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Die meisten Flüchtlingskinder sind sehr motiviert und wollen schnell Deutsch lernen.

© Harald Tittel/dpa

Flüchtlinge in Deutschland: Endlich in die Schule

Die Bundesländer verfahren sehr unterschiedlich mit Flüchtlingskindern. Die sind zwar sehr motiviert, aber überall fehlen Lehrkräfte und Materialen.

„Ich bin zwölf Jahre alt und komme aus Afghanistan.“ Dina ist hochkonzentriert, während sie das sagt. Erst seit drei Tagen besucht sie die Anne-Frank-Schule in Mainz. Auch ihre Schwester Zuhal, vierzehn Jahre alt, nimmt den Unterricht sehr ernst. Die beiden Mädchen sitzen in der Deutschstunde, sie melden sich bei jeder Frage der Lehrerin, schreiben eifrig jedes Wort von der Tafel ab. „Mir gefällt es in der Schule“, lächelt Zuhal. Sie spricht wenig, und mit starkem Akzent. Aber fehlerfrei.

Es sind fünfzehn Kinder, die hier unterrichtet werden, der jüngste Schüler ist elf, knapp sechzehn ist die älteste. Eine altersgemischte Gruppe, aus verschiedenen Ländern, mit unterschiedlichen Voraussetzungen. Und das ist das größte Problem: „Es gibt Kinder, die haben Schulerfahrung, sprechend fließend englisch und standen in ihren Heimatländern vor dem Abitur. Dann gibt es Gleichaltrige, die nicht lesen und schreiben können. Das sind Kinder, die noch nie eine Schule besucht haben.“ Für Ralf Früholz, Leiter der Anne-Frank-Schule, sind diese Kinder am schwierigsten zu beschulen: Sie müssen deutsch lernen und gleichzeitig alphabetisiert werden. Dazu kommt noch, dass viele dieser Flüchtlingskinder schwer traumatisiert sind. „Sie alle müssen von uns unterrichtet, ausgebildet und integriert werden.“ Keine leichte Aufgabe, vor der die Schulen in Deutschland stehen.

Große Unterschiede bei der Schulpflicht

Es fehlt schon an Unterrichtsmaterialien – vor allem für die Analphabeten: „Wir haben zwar Materialien für deutschsprachig Aufgewachsene“, sagt Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Kölner Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. Für Analphabeten mit anderer Muttersprache müsse geeignetes Material aber erst noch entwickelt werden. Wie man ältere Kinder in einer Sprache, die sie nicht beherrschen, alphabetisieren kann, hält er für eine der größten Herausforderungen.

Es ist nicht die einzige, sein Institut hat in der vergangenen Woche dazu eine Untersuchung vorgelegt. Danach ist das deutsche Schulsystem nicht genügend auf die neuen Schüler vorbereitet. Die Bundesländer präsentieren sich schon bei der Schulpflicht unterschiedlich. So besteht nur im Saarland und in Berlin von Anfang an für Kinder die Pflicht, eine Schule zu besuchen – auch ohne Aufenthaltsstatus und schon vor Beginn des Asylverfahrens. In anderen Bundesländern wird dieses Verfahren aber abgewartet – da kann es Monate dauern, bis ein Kind in die Schule geht. Kinder so lange vom Unterricht auszuschließen, halten die Kölner Pädagogen für problematisch: Zwischen Ankunft und Schulbesuch dürften auf keinen Fall mehr als drei Monate liegen.

Thema Zuwanderung wurde zu lange vernachlässigt

Auch sonst verfahren die Länder laut Studienergebnissen sehr unterschiedlich: Da gibt es den integrativen Unterricht mit Sprachförderung, bei dem die zugewanderten Kinder zusammen mit den deutschsprachigen Schülern unterrichtet werden, da gibt es parallel geführte Flüchtlingsklassen, für die unterschiedliche Begriffe wie Willkommensklassen oder Vorkurse in Umlauf sind. Empfehlungen, welches Modell am besten ist, kann Becker-Mrotzek nicht aussprechen: „Es gibt keinen Königsweg, es gibt da viel zu wenig Erfahrung.“ Der Wissenschaftler sieht großen Handlungsbedarf, es räche sich, dass man das Thema Zuwanderung jahrelang vernachlässigt habe. Es fehlten Standards, die den Schulen Orientierung bieten.

Dass dringend etwas geschehen muss, sehen auch die Kultusminister der Bundesländer: Sie rechnen mit rund 325.000 neuen Schülern, 20.000 Lehrer würden dafür benötigt. Woher will man die nehmen? Während Hessen Briefe an pensionierte Lehrer verschickt, schlägt die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) vor, auch auf Quereinsteiger zurückzugreifen, besonders um die dringend nötigen Deutschkurse zu gewährleisten. Entsprechende Fortbildungsangebote müssten an den Universitäten ausgebaut werden.
In einer guten Bildung und Ausbildung der jungen Zuwanderer sieht Becker-Mrotzek eine große Chance für Deutschland – aber eben auch die Gefahr, wenn man diese Aufgabe vernachlässigt.

An der Motivation der Kinder scheitert die Integration nicht

„Das können und müssen wir uns nicht leisten.“ An den Kindern werde die Integration jedenfalls nicht scheitern, meint auch Schulleiter Ralf Früholz: Alle, die er kennengelernt habe, seien hochmotiviert, froh hier zu sein, bereit etwas zu lernen und etwas zu leisten. Wie Dina und Zuhal. Die büffeln jetzt nicht nur Deutsch, sie strengen sich auch in den anderen Fächern wie Mathematik sehr an. Zuhal will Ärztin werden, und Dina Ingenieurin. „Wir schaffen das!“ sagt Dina. Noch mit starkem Akzent. Aber fehlerfrei.

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