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Bei dem Koalitionsstreit geht es um die Frage, wie viele Jahre vergehen müssen, bevor Flüchtlinge aus Syrien ihre Familie nachholen dürfen.

© Patrick Pleul/dpa

Flüchtlinge in Deutschland: Koalition ringt um Kompromiss beim Familiennachzug

Die Parteichefs der Koalition beraten am Donnerstag über das Asylpaket II. Hauptstreitpunkt ist der Familiennachzug. Vor allem die CSU sperrt sich.

Von Robert Birnbaum

Würde man Andreas Scheuer beim Wort nehmen, könnten Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel einen Termin aus ihrem Kalender gleich wieder streichen. „Wir wollen keinen Kompromiss vom Kompromiss!“, verkündete der CSU-Generalsekretär am Mittwoch in Berlin. Die Rede ist vom Familiennachzug für Flüchtlinge.

Weil sich die Koalitionäre auf dieses Detail nicht einigen konnten, hängt ihr Asylpaket II seit Anfang November in der Warteschleife. Am Donnerstag wollen die Parteichefs von CDU, CSU und SPD versuchen, das Problem zu lösen. Zwischen Merkel und Gabriel gibt es inzwischen eine Absprache, wie es gehen könnte. Doch Seehofer mag nicht allzu schnell einschlagen.

Einen Schritt vor, einen Schritt zurück

Um den Streit zu verstehen, muss man noch einmal auf jenen 5. November zurückblenden, an dem sich die drei Parteichefs im Kanzleramt auf ein sechsseitiges Maßnahmenpapier verständigten. Damals zogen zehntausende Flüchtlinge über die Grenzen, rasches Handeln schien zumal aus Münchner Sicht dringlich. In der Runde einigte man sich unter anderem darauf, dass Flüchtlinge mit sogenanntem subsidiärem Schutzstatus für zwei Jahre kein Anrecht mehr auf Familiennachzug haben sollen.

Das war eine Rolle rückwärts, denn für diesen Personenkreis war ein Familiennachzug überhaupt erst seit August 2015 möglich. Das ging auf einen Koalitionsbeschluss weit vor Beginn der Massenwanderung im Frühjahr zurück. Gabriel stimmte in der November-Runde zu, dass man zum alten Recht zurückkehrt. Allerdings gingen alle Beteiligten zu dem Zeitpunkt ausdrücklich davon aus, dass nur eine sehr kleine Gruppe von wenigen tausend Menschen betroffen sein würde.

Seit dem 1. Januar gibt es wieder eine Einzelfallprüfung

Für diese Annahme gab es gute Gründe. Der subsidiäre Schutzstatus ist ein Instrument der Genfer Flüchtlingskonvention. Wer von einem Bürgerkrieg konkret betroffen ist, wessen Haus bombardiert und wessen Kinder beschossen worden sind, hat nach diesem Völkerrechtsvertrag Anrecht auf vollen Schutz. Damit ist automatisch ein Recht verbunden, auch die Familie nachzuholen. Wer aus dem Kriegsland stammt, aber nicht direkt in der Kampfzone war, hat nur Anspruch auf den subsidiären Schutz. Weil es aber aufwendig und zeitraubend sein kann, das genaue Schicksal von Flüchtlingen zu prüfen, hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seit Sommer alle Mitarbeiter angewiesen, Menschen aus Syrien pauschal den Vollschutz zu gewähren.

Einen Tag nach dem Koalitionskompromiss ordnete Innenminister Thomas de Maizière an, auch bei Syrern künftig wieder genau hinzuschauen. Die Weisung war vor allem eine Reaktion auf die Kritik am Fragebogen-Verfahren, bei dem die BAMF-Mitarbeiter Flüchtlinge nicht einmal zu Gesicht bekamen. Aber als Nebeneffekt war klar: Es würde künftig wieder Syrer mit Subsidiär-Status geben. Gabriel sah die Vertragsgrundlage hinfällig, Kanzleramtschef Peter Altmaier pfiff de Maizière zurück, das Ergebnis war allgemeine Missstimmung.

Seit 1. Januar gilt die Einzelfallprüfung trotzdem. Merkel und Gabriel haben im Vorfeld des Dreier-Treffens einen Kompromissvorschlag ausgetüftelt. Danach dürften „subsidiäre“ Syrer ihre Familien nicht erst in zwei Jahren, sondern schon nach einem Jahr nachholen. Das fiele mit dem Moment zusammen, an dem dieser Status ausläuft und verlängert werden kann, bevor dann nach weiteren zwei Jahren ein Daueraufenthalt gewährt wird. Wie viele Menschen davon betroffen wären, ist ein bisschen unklar – in Koalitionskreisen ist von schätzungsweise einem Fünftel der Syrer die Rede.

Seehofer hat sich Bedenkzeit ausbedungen. Sein General füllt die mit Bedenken. „Es gab am 5. November zwischen den drei Parteivorsitzenden eine schriftliche Einigung“, sagt Scheuer. „Das war bereits der Kompromiss.“ Davon, den Streitpunkt aus dem Paket auszugliedern und den gesamten Rest jetzt wenigstens rasch zu verabschieden, halten sie in der CSU nichts. Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt hat schon am Dienstag angemerkt, das sei keine gute Idee, weil damit der Druck zur Einigung weg wäre.

Keine „Maximaleskalation“

Was sie in der CSU von der Idee halten, in dem Asylpaket II auf die Schnelle noch die Einstufung nordafrikanischer Staaten zu sicheren Herkunftsländern unterzubringen, ist nicht ganz klar. Klar ist aber, dass das Paket damit zustimmungspflichtig im Bundesrat würde und man Grüne mit ins Boot holen müsste – konkret vor allem den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Praktischerweise ist der am Donnerstag zum Ministerpräsidententreffen ebenfalls in Berlin. Die Gelegenheit, mit Kretschmann selbst zu sprechen, mag bei Seehofer dazu beigetragen haben, sich noch nicht festzulegen.

Gelegenheit bietet der Berlin-Termin dem bayerischen Ministerpräsidenten übrigens auch, seine Klageandrohung der Kanzlerin im Original und persönlich zu übergeben – per Fax liegt sie im Kanzleramt seit Dienstag ja schon vor. Was den Sinn und Zweck dieser Aktion angeht, klingen die Töne aus Bayern inzwischen ein wenig relativierend. „Wir wollen weder die Koalition platzen lassen, noch sind wir auf eine Klage scharf“, hat Innenminister Joachim Herrmann im ARD- „Nachtmagazin“ versichert. Auch Scheuer sagt, es gehe nicht um „Maximaleskalation“. Aber Merkel müsse ihren Kurs korrigieren, denn nur die Kanzlerin könne ein Stoppsignal an die Welt senden: „Sie hat die Richtlinienkompetenz.“

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