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Flüchtlinge in einer Münchner Lernwerkstatt. Das größte Problem bei allen Integrationsbemühungen sind mangelnde Deutschkenntnisse. Foto: Sven Hoppe/dpa

© picture alliance / dpa

Flüchtlinge: Geeignet für den Arbeitsmarkt?

Vor einem Jahr klang die Wirtschaft euphorisch. Doch die Erwartungen waren wohl zu groß. Warum die Jobsuche der Geflüchteten schwer ist und trotz des "Wir schaffen das" Zeit braucht.

Vergangenen Herbst, als allein in Berlin täglich tausend Flüchtlinge ankamen, hatte Daimler-Chef Dieter Zetsche von einem möglichen „Wirtschaftswunder“ gesprochen. Viele von ihnen seien jung, gut ausgebildet, hoch motiviert. Solche Leute suchten sie! Wie euphorisch das klang. Ende Juli die ernüchternde Bilanz: Die 30 größten deutschen Unternehmen hatten bis dahin 54 Flüchtlinge eingestellt. Davon 50 bei der Deutschen Post, zwei beim Softwarekonzern SAP, zwei beim Pharmahersteller Merck.

Die Dax-Konzerne hätten mehr als 300 Ausbildungsplätze geschaffen, doch nur ein kleiner Teil konnte besetzt werden. Von den knapp 2700 Praktikumsplätzen gut 500. Auch hier lag die Deutsche Post mit 1000 Stellen weit vorn. Ein paar hundert waren es bei ThyssenKrupp, bei BMW – und Daimler. Die Erwartungen waren wohl zu hoch gewesen. Ein Jahr nach Angela Merkels historischem Satz, nach dem „Wir schaffen das“ der Kanzlerin, gelingt die Jobsuche der Geflüchteten nur selten.

Viele Initiativen, kleine Erfolge

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) schrieb den Vorständen der Top-Konzerne einen Brief: Ihr tut bislang zu wenig für die Jobintegration der Flüchtlinge! Gleichzeitig lobte er die vielen kleinen und mittelgroßen Firmen. Wenn Integration in den deutschen Arbeitsplatz gelingt, dann eher hier.

Eine der zahlreichen Initiativen, die in den vergangenen Monaten gegründet wurde, ist das Netzwerk „Wir zusammen“. 113 Unternehmen sind Mitglieder, darunter die Deutsche Telekom, Lufthansa, VW. 1800 Praktikumsplätze wurden geschaffen, 534 Ausbildungsplätze, 449 feste Stellen. Zum Netzwerk „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ des Deutschen Industrie- und Handelskammertags gehören fast 800 Mitglieder. Davon haben 371 Betriebe Praktikumsplätze, 278 Ausbildungsplätze und 312 reguläre Beschäftigungsverhältnisse für Geflüchtete geschaffen.

Über diese Netzwerke hinaus befragte das Münchener Institut für Wirtschaftsforschung (ifo) in diesem Jahr mehr als 1000 Personalleiter. Nur sieben Prozent der deutschen Unternehmen beschäftigten Flüchtlinge. 34 Prozent planten, das in diesem oder im nächsten Jahr zu tun. Es sind kleine Schritte. Kleine Erfolge. Die Integration in den Arbeitsmarkt braucht Zeit. Ende des Jahres sollen 1,3 Millionen Flüchtlinge in Deutschland leben. Nach Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit haben seit vergangenem Frühjahr 30 000 einen Job gefunden.

Die größten Integrationsprobleme

Das größte Einstellungsproblem sind die Sprachkenntnisse der Geflüchteten. Nur die wenigsten sprechen Deutsch, etwa ein Drittel kann sich auf Englisch verständigen. Oft fehlen ihnen die nötigen Qualifikationen – oder Zeugnisse, die zeigen, was sie gelernt haben. Der bürokratische Aufwand ist für die Betriebe enorm. Rechtliche Fragen müssen geklärt werden, immer mal wieder stehen Termine bei den Behörden an. Weil die Asylverfahren nach wie vor dauern, ist der Status des Bewerbers, die Dauer seines Aufenthalts, lange ungeklärt.

„Ein Flüchtling ist ein ziemlich unsicherer Arbeitnehmer“, sagte der Ökonom Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). „Es kommen viele ohne Abschluss, und es haben schon Menschen, die hier aufgewachsen sind, Probleme auf dem Arbeitsmarkt.“

Viele Flüchtlinge sind mit unrealistischen Vorstellungen gekommen. Sie kennen aus ihrer Heimat keine Behörde wie die Agentur für Arbeit, die ihnen bei der Jobsuche hilft. Staatliche Hilfe finden viele demütigend. Sie kennen auch die duale Ausbildung nicht. Statt drei Jahre eine Lehre zu machen, wollen sie lieber sofort arbeiten. Geld verdienen. Die vielen Zuständigkeiten, Formulare, das Beamtendeutsch überfordern sie.

Nicht immer haben Behörden Übersetzer für Arabisch oder Farsi. Oft mangelt es bei den Mitarbeitern auch am Englisch. Und so unterschreiben Flüchtlinge Dokumente, deren Inhalt sie nicht verstehen. Für die Flüchtlinge spricht, dass viele jung sind. Die große Mehrheit ist jünger als 30, die Hälfte noch keine 25. Werden sie gefragt, was sie sich am meisten wünschen, nennen sie zuerst einen Job.

