zum Hauptinhalt
Die Fähre 'El Venizelos' liegt im Hafen von Kos, um Flüchtlinge aufzunehmen.

© dpa

Flüchtlinge auf Kos: Syrer werden gegenüber Irakern auf der Fähre bevorzugt

Syrische Flüchtlinge dürfen auf die Fähre auf der griechischen Insel Kos und werden dort registriert, während Iraker, Afghanen und Pakistaner vor der Polizeistation warten müssen.

Die Unterbringung von syrischen Flüchtlingen auf einer Fähre auf der griechischen Ägäis-Insel Kos geht voran: Am Wochenende und bis Montagmorgen gingen knapp 500 Menschen an Bord, wie die Behörden mitteilten. Priorität haben Kinder und ihre Mütter sowie Familien. Das Schiff war am Freitag angekommen und dient zur Registrierung und befristeten Unterbringung von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien. Insgesamt sollen 2500 Menschen untergebracht werden. Flüchtlinge aus anderen Staaten werden zunächst nicht auf der Fähre aufgenommen.

Am Samstag hatten sich nach Fernsehberichten etwa 50 Afghanen, Iraker und Pakistaner eine Schlägerei vor der Polizeistation von Kos geliefert. Sie hatten dort auf ihre Registrierung gewartet. Die Behörden wollen vermeiden, dass es zu ähnlichen Zwischenfällen an Bord der Fähre kommt.

An einem einsamen Strand der Insel wurde die Leiche eines 16 Jahre alten Syrers entdeckt. Seine Angehörigen, die in Schweden leben, hatten ihn vor einigen Tagen als vermisst gemeldet. Der Junge Mann soll nach ersten Erkenntnissen von Ärzten auf Kos an Wassermangel (Dehydrierung) gestorben sein, berichtete das griechische Staatsradio am Montag weiter. 

Die Fähre Eleftherios Venizelos an der Küste von Kos.
Die Fähre Eleftherios Venizelos an der Küste von Kos.

© AFP

Mit der Registrierung auf der eigens vor Anker gegangenen Fähre versuchen die Behörden Griechenlands seit Sonntag, des Flüchtlingsansturms auf der Insel Kos Herr zu werden. In der Nacht zum Sonntag begann die Erfassung syrischer Flüchtlinge, die auf der Fähre bleiben dürfen, während es auf der Insel kein Aufnahmezentrum gibt. Vor der italienischen Insel Lampedusa kamen indes erneut mindestens 49 Flüchtlinge ums Leben.

Auf der Fähre "Eleftherios Venizelos" im Hafen von Kos werden syrische Flüchtlinge registriert, die schon auf Kos ausharrten, sowie alle Neuankömmlinge. "Wir hoffen, dass das Verfahren jetzt etwas glatter läuft. Wir wollen einfach nur registriert werden, damit wir nach Athen fahren können", sagte Mohammed aus dem syrischen Aleppo.

Kriminelle überfallen Flüchtlinge

Flüchtlinge aus anderen Staaten, die bereits vor Eintreffen der Fähre auf Kos waren, müssen sich dagegen weiter bei der Polizeiwache erfassen lassen, vor der sich täglich lange Warteschlangen bilden. Die Ungleichbehandlung führte am Sonntag zu Spannungen: An der Zufahrt zum Hafen protestierten rund zwei Dutzend Iraker und forderten, ebenfalls auf die "Eleftherios Venizelos" gelassen zu werden.

Bislang mussten tausende Menschen auf Kos unter widrigsten Bedingungen unter freiem Himmel schlafen, weil die Insel kein Aufnahmezentrum hat. Die Behörden sind seit Wochen mit der hohen Zahl der Flüchtlinge auf der Insel überfordert, die nur wenige Kilometer vom türkischen Festland entfernt liegt. Die Einwanderer warten dort oft tagelang auf ihre Registrierung, die notwendig ist, um die Erlaubnis zur Weiterreise aufs griechische Festland zu erhalten.

Bei der Fahrt nach Kos in wackeligen Holzbooten oder Schlauchbooten von der Türkei aus kommt es offenbar in jüngster Zeit zu Überfällen auf die Flüchtlinge. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen äußerte sich am Samstag besorgt über entsprechende, sich ähnelnde Berichte von Flüchtlingen.

Syrer haben es in einem Schlauchboot zur Insel Kos geschafft. Als der Motor versagte, paddelten sie mit den Händen und zogen das Boot schwimmend nach Griechenland.
Syrer haben es in einem Schlauchboot zur Insel Kos geschafft. Als der Motor versagte, paddelten sie mit den Händen und zogen das Boot schwimmend nach Griechenland.

© AFP

Ein Flüchtling berichtete der Nachrichtenagentur AFP: "Große, mit Gewehren, Stöcken und Messer bewaffnete, maskierte Männer näherten sich unserem Schlauchboot, durchlöcherten es und warfen unseren Motor ins Wasser." Manche Flüchtlinge machten laut Ärzte ohne Grenzen die griechische oder türkische Küstenwache verantwortlich - für Griechenland wies dies der Chef der Einwanderungspolizei, Zacharoula Tsirigoti, energisch zurück.

