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Schlange vor einer Bank in Russland: Sanktionen haben Wirkung - werden jedoch am besten strategisch zur Abschreckung eingesetzt.

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Fehler im Umgang mit Russland: Der Westen hat Sanktionen bisher falsch genutzt

Sie wurden nicht vorausschauend strategisch, sondern reaktiv eingesetzt. Daher sollte ein Energieembargo an eine Eskalation gekoppelt werden. Ein Gastbeitrag.

Patrick Weber forschte an der Universität Konstanz im Rahmen eines Projekts der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Sanktionspolitik der Europäischen Union. Inzwischen arbeitet er bei der Brunswick Group, einer Unternehmensberatung für geschäftskritische Situationen, einschließlich Wirtschaftssanktionen.

Sanktionen sind wirkungslos. Das galt lange als Konsens, oft mit Verweis auf Sanktionen gegen Länder wie Kuba oder Nordkorea. Inzwischen hat sich diese Einschätzung gewandelt: Studien klassifizieren rund ein Drittel aller verhängten Sanktionen als erfolgreich – etwa im damaligen Rhodesien, in Südafrika und im Iran.

Viel wichtiger ist jedoch die Erkenntnis, dass Sanktionen vor allem im Drohungsstadium einen Effekt haben können. Mit Blick darauf sind dem Westen im Umgang mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin seit langer Zeit schwere Fehler unterlaufen.

Russland marschierte 2008 in Georgien ein und erklärte die Provinzen Abchasien und Südossetien für unabhängig. Rund 850 Menschen verloren in diesem Krieg ihr Leben. Schon damals diskutierte die Europäische Union über Sanktionen. Schon damals waren einige Mitgliedstaaten nicht bereit, ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland zu gefährden – allen voran Deutschland.

Nach der Annektion der Krim folgten nur schwache Sanktionen

Sergej Lawrow, zu dieser Zeit bereits russischer Außenminister, sagte mit Blick auf die Sanktionsdrohung, die Diskussionen über die Verhängung von Sanktionen gegen Russland seien das Produkt einer „kranken Fantasie“ und „westlicher Verwirrung“. Lawrow weiter: „Abgesehen davon hat mein Freund Kouchner [damaliger französischer Außenminister] auch gesagt, dass wir bald Moldawien und die Ukraine und die Krim angreifen werden ... Aber das ist eine kranke Fantasie, und wahrscheinlich gilt das auch für die Sanktionen.“

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Diese „kranke Fantasie“ wurde im März 2014 Realität, als Russland die Krim annektierte und das russische Militär in der Ostukraine intervenierte. In diesem Fall gelang es der EU und den Vereinigten Staaten, gemeinsam Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu verhängen, doch diese waren bei weitem nicht so stark, wie sie hätten sein können und sollen.

Im Frühjahr 2021 begann der russische Truppenaufbau an der ukrainischen Grenze und im Dezember warnten die G7 Russland vor „massiven Konsequenzen“ bei einem Einmarsch in die Ukraine. Doch die darauffolgenden Sanktionsdrohungen waren erneut alles andere als glaubwürdig.

Lange Zeit drohten die westlichen Partner mit einem Ausschluss russischer Banken aus dem globalen Finanzsystem Swift. Doch Mitte Januar 2022 hieß es aus Regierungskreisen plötzlich, Europa und die USA würden diese Idee nicht weiterverfolgen. Damit entschärften sie die Sanktionsdrohung gegenüber Moskau – nur um kurz darauf die Möglichkeit wieder in den Raum zu stellen. Ein ähnliches Gezeter gab es mit Blick auf das Pipelineprojekt Nord Stream 2.

Strategische Ambiguität von Scholz ließt Sanktionspolitik ins Leere laufen

Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte die Unfähigkeit des Westens, sich auf eine klare Sanktionsdrohung festzulegen, zur „strategischen Ambiguität“. Putin sollte im Ungewissen darüber gelassen werden, was ihm bei einem Einmarsch in die Ukraine droht. Der tatsächliche Grund lag jedoch wohl vielmehr darin, dass die Einigkeit des Westens – zur Verhängung von EU-Sanktionen ist Einstimmigkeit unter allen Mitgliedstaaten notwendig – weit nicht so stark war, wie es den Anschein erwecken sollte. Vor allem Deutschland, Italien, Ungarn und Zypern haben sich lange gegen mögliche Swift-Sanktionen gestellt: Deutschland und Italien wegen der engen Handelsbeziehungen zu Russland, Ungarn wegen der engen politischen Beziehungen, und Zypern wegen der engen Beziehung seiner Banken zur russischen Elite.

