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Flüchtling hilft Flüchtling - in der Erstaufnahmestelle Ellwangen in Baden-Württemberg.

© Stefan Puchner/dpa

Flüchtlinge in Deutschland: Wie viele, wie teuer, welche Folgen?

Offiziell rechnet die Bundesregierung mit 800.000 Flüchtlingen in diesem Jahr. Vermutlich werden es aber mehr werden. Kann Deutschland die Herausforderung meistern?

Seit Monaten wird Deutschland von nur einem Thema beherrscht: Die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen, steigt und steigt. Die Diskussion in der Öffentlichkeit wird heftiger, die Polarisierung nimmt zu. Mittlerweile scheint sich die Flüchtlingskrise gar zu einer Regierungskrise auszuweiten. Zeit, einmal einen Blick auf einige Fakten zu werfen bei besonders umstrittenen Fragen. Um so die drängendste Frage des Jahres beantworten zu helfen: Schaffen wir das?

Wie viele Flüchtlinge und Asylbewerber kommen in diesem Jahr – und woher kommen sie?

Ganz aktuelle Zahlen, die bereits den Oktober einschließen, gibt es offiziell noch nicht. Das Bundesinnenministerium (BMI) wird sie erst in den nächsten Tagen bekannt geben. Die offizielle Schätzung der Bundesregierung für 2015 liegt seit dem Sommer bei 800 000 Asylsuchenden. Laut BMI waren es bis Ende September 577.000 Menschen, die Einlass begehrten. Im September drängten mindestens 164 000 über die Grenzen. Im Oktober dürften es eher noch mehr gewesen sein, sodass die offizielle Schätzung möglicherweise übertroffen wird. Das hängt auch davon ab, wie stark die beginnende Kälte zu einem Rückgang führt.

Die größte Gruppe sind die Syrer, die direkt aus dem Bürgerkriegsland fliehen oder aus Flüchtlingslagern kommen. Unter allen registrierten Flüchtlingen – und auch unter denen, die dann tatsächlich einen Antrag auf Asyl stellen – machten sie übers Jahr gesehen mit knapp 200000 ein gutes Drittel aus. Im September allein waren es dagegen schon 50 Prozent, weil ihre Zahl deutlich stieg und die der anderen (vor allem aus den Balkan-Ländern) zurückging. Die zweitgrößte Gruppe waren Albaner (gut 66 000 bis September), danach Afghanen (51.600), dann Iraker (knapp 47.000), Kosovaren (gut 32.000). Dazu kommen Menschen aus Serbien, Mazedonien und Bosnien (darunter viele Roma), zudem Eritreer und Pakistaner.

Von all diesen Gruppen haben nur Syrer und Iraker eine fast hundertprozentige Chance, als Flüchtlinge anerkannt zu werden. Eine relativ hohe Anerkennungsquote haben mit 83 Prozent auch Eritreer und mit 44 Prozent Afghanen. Dagegen ist nur jeder zehnte Flüchtling aus Pakistan erfolgreich. Bei den Ankommenden vom Balkan ist die Schutzquote dagegen praktisch bei null.

Wie hoch sind die Kosten?

Dazu hat für 2015 gerade der Landkreistag eine Berechnung vorgelegt. Demnach liegen die Gesamtaufwendungen für Flüchtlinge in diesem Jahr bei 15 Milliarden Euro. Das entspricht ungefähr 1,9 Prozent der Gesamtausgaben von Bund, Ländern und Kommunen. Das ist keineswegs wenig, aber bei einem Überschuss im Gesamthaushalt von mehr als zehn Milliarden Euro ist das verkraftbar. Für 2016 müssen allerdings deutlich höhere Summen eingeplant werden, seriös lässt sich jetzt aber noch nicht sagen, wie viel genau. Auch ob das Ziel der schwarzen Null noch erreichbar ist, ist offen.

Insbesondere werden die Zahlungen aus dem Topf von Sozialministerin Andrea Nahles wachsen, denn anerkannte Flüchtlinge, die keinen Job haben, bekommen eine Unterstützung auf Sozialhilfeniveau. Nahles rechnet mit bis zu 460 000 neuen Empfängern im kommenden Jahr. In den ersten 15 Monaten allerdings sind die Leistungen geringer: Es gibt neben Sachleistungen ein Taschengeld, wobei der Bund die Länder dazu drängt, das Sachleistungsprinzip auszuweiten. Eine vierköpfige Flüchtlingsfamilie kommt bisher auf etwa 440 Euro im Monat.

Belasten Flüchtlinge den Arbeitsmarkt?

Ein heiß diskutiertes Thema: „Nehmen Flüchtlinge den Deutschen die Arbeitsplätze weg?“ Zunächst lautet die Antwort: Nein, das können sie gar nicht. Denn in den ersten drei Monaten herrscht ein Arbeitsverbot, danach gilt ein Jahr lang, das Prinzip, dass ein Flüchtling einen Job nur annehmen darf, wenn kein Deutscher zur Verfügung steht. Arbeitgeberverbände wünschen sich eine Verkürzung der Fristen, sie würden gerne Flüchtlinge einstellen, die genügend qualifiziert sind. Zudem entlasten arbeitende Flüchtlinge die Sozialkassen, sie zahlen Steuern.

