoren und Kommissare zeichneten in ihrem im Sommer veröffentlichten Bericht im Gegenteil ein geradezu euphorisches Bild des Modells Riace.

Mit seinem Engagement und seinen unzähligen Projekten habe der Bürgermeister vielleicht teilweise die Kontrolle über die verschiedenen Geldflüsse verloren, doch kein einziger Euro sei in undurchsichtige Kanäle geflossen. „Riace ist wichtig für ganz Kalabrien, denn es ist ein Beispiel für gute Praktiken, die geeignet sind, dass positiv über diese arme Region gesprochen wird“, heißt es abschließend im Bericht.

Der verhaftete Bürgermeister

Doch mit der Wahl der neuen Regierung aus der Fünf-Sterne-Protestbewegung und der rechtsradikalen Lega hat sich die Lage für das Modell Riace – und für alle anderen von Riace inspirierten Initiativen in Italien – radikal verändert. „Mimmo Lucano? Der interessiert mich nicht, absolut null. Der ist eine Null“, erklärte der neue Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini, kaum war er Anfang Juni vereidigt worden.

Das nach Salvini benannte Dekret zur Sicherheit und Immigration, das die Regierung im September verabschiedet hat, könnte gar das Aus für das Modell Riace bedeuten. Faktisch wird das im kalabrischen Bergdorf entwickelte System mit den kleinen Wohneinheiten abgeschafft.

Mit der Verhaftung des Bürgermeisters ist eine neue Eskalationsstufe erreicht worden. „Italien befindet sich auf dem Weg, ein autoritäres Regime zu werden“, erklärte der Anti-Mafia-Schriftsteller Roberto Saviano, der sich auch für die Rechte von Migranten einsetzt. Linke Gruppierungen kritisierten, mit dem äußerst fadenscheinig begründeten Hausarrest für Lucano würden „Menschlichkeit und Solidarität zu Verbrechen erklärt“. Lucano hatte sich noch vor seiner Verhaftung ebenfalls einen Reim auf die politischen Attacken gegen ihn und sein Dorf gemacht: Es sei klar, dass das Modell Riace in den Augen der neuen Regierung ein Ärgernis sei. „Denn es ist der Beweis, dass Integration eine Ressource sein kann.“

Ärmlichste Verhältnisse herrschen im griechischen Lager Moria.
Ärmlichste Verhältnisse herrschen im griechischen Lager Moria.

© Juan Carlos Lucas/ imago/Zuma Press

Beginnen die Herbststürme in Griechenland, findet auch das Schicksal der Flüchtlinge auf den Ägäisinseln wieder mehr Aufmerksamkeit. Fassungslos nehmen Griechen wie internationale Beobachter zur Kenntnis, dass die Behörden des Landes auch im dritten Jahr seit dem Flüchtlingsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei offenkundig nicht in der Lage sind, Menschen, die weiterhin in Zelten untergebracht sind, vor Überflutungen durch Regenfälle zu schützen.

So schlängelten sich jüngst nach dem Sturmtief „Zorbas“ Wasserbäche durch die Zeltdörfer im Lager Moria auf Lesbos. Ärzte ohne Grenzen veröffentlichten in den sozialen Medien das Bild von Frauen und Kindern, die dicht nebeneinanderliegend die Regennacht in einem Lagerhaus bei Moria verbrachten. Angesichts von EU-Mitteln in Höhe von wenigstens einer Milliarde Euro seit dem Beginn der Flüchtlingskrise seien die Zustände in Moria, dem größten der Internierungslager auf den Inseln, ein Unding, sagen viele.

"Eine nationale Schande"

Die renommierte Hilfsorganisation International Rescue Committee (IRC) wies in einem Bericht auch wieder auf das enorme Ausmaß an psychischen Erkrankungen unter den Lagerbewohnern hin. 30 Prozent der Patienten einer Beratungsstelle des IRC auf Lesbos hätten bereits einen Suizidversuch hinter sich, heißt es. Eine „nationale Schande“ nennt der Vorsitzende der konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia, Kyriakos Mitsotakis, das nach wie vor völlig überfüllte Lager. 7440 Insassen waren dieser Tage in Moria registriert – ausgelegt ist der sogenannte Hotspot der EU eigentlich für 3100 Menschen.

Mitsotakis’ Interesse an Moria ist nun umso größer geworden, als sich der Verteidigungsminister der Regierung, Panos Kammenos, gegen Vorwürfe wehren muss, ihm nahestehende Unternehmer hätten EU-Mittel für Flüchtlinge betrügerisch verwendet und Rechnungen für verschiedene Dienstleistungen in den Lagern aufgebläht. Die Verpflegung der Flüchtlinge und den Unterhalt der Camps hat die griechische Armee zum Teil übernommen oder an Unternehmen ausgelagert.

