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Unbegleitete Minderjährige in einem Heim in Karlsruhe.

© Uli Deck/dpa

Flüchtlinge in Deutschland: Die Tür zum Familiennachzug ist nur einen Spalt weit offen

Subsidiär Geschützte dürfen wieder ihre engsten Angehörigen nachholen. Allerdings mit vielen Einschränkungen. Viele werden Geduld brauchen.

An diesem Mittwoch ist es so weit, dann können Flüchtlinge wieder hoffen, ihre Familien nach Deutschland zu holen. Zwei Jahre war das nicht möglich. Seit März 2016 hatte die schwarz-rote Bundesregierung den Familiennachzug für Menschen mit dem geringeren, dem subsidiären Schutzstatus für zunächst zwei Jahre ausgesetzt. Die Regelung war Teil des sogenannten Asylpakets II. Im Februar 2018 verlängerten SPD und Union dies bis einschließlich Juli und versprachen bis dahin ein Gesetz zur Neuregelung.

Die gibt es in Form des „Familiennachzugsneuregelungsgesetzes“. Es stellt allerdings nicht den Zustand wieder her, der bis 2016 galt. Bis dahin hatten anerkannte Flüchtlinge, auch die mit subsidiärem Schutz, das Recht, die Mitglieder der Kernfamilie nachzuholen, also Ehepartner und minderjährige Kinder. Das ist jetzt deutlich eingeschränkt.

Die größte Hürde: Der Nachzug ist insgesamt auf 1000 Menschen pro Monat beschränkt. Das heißt, er kann niemals über dieser Zahl, aber durchaus darunter liegen. Auch dann, wenn es bürokratische Schwierigkeiten gibt, die etwa die deutschen Behörden zu verantworten hätten. Lediglich für die Anlaufphase der ersten fünf Monate, also bis Jahresende, gilt eine Gesamtzahl von 5000 Menschen, sodass das 1000er-Kontingent, wenn es in einem Monat nicht ausgeschöpft wurde, im nächsten höher wäre.

Die Beschränkung wird also für viele Familien, die nun das Recht auf ein Zusammenleben mit ihrer Familie in Deutschland hätten, weiteres längeres Warten bedeuten. Das Bundesinnenministerium gibt es selbst zu: „Aufgrund dieser zahlenmäßigen Beschränkung werden nicht alle Familienmitglieder sofort nachziehen können“, schrieb vor zwei Wochen die zuständige Abteilungsleiterin in einem Informationsbrief an die zuständigen Länderministerien. Dieser Umstand war bereits in der Debatte um das Gesetz ein wesentlicher Kritikpunkt. Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen verwiesen darauf, dass etliche Familien subsidiär Geschützter ohnehin schon länger getrennt sind als die zwei Jahre, die der Bundestag 2016 beschloss.

UN-Flüchtlingshilfswerk warnt vor Bürokratie und wenig Transparenz

Ein weiterer Hauptpunkt der Kritik: Aus einem Rechtsanspruch der oder des Geflüchteten ist durch das Gesetz eine Kann-Regelung geworden – Familiennachzug wird nur noch „aus humanitären Gründen“ gewährt. Er ist an Bedingungen geknüpft. Ehepaare müssen nachweisen, dass sie bereits vor ihrer Flucht geheiratet haben, die nachziehenden Verwandten dürfen nicht als „Gefährder“ gelten. Wer Frau, Mann oder seine minderjährigen Kinder nachkommen lassen will, darf außerdem kein Zeichen gegeben haben, dass er oder sie demnächst weiterziehen möchte. Der Nachzug von Kindern zu ihren bereits in Deutschland lebenden Geschwistern ist grundsätzlich ausgeschlossen.

Bei der Auswahl, wer kommen darf, soll laut Gesetz das Kindeswohl besonders berücksichtigt werden, ebenso wie „Integrationsaspekte“. Geprüft wird, ob die bereits in Deutschland lebenden Verwandten ihren Lebensunterhalt teils oder ganz selbst sichern können. Das letzte Wort hat das Bundesverwaltungsamt, ein Neuling in Asylfragen.

Wegen der vielen Einzelvorschriften fürchtet die Opposition im Bundestag, aber auch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR Probleme mit der Umsetzung des Gesetzes. UNHCR warnte am Tag vor dem Inkrafttreten vor „intransparenten und bürokratisierten Verfahren“. Es bleibe auch problematisch, dass immer noch nicht durchsichtig sei, wie stark die einzelnen Auswahlkriterien gewichtet würden. Der UNHCR-Repräsentant in Deutschland, Dominik Bartsch, warnte, dass auch dieser im Grunde sichere Weg nach Europa nicht die nötige Sicherheit bringe, weil er so lange dauere. „Dass sich Angehörige wieder in die Hände von Schleppern begeben, um schneller in Sicherheit zu gelangen, muss um jeden Preis vermieden werden“, erklärte er die einzelnen Auswahlkriterien.

"Schutz von Ehe und Familie wird Gnadenrecht"

Wann tatsächlich die ersten Angehörigen ins Land dürfen, weiß man auch im Bundesinnenministerium noch nicht recht. Dafür gibt es mehrere Gründe. Das Verfahren ist langwierig. Erstens müssen die Anträge der betroffenen Angehörigen vollständig sein. Dann werden in sie in zwei Stufen geprüft, zunächst von den deutschen Botschaften in den Herkunftsländern, dann von den Ausländerbehörden in Deutschland. Es folgt die Auswahl der Antragstellerinnen im Bundesverwaltungsamt. Danach gehen die Vorgänge wieder an die deutschen Auslandsvertretungen zurück, die Visa für alle ausstellen, die kommen dürfen. Haben sie sie, müssen sie innerhalb von drei Monaten zu ihren Verwandten in Deutschland reisen.

Aktuell versucht das Auswärtige Amt gerade, alle zu kontaktieren, die bereits früher einen Antrag auf Nachzug zu ihren Lieben in Deutschland gestellt hatten – „viele“ der mehreren tausend Betroffenen habe man nicht mehr erreichen können, hieß es von dort. Weltweit liegen nach AA-Angaben 34.000 Terminwünsche wegen eines Visums zum Familiennachzug vor.

Die Grünen erneuerten am Dienstag, kurz vor Inkrafttreten des Gesetzes, ihre heftige Kritik daran: Aus dem besonderen staatlichen Schutz von Ehe und Familie, der im Grundgesetz stehe, werde ein „Gnadenrecht, das eben nicht mehr universell gilt“, erklärte Parteichefin Annalena Baerbock. Den Schaden hätten die betroffenen Familien und die Integration.

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