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Tote Fische prägen das Bild der Oder.

© IMAGO/Winfried Mausolf

Fischsterben und Niedrigwasser: Zwei Flüsse in Not bezeugen die Ignoranz des Menschen

Wegschauen, abwarten, hoffen: Der Öko-Gau an der Oder zeigt, was sich beim Klimawandel über Jahre abspielte und zur aktuellen Rhein-Ebbe führte. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Zwei Flüsse schaffen es gerade zeitgleich in die Schlagzeilen: der Rhein und die Oder. Der eigentlich prächtige Rhein im Westen ist wegen anhaltender Trockenheit und großer Hitze zu einem Rinnsal verkümmert. Die Oder im Osten ist ein viele Kilometer langer stinkender Fischfriedhof geworden, wofür der Auslöser noch gesucht wird. Zwei ganz verschiedene Fälle also?

Auf der akut praktischen Ebene ja. Aber grundsätzlich nicht. Grundsätzlich zeigen die Lage an der Oder und auch die am Rhein, wie der Mensch Ökosysteme zerstört. Sei es durch Handeln oder – wie im Fall der Oder genauso möglich – durch Unterlassen.

Was sich am Rhein abspielt, wird man getrost als Ergebnis des Klimawandels betrachten können. Der wird vor allem von dem Kohlendioxidausstoß in die Atmosphäre getrieben, der seit der Industrialisierung rasant angestiegen und dadurch zur globalen Belastung geworden ist.

Schon 1972 hat die prominente Wissenschaftlervereinigung Club of Rome vor den Folgen des allseits angestrebten Wirtschaftswachstums für die Umwelt gewarnt. Reagiert wurde freilich nur punktuell – etwa mit der Rheinsanierung ab Mitte der 1980er Jahre –, nicht systemisch, so dass sich die großen Veränderungen in kleinen Schritten weiter vollziehen konnten.

Jetzt reagiert man, jetzt will man die Eskalation verhindern

Dabei blieb viel Raum, sie zu übersehen oder umzuinterpretieren. Erst viel später hat man die Augen aufgemacht. Jetzt, da der Klimawandel womöglich nicht mehr aufhaltbar ist, aber seine Folgen auch in den industrialisierten Gegenden der Welt angekommen sind. Jetzt erst ist die Verhinderung der Eskalation wichtiges Ziel.

Beim Desaster in der Oder läuft es nach ähnlichem Muster, aber im Zeitraffer. Tote Fische im Fluss wurden beobachtet, polnische Behörden bekamen das mit, reagierten aber nicht, sondern hoffen vielleicht, dass alles nicht so schlimm werde und sich von allein erledige. Folge: Das Sterben weitete sich auch auf andere Tierarten aus, betraf die Anrainer am Fluss und andere Länder.

[Lesen Sie mehr bei Tagesspiegel Plus: „Da herrschte totales Schweigen“: Oder-Katastrophe weckt Unverständnis, Enttäuschung und Wut auf die Behörden]

Und jetzt erst ist man links und rechts der Oder alarmiert, sucht die Schuldigen, setzt Belohnungen für Hinweise aus und spricht von Ökoverbrechen. Zu Recht, denn es gibt nur zwei Erklärungen: Es könnten, was wahrscheinlich ist, Giftstoffe illegal in den Fluss eingebracht worden sein und zum Fischsterben geführt haben. Oder – sehr unwahrscheinlich – der Fluss ist ohne direktes menschliches Zutun gekippt, als Folge von Altlasten womöglich. In dem Fall wäre eine Verschlimmerung der Lage nicht verhindert worden.

Eine Ursache für das Fischsterben wird vielleicht nie gefunden

Innerhalb von Wochen spielte sich so an der Oder im Kleinen ab, was in Sachen Klimawandel über Jahrzehnte bereits auf großer Bühne geschieht: auf Missstand hingewiesen werden, Problem kleinreden, langfristige Folgen nicht bedenken.

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Nur wird beim Fischsterben in der Oder eine konkrete Ursache vielleicht nie gefunden. Weil der kritische Moment bereits zu lange zurückliegt oder weil generell die synthetischen organischen Substanzen immer schwieriger auszumachen sind oder weil Gewässermonitoring nicht vorgesehen ist oder nicht funktioniert. Aber so oder so wird der Mensch seinen Teil zu der Katastrophe beigetragen haben.

Warum nicht auch beim Klima von Ökoverbrechen sprechen?

Und wenn man bei der Oder von einem Ökoverbrechen zu sprechen bereit ist, stimmt der Begriff dann nicht ebenso beim Klimawandel, wenn inzwischen – anders vor 150 Jahren – doch klar ist, dass der weitergehende Treibhausgasausstoß die Umwelt zerstört?

Es gibt Initiativen, die Umweltzerstörung als Verbrechen einstufen und als Ökozid auch vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag bringen wollen. Frankreich hat jüngst die mutwillige Luft-, Boden- oder Wasserverschmutzung unter Strafe gestellt. Verurteilten drohen Haftstrafen und Strafzahlungen bis 4,5 Millionen Euro.

Das rettet zwar weder einen Fisch, noch stoppt es den Klimawandel, aber völlig wertlos ist es deshalb auch nicht. Es bestimmt, was wichtig ist. Die Natur gehörte viel zu lange nicht dazu.

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