Dimitris Vitsas, der linke Migrationsminister, kam seinem Kabinettskollegen Kammenos, dem Koalitionspartner von der rechtspopulistischen Partei Anel (Unabhängige Griechen), zu Hilfe. Die Berichte über eine Komplizenschaft des Verteidigungsministers beim Missbrauch von EU-Mitteln überstiegen die Grenzen der Herabwürdigung, so formulierte es Vitsas in einem Interview mit der staatlichen griechischen Nachrichtenagentur ANA. Auch Regierungssprecher Dimitris Tsanakopoulos versuchte, die Affäre als lachhaft wegzuwischen.

Veruntreuung von Mitteln

Ausgelöst hat sie die kleine, der Nea Dimokratia nahestehende Zeitung „Fileleftheros“ mit einem Enthüllungsstück, das sie nun fast täglich fortschreibt. Der bullige Verteidigungsminister goss noch Öl ins Feuer, indem er auf einer Athener Polizeiwache sogleich Anzeige gegen Herausgeber, Chefredakteur und Reporterin der Zeitung erstattete.

Dem bei Verleumdungsklagen strikten griechischen Gesetz folgend wurden die drei Journalisten festgenommen und verbrachten eine Nacht in Polizeigewahrsam. Doch die EU-Behörde zur Betrugsbekämpfung (Olaf) bestätigte mittlerweile, dass sie Vorwürfe über Unregelmäßigkeiten und Veruntreuung von Mitteln für die Flüchtlinge in Griechenland untersuche – und zwar bereits seit vergangenem Jahr.

„Fileleftheros“ interviewte auch den Leiter der politischen Abteilung im Migrationsministerium. Es sei Zeit für die Staatsanwalt, einzugreifen, sagte dort Andreas Iliopoulos, ein ehemaliger Armeegeneral. Die Übersicht über die Verwendung der EU-Mittel sei verloren gegangen, im Moment herrsche Chaos. Vergangene Woche musste Iliopoulos seinen Hut nehmen.

Für den Zeitraum von 2014 bis 2020 hat die EU-Kommission im Rahmen eines nationalen Hilfsprogramms für Griechenland 561 Millionen Euro für das Management des Flüchtlingsstroms, insbesondere für Asylverfahren und den Grenzschutz, bereitgestellt. Weitere 413 Millionen Euro wurden als Notmaßnahmen projektiert. Sie gingen auch an Hilfsorganisationen in Griechenland; So erhielt das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR im Juli weitere 20 Millionen Euro zum Ausbau von Flüchtlingslagern.

Flucht vor Erdogan

Knapp 19.000 Migranten harren in den Lagern auf den griechischen Inseln vor der türkischen Küste aus. Die Regierung hat nun wieder mit der Verlegung von Flüchtlingen auf das Festland begonnen. Nach wie vor wird jeden Monat nur ein Dutzend abgelehnter Asylbewerber von den Inseln in die Türkei zurückgebracht.

Während bisher ungefähr ebenso viele Flüchtlinge auf den Inseln anlandeten wie im Vorjahr – knapp 24000 sind es nun dem UNHCR zufolge –, steigt die Zahl der Menschen, die über den Grenzfluss Evros von der Türkei nach Griechenland flüchten, immer weiter. 12.000 kamen bisher in diesem Jahr über den Fluss, mehr als doppelt so viele wie 2017. Ein großer Teil von ihnen sind nun Türken, die aus politischen Gründen vor dem Regime Tayyip Erdogans flüchten.

Kampf gegen Langeweile. Ein Junge malt in einem bosnischen Camp.
Kampf gegen Langeweile. Ein Junge malt in einem bosnischen Camp.

© Elvis Barukcic/AFP

Die nächtliche Regenflut hat nichts verschont. Schweigsam bergen übermüdete Lagerbewohner klatschnasse Decken, mit Schlamm überzogene Kleidung und verdorbene Lebensmittel aus Pfützen und Zeltruinen. Auf der aufgeweichten Flusswiese im Nordosten der bosnischen Grenzstadt Velika Kladusa hämmern schwitzende Männer Lattenverschläge, um sich und ihre Habseligkeiten mit darübergezogenen Plastikplanen gegen die nächsten Niederschläge zu wappnen.

