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Wo ist der echte Olaf Scholz? Der Finanzminister auf einem verfremdeten Foto während seiner Haushaltsrede.

© Kay Nietfeld/ dpa

Finanzminister und Sozialkämpfer: Der doppelte Olaf

Lange wollte Olaf Scholz der solide Haushälter sein. Dann stellte er teure Forderungen zur Rente auf. Im Bundestag ist Fordern nicht so leicht.

Von Hans Monath

Ob der Auftritt zur Lösung des Rätsels beitragen kann? Dienstagmorgen, kurz nach zehn im Deutschen Bundestag. Es tritt ans Pult: Olaf Scholz, Vizekanzler, Finanzminister, womöglich nächster Kanzlerkandidat der SPD. Der Mann gehört zum politischen Inventar der Republik, man glaubte, ihn zu kennen. Und doch stellt sich seit Kurzem die Frage: Wie viele Olaf Scholz gibt es eigentlich?

Bis Ende des Sommers war er der seriöse Hüter des Geldes, stets bemüht jeden Zweifel an der Verlässlichkeit sozialdemokratischer Haushaltspolitik zu beseitigen. In der SPD fürchteten sie schon, „der Olaf“ wolle als zweiter Schäuble in die Geschichte eingehen. Und das nach all ihrer Kritik an Vorgänger Wolfgang Schäuble, dem Herrn der „schwarzen Null“, dem Vater der Austeritätspolitik.

Doch Mitte August trat dann ein neuer, anderer Scholz auf die Bühne: Der Politiker aus Hamburg, bis dahin so verlässlich wie eine Schweizer Präzisionsuhr mit Ewigkeitskalender, verwandelte sich von einem Tag zum anderen in einen sozialpolitischen Streiter vom Schlage eines Rudolf Dressler. Anders als mit der Union vereinbart, müsse das Rentenniveau nicht nur bis 2025, sondern 15 Jahre länger gesichert werden, verlangte Scholz kategorisch. Einen Finanzierungsplan legte der Herr der Zahlen nicht vor, stattdessen eine Begründung von historischem Anspruch: Nur so lasse sich „ein deutscher Trump, also die Übernahme der Macht durch Rechtspopulisten, verhindern, sagte er. Damit war klar: In dem von der SPD-Führung ausgerufenen sozialpolitisch „heißen Herbst“ sollte der Hanseat eine wichtige Rolle spielen.

Seine Haushaltsrede im Bundestag beginnt Scholz am Dienstag mit Worten der Trauer für die Opfer von Chemnitz und Köthen sowie der Mahnung, die Gesellschaft nicht weiter zu spalten. Schnell ist der Minister beim Rückblick auf den Zusammenbruch der US-Bank Lehman Brothers vor zehn Jahren („Dass es eines Tages zu diesem Crash kommen musste, das war unausweichlich“), der die Weltfinanz- und die Eurokrise ausgelöst hatte. „Wir haben gehandelt und dazu beigetragen, dass wir heute in Europa Institutionen haben, die wir damals nicht hatten“, konstatiert Scholz und verspricht, in Zusammenarbeit mit Frankreich die Sicherheitsvorkehrungen gegen eine neue Krise zu festigen: „Wir haben jetzt die Aufgabe, die Bankenunion zu vollenden.“

Der Beifall aus den Reihen der SPD wird immer dann leiser, wenn der solide Haushälter spricht, und dann leidenschaftlicher, wenn der Redner SPD- Kernanliegen vorträgt, etwa über die hohen Investitionen in Infrastruktur spricht, über Geld für bessere Kitas und den Ausbau des Bildungswesens, über Bundeszuschüsse für den sozialen Wohnungsbau oder die Mietpreisbremse – alles Projekte, die im Koalitionsvertrag stehen. Höheren Schulden erteilt der Finanzminister wieder eine Absage, lobt stattdessen, dass Deutschland auch in diesem Jahr die Maastricht-Kriterien erfüllen werde, wonach die Schuldenlast nicht höher sein darf als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. „An dieser soliden Haushaltspolitik werden wir auch in Zukunft festhalten“, verspricht der Redner – und klingt dabei ganz wie der frühere Scholz. Auch der hatte sich freilich schon mit Argumenten gegen den Austeritäts-Vorwurf gewehrt, die der Minister mit Hinweis auf den Keynesianismus auch am Dienstag bemüht: In guten Zeiten müsse man sparen, um in schlechten Zeiten dann gegen die Krise zu investieren.

Der neue Scholz blitzt nur kurz auf während der Rede –- fast en passant. „Wir müssen sicherstellen, dass es eine stabile Rente gibt in den 20er- und 30er-Jahren“, sagt er. Auch die am Wochenende vorgestellten neuen Mieterschutzforderungen der SPD, die über den Koalitionsvertrag hinausgehen, tippt er nur an: „Wir brauchen also einen Stopp bei den Mieten.“ Es gebe da „eine politische Diskussion, wie man da noch ein bisschen nachhelfen kann, damit das funktioniert“ – das klingt nicht mehr wie ein sozialdemokratischer Kämpfer, sondern eher wie ein ferner Beobachter.

Scholz, der Rätselhafte. Was ist Überzeugung, was Kalkül? Zur Wahrheit gehört auch, dass der Druck aus der SPD hoch war, einen Neustart zu wagen. In der Partei sind angesichts miserabler Umfragen die Fliehkräfte groß. Viele würden die große Koalition lieber heute als morgen aufkündigen. Zudem waren die Wahlkämpfer aus Bayern und Hessen ungeduldig geworden. Der sozialpolitische Aufbruch von Scholz und Parteichefin Andrea Nahles ist auch eine Flucht nach vorn. Auf der Strecke leidet jedoch die Glaubwürdigkeit. Erfolge in der Koalition wie die neue Mietpreisbremse werden entwertet, wenn neue, größere Ziele ausgegeben werden. Vielleicht ist Scholz’ Appell im Bundestag, alle sollten „mit Optimismus nach vorne denken“, nicht nur ans Land, sondern vor allem an die eigenen Genossen gerichtet.

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