Auf Kos war es am Dienstag zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen, als diese 2000 Migranten zur Registrierung in ein Fußballstadion brachte. Seitdem wurden tausende Flüchtlinge, die teils seit Wochen am Strand und auf den Straßen schliefen, aufs griechische Festland gebracht. Die Zahl der Flüchtlinge auf Kos sank laut Polizei von 7000 auf 2500.

Vor der italienischen Küste ereignete sich derweil ein neues Flüchtlingsdrama: Auf einem völlig überladenen Fischerboot zwischen der libyschen Küste und der Insel Lampedusa entdeckte die italienische Marine am Samstag jüngsten Medienberichten zufolge die Leichen von mindestens 49 offenbar im Laderaum erstickten Menschen.

312 weitere Flüchtlinge konnten von dem Boot gerettet werden, wie Marinekapitän Massimo Tozzi der Nachrichtenagentur AGI sagte. "Wir haben eine erschütternde Szene miterlebt", sagte Tozzi. "Zahlreiche Leichen trieben an der Oberfläche, zwischen menschlichen Exkrementen und Treibstoff."

"Diese Tragödie wird nicht die letzte sein, wenn die Staatengemeinschaft keine Lösung für die Krise in Libyen findet", erklärte Italiens Innenminister Angelino Alfano. Vergangene Woche waren beim Untergang eines Flüchtlingsbootes aus Libyen mehr als 200 Menschen ums Leben gekommen.

Schlauchboote starten von Bodrum aus

Es ist kurz nach Mitternacht in Bodrum, dem als "türkisches Saint-Tropez" beworbenen Hafenstädtchen am Mittelmeer. An Tischen mit Blick auf die Ägäis entspannen noch viele Urlauber, als aus dem nahen Wald mehrere Gruppen von Flüchtlingen zum Strand eilen. Die Erwachsenen tragen Schlauchboote und Paddel, die Kinder laufen nebenher. Ihr Ziel präsentiert sich am Horizont als bunte Lichterkette: die Küste der griechischen Insel Kos, das Eintrittsportal in die ersehnte Europäische Union. Während sich in der Dunkelheit jeweils ein Dutzend Flüchtlinge mit roten Rettungswesten in die Boote quetscht, ruft eine Stimme "Macht schnell!" Das erste Schlauchboot entfernt sich, zehn Minuten später legt das zweite ab, kurz darauf ein drittes. Schleuser dirigieren das minutiös vorbereitete Manöver mit ihren Taschenlampen. Seit Jahresbeginn haben auf diese Weise zahlreiche Menschen, die vor dem Krieg in Syrien oder dem Chaos in Afghanistan geflohen sind, die nächtliche Überfahrt nach Griechenland angetreten. Bodrum, bislang eher bekannt für sein quirliges Nachtleben, im Sommer gut besuchte Bars und ausgebuchte Hotels, ist seit Monaten auch Schauplatz der Seepassagen des Elends. Denn nur fünf Kilometer entfernt von den idyllischen türkischen Buchten liegt Kos, das Ziel derjenigen, die in der EU auf ein friedliches Leben hoffen.

Trotz der Risiken, denen überfüllte Schlauchboote auch auf kurzen Meeresüberquerungen ausgesetzt sind, ziehen die Schleuser seit einem Jahr diesen Weg vor. Denn die türkische Küstenwache inspiziert seitdem schärfer die Frachtschiffe, die bis dahin von den Menschenschmugglern Richtung Italien eingesetzt wurden, erklärt die Internationale Organisation für Migration die Entwicklung. Innerhalb von sieben Monaten seien auf diesem Wege 124.000 Flüchtlinge in Griechenland eingetroffen, berichtet die UNO - eine Steigerung um 750 Prozent gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum.

Sehnsüchtig schauen drei Flüchtlinge, die am Strand zurückbleiben, auf die Lichter von Kos. "So Gott will, bin ich beim nächsten Transport dabei", seufzt einer - seinen Namen will er wie seine Schicksalsgenossen lieber nicht nennen. Ein 38-jähriger Mann aus der syrischen Hafenstadt Tartus seufzt: "Wir wollen doch nur ein normales Leben führen". Er selbst wisse immerhin, was "leben" bedeute, "aber das Kind hier weiß nicht mal das". Er zeigt auf einen Jungen, der nichts als den syrischen Bürgerkrieg und die Flucht kennt.

Dann verliert der Mann die Geduld mit den Schleusern, auf die er nun schon die halbe Nacht wartet. Er ruft sie an und schimpft auf Arabisch: "Schämt ihr Euch nicht? Die Kinder schlafen auf der Straße. Wo bleibt ihr?" Die Schmuggler schicken kurz darauf Taxis, welche die Gruppe abholen, um sie zu einem anderen Strand zu bringen.

Nach Angaben von türkischer Seite gibt es in den Buchten bei Bodrum mindestens acht verschiedene Startpunkte für die Überfahrt auf die nahen griechischen Inseln. "Sind die Wetterbedingungen gut, gibt es also keinen Nebel, wagen pro Nacht rund zweihundert Flüchtlinge die Passage", berichtet ein Behördenvertreter gegen Zusicherung von Anonymität.

Als die Sonne aufgeht und die ersten Urlauber am Strand joggen, ziehen sich die Flüchtlinge nach und nach ins Hinterland zurück. Sie müssen sich in Geduld fassen und wollen in einer der nächsten Nächte erneut versuchen, per Schlauchboot das Portal nach Europa zu erreichen. (AFP/dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false