Allerdings reichen die Kenntnisse und Erfahrungen vieler Flüchtlinge für den deutschen Arbeitsmarkt nicht aus, sie müssen nachgeschult werden, außerdem ausreichend Deutschkenntnisse erwerben. Zwar kann es durchaus sein, dass gerade im Niedriglohnsektor viele Flüchtlinge Arbeit suchen, doch auch dort ist es wahrscheinlicher, dass sie Stellen besetzen, für die in der deutschen Bevölkerung niemand da ist – sei es aus Mangel an Qualifikation, Bereitschaft oder regionaler Distanz. Allerdings gibt es wenig Erfahrungen mit Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. Fachleute nehmen daher an, dass sie länger dauert als bei anderen Einwanderern. Bei der Hälfte wird es nach einer Schätzung des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung fünf Jahre dauern, bis sie eine Stelle gefunden haben. Bei anderen deutlich schneller. Viele werden auch gar keine Arbeit bekommen.

Wie hoch ist die Kriminalität unter Asylbewerbern?

Diese Frage treibt viele Deutsche um. Lange hat es dazu keine Aussagen der Sicherheitsbehörden gegeben. Doch nun hat der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, einiges dazu gesagt, was Klarheit schafft. Demnach sind unter den Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak nur sehr wenige mit kriminellen Handlungen, etwa Diebstählen oder Körperverletzungen, aufgefallen. Die durchaus zu beobachtende Häufung von Straftaten rund um Flüchtlingseinrichtungen geht nach den Worten von Münch vor allem auf junge Männer aus Albanien, dem Kosovo und osteuropäischen Staaten zurück.

Eine besonders auffällige Gruppe sind Georgier, die das Asylverfahren nutzen, um in Gruppen nach Deutschland zu kommen und hier auch bandenmäßig Einbrüche zu begehen. Insgesamt erwartet Münch mehr Straftaten in der Jahresstatistik – allein schon aus Zahlengründen. Wenn man eine Million Menschen mehr im Land habe, dann steige die Kriminalität entsprechend, sagte er dem „Focus“. Ob sie auch überproportional steigt, bleibt abzuwarten.

Im Übrigen richten sich viele dieser Straftaten gegen andere Flüchtlinge, etwa Handydiebstähle. Zudem ist ein Teil der Verfahren gegen Ausländer wegen Verstößen gegen das Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht anhängig, es sind also Taten, die Deutsche gar nicht begehen können. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter hat festgestellt, dass bei Sexualstraftaten gerade Asylbewerber nicht auffälliger sind als Deutsche.

Wer bekommt Asyl, wer ist Flüchtling, wer ist geduldet?

Deutschland hat sich der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 angeschlossen. Das Asylrecht ist in Deutschland aber auch ein in der Verfassung festgeschriebenes Grundrecht. „Politisch Verfolgte genießen Asyl“ – so heißt es im Artikel 16 des Grundgesetzes. Aber wer gilt als politisch verfolgt? Das Gesetz und das Bundesamt für Flüchtlinge definieren politische Verfolgung dann als solche, „wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen“.

Berücksichtigt wird dabei aber grundsätzlich nur Verfolgung, die vom Staat ausgeht. Ausnahmen gelten laut Definition, wenn die nichtstaatliche Verfolgung dem Staat zuzurechnen ist oder der nichtstaatliche Verfolger selbst an die Stelle des Staates getreten ist (quasistaatliche Verfolgung). Sogenannte „allgemeine Notsituationen“ wie Armut, Bürgerkriege, Naturkatastrophen oder Perspektivlosigkeit sind als Gründe für eine Asylgewährung grundsätzlich ausgeschlossen – damit entfällt politisches Asyl für die allermeisten Flüchtlinge, die gerade nach Deutschland kommen.

Gerade Syrer und Iraker aber werden trotzdem als Flüchtlinge anerkannt. Sie erfüllen, wie auch viele Eritreer, in der Regel aus Sicht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach dem Asylverfahrensgesetz – auch wenn politische Verfolgung nicht im Einzelfall nachgewiesen wird. Anerkannte Flüchtlinge erhalten einen Aufenthaltstitel für die Dauer von zunächst drei Jahren. Familiennachzug ist möglich, Integrationskurse werden angeboten.

Es gibt keine Verpflichtung, in der Asylunterkunft zu wohnen, und gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie haben Anspruch auf Sozialhilfe. Eine Duldung wiederum ist eine „vorübergehende Aussetzung“ der Abschiebung – trotz abgelehntem Asylantrag. Dies kann unterschiedliche Gründe haben wie zum Beispiel schwere gesundheitliche Probleme. Nach 18 Monaten Duldung ohne Abschiebung gibt es einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis.

Was sind sichere Drittstaaten und Herkunftsländer?

Bei einer Einreise über einen sicheren Drittstaat ist eine Anerkennung als Asylberechtigter ausgeschlossen. Dazu gehören alle EU-Staaten, die Schweiz und Norwegen. In manche Staaten wird aber de facto trotzdem nicht abgeschoben, weil es dort eine schlechte Versorgung und Unterbringung gibt – beispielsweise Griechenland oder Ungarn. Die Anträge von Menschen aus sicheren Herkunftsländern werden in schnelleren Verfahren bearbeitet. Sie haben so gut wie keine Chance auf Asyl, da ihre Heimat als sicher eingestuft wird. Dazu gehören neben allen EU-Staaten auch Albanien, Bosnien-Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal, Serbien. Laufende Klagen gegen die Entscheidung sind kein Nichtabschiebungsgrund.

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