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Nicht weiter verwunderlich: Putin ließ sich von diesen Sanktionsdrohungen nicht von seinem Handeln abschrecken, zumal er im Kaukasuskrieg 2008 erlebte, dass es keinerlei Konsequenzen gab – und nach der Annexion der Krim nur milde Maßnahmen. Vor dem Hintergrund diffuser und unklarer Drohungen ging er davon aus, dass der Westen auch diesmal nur zaghaft handeln würde.

Putin hat sich gleich zweimal verkalkuliert

Doch es kam anders. Putin hat sich gleich zweimal verkalkuliert. Zunächst glaubte er, innerhalb von wenigen Tagen Kiew einnehmen zu können. Der Angriff mit Fallschirmjägern auf die ukrainische Hauptstadt zu Kriegsbeginn illustriert diese Fehleinschätzung. Eine schnelle Waffenruhe – ein Fait accompli – hätte den Sanktionsdruck herausgenommen. Auf Russlands Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 folgte am darauffolgenden Tag zunächst noch ein recht moderates Sanktionspaket. Überraschende Beschlüsse wie Swift-Sanktionen sowie Maßnahmen gegen die russische Zentralbank kamen erst nachdem Russland seine anfänglichen Ziele am 27. Februar noch nicht erreicht hatte. Ob der Westen diese noch verhängt hätte, wenn die Kämpfe zu diesem Zeitpunkt schon beendet gewesen wären – fraglich.

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Fest steht: Der Krieg in der Ukraine, mit dessen Verlauf Putin so nicht gerechnet hatte, ließ dem Westen keine Wahl, als umfassend mit wirtschaftlichen Maßnahmen zu reagieren. Der öffentliche Druck auf Unternehmen, der weit über die offiziellen Sanktionen hinausgeht, entspricht auch dem Druck auf die Politik. So führte seine erste Fehlkalkulation zu etwas, womit Putin ebenfalls nie gerechnet hätte: eine große Geschlossenheit im Aufbau wirtschaftlichen Drucks gegen Russland.

Diese Entwicklung hat nun zu einer anscheinend aussichtslosen Situation geführt. Die Sanktionen sind insofern gescheitert, dass sich Putin durch deren Androhung nicht vom Einmarsch in die Ukraine abhalten ließ. Gleichzeitig wird Putin wegen der Sanktionen nicht den Rückzug antreten. Die verhängten Maßnahmen können nun allenfalls als Verhandlungsmasse für eine Konfliktlösung dienen.

Was sich für die Zukunft lernen lässt

Dennoch lassen sich aus der jetzigen Situation wichtige Verhaltensweisen für die Zukunft ableiten. Hätte der Westen all die Maßnahmen, die nun in Kraft sind, bereits vor Kriegsbeginn glaubwürdig ins Schaufenster gestellt, hätte die Chance bestanden, Putin von seinen Plänen abzuschrecken. Auch wenn sich die Wirtschaft im Vornherein gegen solch kostspielige Maßnahmen ausgesprochen hätte: Die günstigsten Sanktionen sind die, die nicht verhängt werden müssen.

Stattdessen musste der Westen nun jedoch zu umfassenden Maßnahmen greifen. Gleichzeitig hat er dadurch neue Glaubwürdigkeit gewonnen. Daher ist es jetzt an der Zeit, aus der Vergangenheit zu lernen und Sanktionsdrohungen strategisch einzusetzen.

Mit einem Einfuhrzoll auf russisches Gas und Öl – wie von einigen Ökonomen vorgeschlagen – könnte die EU etwa glaubwürdig signalisieren, diesen bei einer weiteren Eskalation so weit zu erhöhen, dass solche Importe gänzlich unrentabel würden. Ein Zoll reduziert außerdem schon jetzt Russlands Einnahmen durch Energieexporte, lässt jedoch zugleich Raum für eine weitere Eskalation.

Sind dagegen alle wirtschaftlichen Beziehungen erst beendet, hat der Westen keinen Hebel mehr. Ein vollständiges Embargo sollte daher zunächst glaubwürdig an eine weitere Eskalation gekoppelt werden. Wenn Putin klar ist, dass er etwa für den Einsatz von biologischen oder chemischen Waffen mit einem Energie-Embargo bezahlen muss, kann diese Sanktionsdrohung einen größeren Effekt haben, als wenn eine Einfuhrsperre ohne vorherige Bedingung verhängt wird.

Patrick Weber

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