Sein Zelt habe „komplett unter Wasser“ gestanden, berichtet der 24-jährige Omar aus dem südmarokkanischen Guelmim. „Es ist ein Chaos. Hier gibt es nichts – und es funktioniert nichts.“

Seit mehr als einem Jahr ist der Student auf einem weiten Balkanumweg in Richtung seines Wunschziels Spanien unterwegs. Erst am Vortag hat er wieder mal versucht, in das nahe Kroatien zu gelangen, sagt Omar. „Aber es ist einfach zu viel Polizei an der Grenze. Wenn die Kroaten dich erwischen, schlagen sie dich, nehmen dir das Geld ab, zerbrechen die SIM-Karte des Telefons – und bringen dich wieder nach Bosnien zurück.“

7000 registrierte Flüchtlinge

Der Nordwestzipfel des Vielvölkerstaats ist zur neuen Sackgasse auf der sich ständig ändernden Balkanroute geworden. Seit Jahresbeginn sollen mehr als 7000 Flüchtlinge in Bosnien und Herzegowina registriert worden sein. Gut die Hälfte von ihnen ist im grenznahen Kanton Una-Sana gestrandet. Allein in Bihac wird deren Zahl auf fast 3000 geschätzt.

In Bosniens am weitesten westlich gelegener Kommune Velika Kladusa sind es rund 500 Flüchtlinge, die in dem überschwemmten Lager auf bessere Zeiten hoffen – und auf die Überwindung von Sloweniens nur 70 Kilometer entfernter Schengengrenze. Froh sei niemand über die unerwünschten Grenzgänger, berichtet eine blonde Mittfünfzigerin. „Es gibt unter den Flüchtlingen wunderbare Menschen – aber eben auch problematische Leute.“

Zwar würden Anwohner Essen und Kleidung ins Lager bringen. „Wir Bosnier haben im Krieg selbst erfahren, was es bedeutet, das eigene Heim verlassen und fliehen zu müssen.“ Doch viele seien gleichfalls durch Einbrüche und den Tod eines im Juni erstochenen Marokkaners beunruhigt. „Es sind einfach sehr viele Menschen. Und es werden immer mehr. Sie kommen zu uns, weil wir nahe an der Grenze liegen.“

Einfach Pech habe er gehabt, sagt der Pakistani Sajjad seufzend, während er mit einem Wassergraben sein Zelt für das nächste Unwetter zu sichern versucht. Als er vor drei Monaten nach Velika Kladusa kam, sei die Route noch kaum genutzt worden. „Fast alle kamen durch.“

Über die Grenze abgeschoben

Aber kurz vor Sloweniens Grenze habe er sich damals in Kroatien einen Knöchelbruch zugezogen. „Ich wurde nach Bosnien abgeschoben und hatte zwei Monate Gips.“ Inzwischen sei sein Fuß zwar wieder belastbar. Doch an der Grenze gebe es kaum mehr ein Durchkommen, erzählt der 25-Jährige. Fünf Mal sei er bereits von kroatischen Grenzern aufgegriffen, geschlagen und abgeschoben worden. Einmal habe er es zwar selbst nach Slowenien geschafft, „Aber auch die Slowenen bringen dich seit einigen Wochen nicht mehr ins Lager, sondern schieben dich sofort zurück über die Grenze ab.“

Vier Dixi-Toiletten und zwei Duschverschläge für 500 Menschen – kopfschüttelnd spricht der Beobachter einer UN-Organisation von „absolut unzumutbaren und unhygienischen Bedingungen“. Es gebe für die Bewohner des Lagers weder vom Staat noch von den Vereinten Nationen oder der EU irgendeine Hilfe, klagt der Mann, der seinen Namen und Arbeitgeber nicht nennen will. Im Herbst werde die ohnehin regelmäßig überflutete Wiese völlig unter Wasser stehen. „Es ist eine Katastrophe. Wir behandeln die Leute wie Tiere, überlassen sie einfach sich selbst.“

Von einem „neuen Idomeni“ spricht die slowenische Zeitung „Delo“. Im Gegensatz zu dem griechischen Grenzort, wo nach der Abriegelung der Balkanroute 2016 zeitweise bis zu 14000 Menschen hausten, ist allerdings von großen Hilfsorganisationen in Velika Kladusa nichts zu sehen. Zur Hilfe sind die EU und UN im Grenzgebiet zu Kroatien nicht bereit – und Bosniens dysfunktionaler Staat kaum fähig. Tausende Gestrandete sind in Westbosnien weitgehend sich selbst überlassen und nicht zuletzt auf die Hilfe der Bevölkerung angewiesen.

Die Last der Bürger

In einem Brief an die bosnische Regierung, die Europäische Union und die UN-Flüchtlingsorganisationen warnen lokale Hilfsgruppen vor einer „humanitären Katastrophe“. Der Staat bürde die Verantwortung für die Flüchtlinge „seinen verarmten und ausgelaugten Bürgern“ auf. Die UN-Organisationen würden sich ihrer Verantwortung entziehen, obwohl sie ihr Mandat zur Hilfe verpflichte. Der tatenlosen EU komme die Lage offenbar zupass. „Die Weigerung, irgendwelche Verantwortung zu übernehmen, hat dazu geführt, dass Tausende Menschen unter freiem Himmel oder in dafür völlig ungeeigneten Gebäuden übernachten.“

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