Flucht aus der Ukraine erinnert an 1945, nicht 2015: Berlin öffnet Arme und Herzen – und das Tor zur eigenen Geschichte
Der Krieg in der Ukraine ist uns geographisch nah und weckt Ängste und Erinnerungen an Vertreibung. Deshalb ist die Hilfsbereitschaft so riesig. Ein Kommentar.
Sie kommen mit nichts als dem, was sie in ihren Händen halten können. Koffer, Taschen, Tüten. Auf dem Rücken oder vor der Brust dazu oft eine Trage mit einem Kind, das noch nicht laufen kann. Links und rechts die größeren Geschwister, die nur mit Mühe Schritt halten können.
Es sind Hunderttausende, fast nur Frauen, auf der Flucht aus ihrer Heimat, aus der Ukraine, die vom großen Nachbarn Russland überfallen wurde und nun zerbombt und zerstört wird. Die meisten fliehen in die Nachbarländer Polen und Ungarn.
Aber auch am Berliner Hauptbahnhof kommen nun Tausende täglich an. Es ist ein ihnen meist unbekanntes Land, eine fremde Stadt. Und dennoch geschieht so etwas wie ein Wunder: Sie werden erwartet, mit Plakaten und Willkommensgrüßen in ihrer Sprache.
Berlin, diese ruppige Stadt, die nach dem populären Lied von Peter Fox aus dem Jahre 2008 so hässlich, so dreckig und grau und schrecklich sein kann, zeigt seine weiche, seine mitfühlende, seine zutiefst menschliche Seite. Denn die Berlinerinnen und Berliner begegnen in diesen geflüchteten Frauen und Kindern aus der Ukraine zum Teil auch ihrer eigenen Geschichte.
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Die Erinnerungen an Flucht und Vertreibung spielen eine Rolle
Es gibt viele Familien in diesem Lande, wo auch immer Eltern oder Großeltern herstammen, in denen die Erzählungen und Erinnerungen von Flucht und Vertreibung und Verlust eine Rolle spielen. Das treffendste Bild für die deutsche Erfahrung damit hat Neil McGregor im Jahre 2014 gefunden.
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Als er in London die große Ausstellung „Germany – Memories of a Nation“ kuratierte, wählte er als Symbol für die Vertreibung von fast 20 Millionen Menschen 1945 aus Osteuropa einen alten hölzernen Leiterwagen. Denn auf solchen, eigentlich nur für dörfliche Zubringerdienste geschaffenen Gefährten, retteten die Geflüchteten alles, was ihnen noch an Besitz geblieben war.
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Und noch etwas ähnelt der Situation von 1945 – und ist anders als 2015: Es sind hauptsächlich Frauen und Kinder die Heimatvertriebenen, die Männer sind Soldaten oder in Gefangenschaft. Was jetzt gerade in der Ukraine geschieht, ist uns also nah, faktisch, geographisch und vom eigenen Erleben her.
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Deshalb bilden sich über Nacht auf Nachbarschaftsportalen Gemeinschaften von Menschen, die sich bislang nicht kannten, bieten Privatzimmer an, organisieren Unterkünfte. Kümmern sich um Kitaplätze, fragen, wo Platz für Schulkinder wäre. Wieder, wie schon 2015, sind es die Ehrenamtlichen, die über die Hilfsorganisationen oder in spontan gebildeten Gruppen verhindern, dass es Notlagen gibt.
Die EU will die Aufnahme ohne Asylverfahren möglich machen
Und da die Europäische Union für drei Jahre die Aufnahme der Flüchtlinge ohne Asylverfahren möglich machen will, sind die nach der Massenflucht aus dem Mittleren Osten so gravierenden Probleme der Krankenversicherung und der Arbeitserlaubnis gelöst.
Auch Berlin scheint besser vorbereitet als damals. Die Erfahrungen aus dem Scheitern an den Realitäten vor acht Jahren haben wohl zu Lernprozessen geführt. Die Regierende Bürgermeisterin wird offenbar ihrem Titel gerecht, die Sozialsenatorin arbeitet eine Nacht im Krisenzentrum ihres Schlüsselressorts mit, die Bezirke fühlen sich besser eingebunden.
Indem wir Hilfe leisten, entdecken wir uns auch selber ein bisschen. Unsere persönliche oder unsere gemeinsame Geschichte. Und wir können endlich etwas tun, müssen nicht nur ohnmächtig zuschauen. Berlin ist gerade die Stadt der offenen Arme und Herzen.
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