zum Hauptinhalt
Verschrieben vom Arzt: Gesundheits-Apps sollen Kassenleistung werden.

© Hendrik Schmidt/ dpa

Fernbehandlungsverbot: Wie Telemedizin künftig zum Einsatz kommen könnte

Mediziner dürfen ihre Patienten derzeit in der Regel nicht aus der Ferne therapieren. Doch künftig soll die Telemedizin stärker zum Einsatz kommen. Was ist sinnvoll, was ist nötig?

Nicht mehr wegen jeder ärztlichen Beratung, jedem Folgerezept, jeder Krankschreibung stundenlang in einer Arztpraxis herumsitzen, sondern sich bequem zu Hause behandeln zu lassen: Dieser Wunsch vieler Patienten könnte schon bald in Erfüllung gehen. Beim nächsten Ärztetag im Mai 2018 wollen Mediziner das bestehende Fernbehandlungsverbot kippen.

Ist den Ärzten die Patientenbehandlung via Telefon oder Videochat komplett verboten?

Nein, Mediziner dürfen Patienten hierzulande auch beraten und therapieren, ohne sie physisch vor sich zu haben – allerdings nur, wenn die Kranken dem Arzt bereits bekannt sind und ihr Leiden von ihm vorher in persönlichem Kontakt diagnostiziert wurde. Beispielsweise Wundheilung aus der Ferne zu inspizieren ist kein Problem, auch Verlaufskontrollen bei Diabetes- oder Herzpatienten sind bereits möglich. Strikt untersagt jedoch sind Erstdiagnosen via Telefon und Videoschalte ebenso wie die Beratung nicht vorstellig gewordener Patienten. Auch Krankschreibungen oder Arzneiverordnungen dürfen nicht ohne persönlichen Kontakt erfolgen.

Geregelt ist dieses Fernbehandlungsverbot in Paragraf 7 der Musterberufsordnung für Ärzte. Darin heißt es: „Ärztinnen und Ärzte dürfen individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchführen. Auch bei telemedizinischen Verfahren ist zu gewährleisten, dass eine Ärztin oder ein Arzt die Patientin oder den Patienten unmittelbar behandelt.“ Im Wesentlichen hat sich an dieser Vorgabe seit 125 Jahren nichts geändert. Das erste Fernbehandlungsverbot stammt aus der Standesordnung für sächsische Ärzte von 1893 – es bezog sich damals natürlich nur auf Behandlung via Briefkontakt.

Wie gehen Patienten und Ärzte mit dem rigiden Verbot von Fernbehandlungen um?

Einige tausend Deutsche umgehen das Verbot bereits und kommunizieren digital mit Ärzten im Ausland, etwa mit der Online-Praxis DrEd in Großbritannien. Sie müssen die Kosten dafür im Regelfall allerdings selber tragen. Was die Mediziner betrifft, gab es beim Kieler Ärztetag 2011 erstmals Bestrebungen, das Fernbehandlungsverbot in Deutschland aufzuweichen. Die Antragsteller erlitten damals jedoch eine krachende Niederlage. Ins Rollen kam die Sache erst durch einen Vorstoß der Ärztekammer Baden-Württemberg vor eineinhalb Jahren.

Die Funktionäre im Südwesten lockerten das Fernbehandlungsverbot auf eigene Faust. Der Grund war die räumliche Nähe zur Schweiz, wo Telemedizin seit Langem zur Regelversorgung gehört und wo sich zunehmend auch immer mehr baden-württembergische Ärzte einklinken. Allerdings beschränkt sich die Erlaubnis der Fernbehandlung auch in Baden-Württemberg bislang nur auf eigens von der Kammer genehmigte Modellversuche.

Was könnte sich jetzt ändern?

Beim nächsten Ärztetag in Erfurt im Mai 2018 komme das Thema mit ziemlicher Sicherheit auf die Tagesordnung, sagt der Vorsitzende des Telematik-Ausschusses in der Bundesärztekammer, Franz Bartmann. Die Kammerexperten seien sich einig, Medizinern bei einfachen Krankheitsfällen künftig Beratung und Diagnosestellung auch über Bildschirm und Telefon zu erlauben, ohne dass diese die betroffenen Patienten vorher in der Praxis hatten. Und Bartmann ist zuversichtlich: „Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird dies auch beschlossen werden.“ Änderungen seien schon wegen der aktuellen Probleme mit der Notfallversorgung nötig.

Wenn man die Notaufnahmen der Krankenhäuser entlasten wolle, müssten niedergelassene Ärzte auch darüber entscheiden dürfen, ob Anrufer besser in der Klinik und beim Hausarzt aufgehoben wären. Auch die Politik liebäugelt mit Änderungen. Das Verbot einer Erstbehandlung über Telemedizin müsse „auf den Prüfstand“, drängte Lutz Stroppe, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, vor Kurzem bei einem Fachkongress in Berlin – zumindest mit Blick auf hochspezialisierte Fachärzte, die nicht flächendeckend vorhanden seien. „Das wird ein Punkt sein, den wir uns sehr genau ansehen müssen“, sagte er. Und auch die Krankenkassen scheinen nicht abgeneigt.

Telemedizinische Verfahren könnten „ein echter Gewinn für die Patienten sein, wenn sie die Versorgung qualitativ verbessern, erleichtern oder beschleunigen“, meint der Vorstandsvize beim Spitzenverband, Johann-Magnus von Stackelberg.