Arbeitslosenzahl nimmt statistisch zu

Bei der Arbeitsagentur hat man sich von Anfang keine Illusion gemacht, dass die Menschen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und Eritrea hierzulande schnell Arbeit finden. „Die Zahl der arbeitslosen Flüchtlinge steigt derzeit monatlich in 10 000er-Schritten“, sagte Vorstand Detlef Scheele. Immer mehr Flüchtlinge beenden ihren Integrations- oder Sprachkurs und stehen von da an dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Gelten offiziell als arbeitslos. Im Juli waren rund 322 000 Flüchtlinge als arbeitssuchend gemeldet, rund 141 000 wurden in der Statistik als arbeitslos geführt.

Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Arbeitslosenquote im kommenden Jahr zum ersten Mal seit 2013 steigen wird. Nach Prognosen des Finanzministeriums könnte die Quote um rund 110 000 auf rund 2,9 Millionen steigen. Bis 2020 könnte sie sich auf 3,1 Millionen erhöhen. Demgegenüber steht ein weiterer Zuwachs an Jobs. Experten bewerten die Entwicklung des Arbeitsmarkts deswegen weiterhin positiv.

Vor allem Hilfsjobs sind möglich

Es ist noch nicht lange her, dass die Arbeitsagentur eine Umfrage veröffentlicht hat, wonach ein Viertel der Geflüchteten, die Arbeit suchen, nicht einmal einen Hauptschulabschluss hat. Jeder Vierte hat Abitur. 74 Prozent können keine formale Berufsausbildung nachweisen. Einen akademischen Abschluss haben neun Prozent.

Wobei Syrer und Iraner deutlich besser ausgebildet sind als Asylbewerber aus dem Irak, von denen mehr als jeder Dritte vier Jahre zur Schule gegangen ist. Höchstens. 35 Prozent der Iraner und 27 Prozent der Syrer gaben an, eine Hochschule besucht zu haben. Inzwischen kommt jeder zwanzigste ausländische Arzt in Deutschland aus Syrien. Für die Mehrheit der Geflüchteten kommt trotzdem nur eine Hilfstätigkeit infrage.

Nach Berechnungen des IAB gibt es zur Zeit rund 154 000 Hilfsjobs, die für Flüchtlinge geeignet wären. Bislang haben sie meist Stellen in der Gastronomie, Logistik und Reinigungsbranche gefunden. Über Stellen für gering Qualifizierte können sie zwar schneller in den Arbeitsmarkt integriert werden und eigenes Geld verdienen, haben dann aber oft keine langfristige Perspektive. Vor allem bei den jungen Flüchtlingen macht es Sinn, sie von der dualen Ausbildung zu überzeugen. Zumal die Betriebe immer mehr Lehrstellen nicht besetzen können. Im Schnitt soll es rund zwei Jahre dauern, bis Flüchtlinge in Deutschland eine Ausbildung beginnen können.

Ein Stundenlohn von 80 Cent

Corinna Funke arbeitet bei der gfa public GmbH und hat Jobcenter und Arbeitsagenturen in den vergangenen Monaten beraten. Bei der Mehrheit der Flüchtlinge sei sie „pessimistisch“. „Da werden sehr lange nur Zeitarbeit- und Hilfsjobs möglich sein“, sagt sie. Das Problem dabei: Dieser Stellenmarkt werde immer kleiner, niedrigschwellige Stellen weniger.

Damit Flüchtlinge nicht allzu lange arbeitslos sind, will Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) für sie „100 000 neue Arbeitsgelegenheiten“ schaffen. Besser bekannt als Ein-Euro-Jobs. So könnten Asylbewerber während „der Zeit des Wartens etwas Vernünftiges tun“. Den Arbeitsmarkt kennenlernen. Kritik gibt es daran, dass die Aufwandsentschädigung für Flüchtlinge auf 80 Cent die Stunde reduziert werden soll.

Im kommenden Jahr soll der Etat von Nahles um fast 8,8 Milliarden Euro (plus 6,8 Prozent) auf 138,6 Milliarden Euro steigen. Grund dafür sind unter anderem höhere Ausgaben für Sozialleistungen und Integrationsmaßnahmen für Flüchtlinge, die trotz aller Bemühungen zunehmend als Hartz-IV-Empfänger geführt werden dürften.

Die Hälfte wird nach Jahren arbeiten

Die Kosten der Arbeitsmarktintegration schätzen Experten mal auf 20, mal auf 55 Milliarden im Jahr. Frank-Jürgen Weise, Chef der Arbeitsagentur und des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), sagte vor einiger Zeit: „Ich bin skeptisch, dass die Flüchtlinge ein Glücksfall für den Arbeitsmarkt sind. Jetzt, wo sie aber da sind, sollten wir ihnen eine Chance geben und etwas draus machen.“

Es gilt als Konsens, dass es Jahre dauern wird, bis ein Großteil der Flüchtlinge arbeiten und Steuern zahlen wird. Herbert Brücker, Forscher vom IAB, verwies mehrmals auf die Bilanz der Vergangenheit: 20 Prozent der erwerbsfähigen Flüchtlinge hatten nach einem Jahr Arbeit gefunden, nach fünf Jahren die Hälfte, nach 15 Jahren 70 Prozent. Dann hatten sie den Stand anderer Zuwanderer erreicht.

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