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Syrische Flüchtlingsfamilie in einem Lager in der Türkei

© dpa

Flucht aus Syrien: Die Türkei vermisst Hilfe für Flüchtlinge

Der türkische Premier Erdogan rechnete fest mit dem Ende von Syriens Diktator. Doch Assad denkt nicht daran abzutreten. Und die wachsende Zahl syrischer Flüchtlinge an ihren Grenzen wird für die Türkei zum Problem.

Recep Tayyip Erdogan war sich ganz sicher. „Das syrische Volk ist dem Sieg näher als je zuvor“, verkündete der türkische Ministerpräsident. Bashar al-Assad werde sich in Damaskus nicht mehr lange halten können, lautete die Botschaft Erdogans bei einer Rede vor Diplomaten in Ankara. Das war vor knapp zwei Jahren. Heute ist Assad immer noch an der Macht und veranstaltete am Dienstag sogar eine Präsidentenwahl mitten im Bürgerkrieg. Für den Nachbarn und Assad-Gegner Türkei markierte der Tag eine Niederlage. 

Inzwischen eine Million Syrer im Land

Erdogan ist nicht der einzige türkische Regierungspolitiker, der sich mit Blick auf Syrien gründlich verrechnet hat. Außenminister Ahmet Davutoglu sagte im Sommer 2012 voraus, Assad werde innerhalb weniger Monate oder gar Wochen stürzen. Die Türkei, ein ehemaliger Partner Assads, hatte sich kurz nach Beginn des Konflikts in Syrien im März 2011 auf die Seite der Opposition gestellt. Um einen Machtwechsel in Damaskus zu erreichen, erlaubte Ankara zivilen und militärischen Assad-Gegnern, sich auf türkischem Boden zu formieren. 

Gleichzeitig öffnete Erdogans Regierung die 900 Kilometer lange Grenze zu Syrien für Flüchtlinge; inzwischen sind laut Erdogan fast eine Million Syrer im Land. Die offene Grenze nützt auch diversen islamistischen Gruppen, die Kämpfer und Waffen über die Türkei nach Syrien schaffen können. Dutzende Menschen wurden bei Anschlägen und Gefechten im Grenzgebiet getötet. Am Dienstag nahm die türkische Regierung die radikal-islamische Nusra-Front in Syrien offiziell auf ihre Liste von Terrororganisationen auf. 

Doch die Opposition in Ankara sind überzeugt, dass die Regierung auch radikale Islamisten in Syrien unterstützt. Mehrere Waffenlieferungen nach Syrien wurden abgefangen. Der US-Enthüllungsjournalist Seymour Hersh behauptete sogar, die Türkei stecke hinter dem tödlichen Giftgaseinsatz in Syrien vom vergangenen Jahr. Ankara dementierte. Fest steht aber, dass die türkische Regierung frustriert ist. Ihre Forderungen nach einem internationalen Eingreifen in Syrien, etwa in der Form der Einrichtung humanitärer Schutzzonen, verhallen seit Jahren ungehört. 

In Ankara wurde ein Wohnhaus für Flüchtlinge in Brand gesetzt

Inzwischen sorgen die immensen Dimensionen des Flüchtlingsansturms für wachsende Probleme in der Türkei. Medien berichten von steigenden Kriminalitätsraten, sinkenden Löhnen und von Zwangsprostitution weiblicher Flüchtlinge. Zudem gibt es Anzeichen für soziale Spannungen zwischen Türken und Syrern. In der Hauptstadt Ankara steckten aufgebrachte Türken nach einer Schlägerei mit Syrern Anfang Mai ein Haus der Flüchtlinge in Brand. Laut einer Meinungsumfrage ist mehr als jeder zweite Türke dafür, den Zuzug der Syrer zu stoppen. 

Doch nichts deutet darauf hin, dass der Ansturm nachlässt, im Gegenteil. In den ersten vier Monaten des Jahres wurden an einem einzigen Grenzübergang rund 100.000 ankommende Syrer gezählt. Viel Hilfe ihrer Partner erhält die Türkei bisher nicht. Im Februar sagte Erdogan, sein Land habe bisher Unterstützung in Höhe von 130 Millionen Dollar erhalten, selbst aber zwei Milliarden Dollar zur Versorgung der Flüchtlinge ausgegeben. 

Welthungerhilfe nennt EU-Politik skandalös

Wenn es nach den fünf führenden deutschen Friedensforschungsinstituten geht, könnte die Türkei bald entlastet werden. In ihrem am Dienstag in Berlin vorgestellten „Friedensgutachten 2014“ forderten sie die Aufnahme von 200.000 Flüchtlinge in Deutschland. Die bisherige Aufnahmepolitik in der EU und in Deutschland sei skandalös. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums haben bisher rund 40.000 Syrer bisher in Deutschland Zuflucht gefunden. 

Die Präsidentin der Welthungerhilfe, Bärbel Dieckmann, verglich die Lage in Syrien mit Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. „Es sieht in den Städten aus wie bei uns 1945“, sagte sie am Dienstag in Berlin. Häuser und Wohnungen seien zu 80 bis 90 Prozent zerstört. Die humanitäre Katastrophe in dem Bürgerkriegsland sprenge jede Vorstellungskraft.

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