Welche Chancen bietet die Möglichkeit zur Fernbehandlung von Patienten?

Davon könnten viele profitieren: Landbewohner, die wegen medizinischer Bagatellen oft große Strecken zurücklegen müssen. Berufstätige, die im Büro nicht abkömmlich sind. Ältere, denen der anstrengende Weg zum Arzt erspart bliebe. Erkältete, die sich zu Hause schonen könnten, statt ihre Viren in Bussen und Wartezimmern unters Volk zu bringen. Auch Mediziner, deren Praxen entlastet würden. Kompetente Diagnostik aus der Ferne könne helfen, in strukturschwachen Regionen trotz Ärztemangels eine gute Gesundheitsversorgung sicherzustellen, meint Gisbert Voigt vom Vorstand der niedersächsischen Ärztekammer.

Und Franz Bartmann, der auch Chef der schleswig-holsteinischen Ärztekammer ist, könnte sich sogar Krankschreibungen allein aufgrund von Telefon- oder Videokontakten vorstellen – begrenzt auf bis zu drei Tage beispielsweise. Bei der Verordnung von verschreibungspflichtiger Arznei würde es schwieriger, hier müsste der Gesetzgeber helfen. Die Herausgabe solcher Medikamente ist Apothekern bisher ohne nachgewiesenen Kontakt zu einem verschreibenden Arzt untersagt.

Wo liegen Gefahren von Fernbehandlung? Welche Grenzen wären zu ziehen?

Natürlich müssten Diagnostik und Behandlung aus der Distanz auf leichtere Erkrankungen beschränkt sein, meinen auch Telematik-Befürworter. Die Erkrankung müsse über Telefon oder Videokontakt „eindeutig zu diagnostizieren“ sein, sagt Bartmann. Als Beispiele nennt er grippale Infekte, einfache Harnwegsinfekte bei Frauen oder Norovirus-Erkrankungen, bei denen eine Blinddarmentzündung nicht infrage komme. Fest vorgeben lasse sich ein Krankheitskatalog für Fernbehandlungen aber kaum. Jeder Patient sei anders, bei Immungeschwächten etwa könnten auch harmlose Infekte schlimme Folgen haben. „Und bei Krankheiten, die mutmaßlich länger als eine Woche dauern, würde ich mich nie allein auf telefonischen Kontakt beschränken wollen.“ Erfahrungen aus dem Ausland zeigten aber, dass die Fehler- und Klagequote bei Behandlungen aus der Ferne nicht höher sei als bei konventionellen. Letztlich müsse die Fernbehandlung immer im Einvernehmen zwischen Arzt und Patient erfolgen, sagt Bartmann.

Was halten die Patienten von ärztlicher Behandlung aus der Ferne?

Jeder Vierte hätte nichts dagegen, mit seinem Arzt per Video-Chat zu kommunizieren. Und jeder Zweite ist überzeugt, sich auf diese Weise besser und leichter mit Medizinern austauschen zu können. Zu diesem Ergebnis kam vor Kurzem eine Forsa-Studie der Techniker Krankenkasse. Bei den Befürwortern überwiegen die Männer. Von ihnen wären 54 Prozent dafür aufgeschlossen. Bei Frauen beträgt die Quote 47 Prozent. Erwartungsgemäß plädieren aber vor allem Jüngere für diese Art des Austausches. Von den unter 30-Jährigen meinen 58 Prozent, dass die Kommunikation unkomplizierter wird. Bei den über 60-Jährigen sind es nur 44 Prozent.

Auch Gesundheitsexperten der Verbraucherzentrale unterstützen den Vorstoß. Telemedizin sei „für bestimmte Medizinfelder gleich gut wie ein direkter Kontakt zwischen Arzt und Patient“, meint Referentin Susanne Mauersberg. Sie sagt voraus: „Videosprechstunden werden in Zukunft ein ganz normaler Bestandteil der Versorgung sein.“

Warum bieten bisher nur so wenige Ärzte ihren Patienten Videosprechstunden an – und was bedeutet das für die Zukunft?

Seit diesem Jahr sind Online-Sprechstunden in Deutschland Regelleistung der Krankenkassen. Bislang sind aber gerade mal einige Hundert der knapp 389000 zugelassenen Ärzte auf diesen Zug aufgesprungen. Der Hauptgrund für die Zurückhaltung liegt aus Funktionärssicht darin, dass sich das für Mediziner nicht lohnt. Eine Verbindung mit Skype sei zu unsicher, und für verlässliche Software müssten die Mediziner bis zu 70 Euro im Monat berappen. Gleichzeitig dürften sie dafür aber höchstens 200 Euro pro Quartal zusätzlich abrechnen – und diesen Service auch nur für vergleichsweise kostengünstige Folgebehandlungen anbieten.

„Sobald die Sache kostendeckend ist, wird sie Fahrt aufnehmen“, prophezeit Bartmann. Wobei er damit rechnet, dass bei Fernbehandlungen zunächst noch das Telefon dominieren dürfte. Komplett ersetzen lasse sich der persönliche Kontakt zum Arzt aber niemals. Zum einen, weil man ein körperliches Gegenüber bei schweren Erkrankungen immer benötige. Zum andern, weil emotionale Zuwendung im Krankheitsfall wichtig bleibe und auch heilsam sei.

Zur Startseite