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Wer ohne Papiere und Visum einfach mal so nach Deutschland will, den darf, ja muss die Bundespolizei zurückweisen.

© Peter Kneffel/dpa

Flüchtlinge in der EU: Wen die Bundespolizei an der Grenze abweisen kann

Dublin und das deutsche Recht - europäische Regelungen überschreiben deutsche Gesetze – was eine häufige Quelle für Konfusionen ist. Die Regelungen bleiben kompliziert.

Von Robert Birnbaum

Die Kanzlerin wusste es bisher nicht, der Bundesinnenminister erklärt es gleich zum „Skandal“ – auch eine Wiedereinreisesperre ist an der deutschen Grenze nicht unbedingt ein Grund, einen Ankömmling auf der Stelle zurückzuweisen. Der Vorgang wirft ein Schlaglicht auf die komplizierte Rechtslage in Asylverfahren und Grenzregime. Dass damit gerne auch mal politisch Schindluder getrieben wird, indem aus voller Brust zu Recht erklärt wird, was gar keins ist, macht den Überblick nicht einfacher.

Prominentes Beispiel für bestenfalls missverstandenes Recht ist der Asylartikel 16a im Grundgesetz. 1993 im „Asylkompromiss“ von Union, FDP und SPD vereinbart, legt er fest, dass keinen Anspruch auf Asyl mehr hat, wer über einen EU-Mitgliedsstaat oder ein „sicheres Drittland“ einreist. Das klingt eindeutig.

Überlesen wird aber gern, dass im gleichen Artikel die Tür für ein europäisches Grenz- und Asylsystem offen gehalten wurde. Dieses System – einerseits die Schengen-Vereinbarung, andererseits die mittlerweile drei Dublin-Verordnungen – existiert heute. Es überschreibt nationale Gesetze, die damit eine Art totes Recht werden. Selbst das Bundesverwaltungsgericht sah es 2017 so, dass EU-Staaten „wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts“ keine Drittstaaten im Sinn des Asylrechts seien. Kurz: „Dublin“ gilt vor deutschem Grund- und Asylgesetz.

Dublin gilt nur für Asylsuchende

„Dublin“ gilt allerdings – eine weitere häufige Quelle der Konfusion – nur für Asylsuchende. Wer ohne Papiere und Visum einfach mal so nach Deutschland will, den darf, ja muss die Bundespolizei zurückweisen. Das geschieht, genauso wie im Regelfall bei Einreisesperren. Die betreffen meist abgelehnte Asylbewerber, die schon mal ausgewiesen wurden.

Allerdings: Einreisesperren sind befristet, maximal auf fünf Jahre, bei Straftätern auch länger. Außerdem könnte ein abgelehnter Asylbewerber inzwischen neue Schutzgründe haben. Das mag oft nur vorgeschoben sein. Aber Rechtstaat heißt, dem Einzelfall gerecht zu werden. Bittet ein Ankömmling an der Grenze um Asyl, wird er zum „Dublin“-Fall. Zwar spricht bei Flüchtlingen in Passau oder Rosenheim alles dafür, dass für sie ein anderes EU-Land zuständig ist – nämlich das, in dem sie Europa betreten haben oder wo schon ein Asylverfahren läuft. Aber das Dublin-Regime will verhindern, dass Asylsuchende durch Europa irren. Deshalb lautet das Verfahren: Deutschland muss prüfen, welches EU-Land zuständig ist, dieses Land muss in die Rücknahme einwilligen, und nur dorthin und nicht einfach ins nächstbeste Nachbarland darf zurückgeschickt werden.

Datenbank Eurodac soll helfen

Das ist oft ein aussichtsloses Unterfangen. Dauert das Rücknahmeverfahren länger als sechs Monate, wird automatisch der zweite Staat zuständig. Theoretisch soll seit 2003 die Fingerabdruck-Datenbank Eurodac helfen, rasch die Zuständigkeit zu klären. Praktisch funktioniert das System nur mäßig. Immerhin muss bei einem Eurodac-Treffer der Erststaat binnen zwei Wochen die Rücknahme ablehnen, sonst gilt die Erlaubnis als erteilt, auch wenn er schweigt. Aber der Europäische Gerichtshof hat gerade erst klargestellt, dass ein Blitzverfahren ausscheidet, schon weil es dem Betroffenen die Chance zur Eilklage gegen den Bescheid beschneiden würde. Auch hier gilt: Rechtstaat ist für alle da.

Wie Minister Horst Seehofer Eurodac- Trefferfälle an der Grenze zurückweisen lassen will, hat er bisher nicht gesagt. „Dublin“ erlaubt Abkommen zwischen Staaten zur Beschleunigung. Sonst fallen vielen Europarechtlern nur absurde Szenarien ein: Bundespolizisten müssten über den Grenzstrich hinweg Ankömmlinge fragen, ob sie Asyl wollen. Sagen sie Ja, bevor sie die Grenze überschreiten, wären die Deutschen fein raus: Dann müsste wohl der Nachbar das Verfahren führen.

Merkels Streit mit Seehofer - was bedeutet Richtlinienkompetenz?

Einigung zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ist nicht in Sicht.
Einigung zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ist nicht in Sicht.

© Sven Hoppe/dpa

Sie gilt als am meisten missverstandene Regel der Politik. Nein, sie macht Kanzler oder Kanzlerin nicht zu Königen, die immer sagen dürfen, wo es langgeht. Sie setzt aber Eigenmächtigkeiten anderer Grenzen. Gibt das Ressortprinzip jedem Minister Freiheit im Rahmen seiner Zuständigkeit, verbietet das Kollegialprinzip Alleingänge gegen Kabinettskollegen, so gibt die Richtlinienkompetenz der Chefin ein Veto in Grundsatzfragen. Welche das sind, steht nirgendwo. Ein Minister, der sich der Richtlinienkompetenz nicht beugen will, muss eigentlich zurücktreten.

Ob eine Kanzlerin mit Berufung auf ihre Richtlinienkompetenz ihm konkrete Maßnahmen verbieten könnte, ist unter Juristen umstritten. Nicht umstritten ist, dass ein Regierungschef seine Richtlinienkompetenz nutzen kann, um eine politische Kernentscheidung nach Erörterung im Kabinettskreis ganz allein aktiv zu fällen. Dass das politisch das Ende seiner Koalition bedeuten kann – Risiko.

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